Süddeutsche Zeitung

Wasserrettung:"Es braucht die allgemeine Schwimmpflicht"

Niklas Meckesheimer bringt Schulkindern das Schwimmen bei - und muss inzwischen bei fast jeden zweiten Grundschüler bei Null anfangen. Über einen lebensgefährlichen Trend und wie Eltern und Staat gegensteuern können.

Von Viktoria Spinrad

Dass immer weniger Kinder schwimmen können, erlebt der Geretsrieder Niklas Meckesheimer regelmäßig. Dass aber gleich die Hälfte von 110 Viertklässlern sich nicht sicher im Wasser bewegen kann, war auch für den 24-jährigen Rettungsschwimmer der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) neu. Genau das erlebte er aber bei seiner ehrenamtlichen Unterstützung der Karl-Lederer-Grundschule, wo er zusammen mit zwei Lehrern und ein bis zwei weiteren Rettungsschwimmern Schülern das Schwimmen beigebracht hat.

SZ: Herr Meckesheimer, wie nimmt man Zehnjährigen die Scham vor den Mitschülern, dass sie noch nicht schwimmen können?

Niklas Meckesheimer: Wenn gleich 50 Viertklässler nicht schwimmen können, fällt das Problem gleich weg - was ja umso erschreckender ist. Ich war am Anfang schon verzweifelt: Wir waren ja von zehn bis 15 Nichtschwimmern ausgegangen - eigentlich sollte man ja schon in der ersten Klasse anfangen. Aber die Eltern schicken ihre Kinder einfach nicht mehr zum Schwimmkurs.

Woran liegt das?

Man könnte meinen, dass es vor allem an dem recht hohen Migrantenanteil an der Schule liegt. Da haben die Kinder oft keinerlei Aufklärung bezüglich der Gefahren im und am Wasser erfahren oder die Lebensumstände haben es nicht zugelassen, früher einen Schwimmkurs zu besuchen. Aber dem ist nicht so, auch viele gebürtige Deutsche sind offenbar der Meinung, dass Schwimmunterricht nicht so wichtig ist. Und das, obwohl wir hier zig Seen und die Isar vor der Haustür haben. Dass sich die Kinder in ihrer Freizeit nicht am Wasser aufhalten, kann mir doch keiner erzählen. Und einen Schwimmkurs zu finden, erfordert in der heutigen Zeit auch keinen Aufwand mehr.

Jetzt müssen Sie einspringen und die Kinder fit fürs Wasser machen. Wie bringt man einer Horde Viertklässler das Schwimmen bei?

Um den Kindern die Angst zu nehmen, fangen wir mit der Wassergewöhnung an. Hier wird den Kindern spielerisch das neue Element näher gebracht. Da können die Kinder sich zunächst im Wasser bewegen und den Wasserwiderstand am eigenen Körper spüren. Viele kennen das Wasser schließlich nur vom Duschen. Weiter geht es dann mit kleinen Auftriebs- und Schwebeübungen, um zu erfahren, dass einen das Wasser tragen kann. Was kommt noch dazu? Auch kleine Tauchübungen gehören zur Wassergewöhnung. Hier wird geübt, den Kopf vollständig unter Wasser zu halten und dann die Augen zu öffnen, was sehr wichtig für eine Orientierung ist. Hierdurch sollen die Kinder Vertrauen gewinnen: Wenn ich Wasser ins Gesicht bekomme, passiert nichts; wenn ich untergehe, komme ich irgendwie wieder hoch. Der Sprung vom Beckenrand ist ebenfalls elementar, da die Kinder lernen sollen, wie sie wieder an die Oberfläche kommen.

Und dann?

Teilen wir Kinder in kleine Gruppen auf und üben den Brustbeinschlag. Beine anziehen, Füße ausdrehen, nach außen und hinten stoßen und im Bogen zusammenführen. Wenn sie das hinbekommen, wird es für uns schon deutlich entspannter.

Was ist mit den Schullehrern?

Die dürfen nicht mit ins Wasser - schließlich sind während des Schulschwimmens keine Schwimmmeister da, die von oben den Überblick behalten könnten. Bei so vielen Kindern hätten sie alleine auch gar keine Chance.

Ist es ein Unterschied, ob man Erstklässler oder Viertklässler unterrichtet?

Definitiv. Je älter die Schüler, desto schwieriger wird es. Denn je länger man Nichtschwimmer ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, Wasser zu schlucken oder andere schlechte Erfahrungen zu machen und Angst zu entwickeln.

Konnten Sie den Schülern die Ängste nehmen?

Den meisten schon. Es ist wirklich schön zu sehen, wenn zwei Schüler erst absolute Panik haben - und ein paar Wochen später befreit im Wasser spielen. In meiner Gruppe haben 30 von 50 das Seepferdchen geschafft - für die Ausgangsvoraussetzungen ist das eine wirklich gute Quote. Obwohl ich mir für die Altersgruppe eher das bronzene Schwimmabzeichen wünschen würde. Erst dann können sich die Eltern zurücklehnen - Kinder mit Seepferdchen muss man hingegen noch wie Nichtschwimmer im Blick haben.

Was könnte gegen den Nichtschwimmer-Trend helfen?

Sowohl die Eltern als auch der Staat müssen sich mehr einmischen. Ich würde eine allgemeine Schwimmpflicht befürworten. Das wäre im Interesse von allen. Wenn jemand wegen eines plötzlichen Herzinfarkts ertrinkt, können wir leider nichts mehr machen. Wir können aber wohl verhindern, dass Kinder ertrinken, weil sie nie schwimmen gelernt haben. Dass Eltern erst durch solche Tragödien wachgerüttelt werden, möchte doch niemand.

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SZ vom 18.07.2019/aip
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