Ernährung:Die Kraft der wilden Kräuter

Am Gründonnerstag wurde früher eine Suppe aus neun Gewächsen mit vielen Vitaminen gegessen. Heute sind die alten Rezepte wieder gefragt.

Von Ingrid Hügenell, Geretsried

An einer Straßenecke in Gelting bleibt Angelika Spöri stehen. Sie zeigt auf einige unscheinbare Pflanzen mit herzförmigen Blättern. "Das ist ein Kraut, das früher lebensnotwendig war", sagt die Kräuterpädagogin. Denn das Scharbockskraut enthält viel Vitamin C, und es gehört zu den allerersten Pflanzen, die noch im Winter anfangen zu sprießen, sobald der Schnee weg ist und die Sonne die Erde ein wenig wärmt. Nach langen, kargen Wintern waren die Menschen in Zeiten, als es noch nicht alles in Supermärkten zu kaufen gab, auf diese ersten Vitamin-Spender dringend angewiesen. Von daher, wohl noch aus vorchristlicher Zeit, rührt der Brauch, am Gründonnerstag eine Suppe aus den ersten Frühlingskräutern zu kochen. Traditionell werden neun Kräuter verwendet, die schon so früh im Jahr aus der Erde spitzen - auch, weil die Neun als heilige Zahl galt.

Heute steht das Wissen der Vorfahren wieder hoch im Kurs und im Zuge dieser Rückbesinnung auf das einfache Leben sind auch Kräuterwanderungen beliebt, wie die Geretsriederin Spöri sie veranstaltet. Die 52-Jährige hat Ökotrophologie studiert und dann die Kräuterpädagogik-Ausbildung in Bad Heilbrunn absolviert. Die meisten der ein Dutzend Teilnehmer, die zwei Tage vor Gründonnerstag erfahren wollen, wie man die Kräuter für die Suppe findet, erkennt und zubereitet, sind nicht das erste Mal bei einer solchen Veranstaltung. Überzeugen muss die Kräuterpädagogin niemanden vom Nutzen der wilden Pflanzen.

Das Scharbockskraut kennen nur wenige

Das Scharbockskraut ist eines der neun traditionellen Gründonnerstagsgewächse, einigen in der Gruppe war es bisher unbekannt. An der Straßenecke will Spöri es aber nicht sammeln, auch wegen der Hunde, die dort spazieren geführt werden. Also geht es noch ein Stück aus Gelting hinaus, Richtung Loisachkanal. Immer wieder bleibt Spöri stehen, zeigt auf ein frisches Fleckchen Grün, erklärt, wie man Labkraut oder Vogelmiere erkennt, mit welchen giftigen Arten man sie verwechseln kann. Schnell kommt ein Gespräch in Gang darüber, wie schade es ist, dass viele Menschen den Wert der Wildkräuter nicht zu schätzen wissen, die doch so gesund sind und kostenlos auf den Wiesen und am Fluss wachsen. "Man könnte viel Geld sparen, wenn man sie mehr verwenden würde", sagt eine Teilnehmerin.

An einer Wiese schwärmt die Gruppe aus, um Kräuter zu sammeln - unter einer Hecke spitzen winzige Blätter des Giersch heraus, die ersten Brennnesseln werden vorsichtig gepflückt, Löwenzahn wächst schon an vielen Stellen. Dann geht es an die Loisach, wo viel Bärlauch wächst und mehr geerntet als gesucht wird. Spöri erklärt den Wert der einzelnen Gewächse für die Gesundheit, erläutert den Geschmack, gibt Tipps für Kräuter-Gerichte. In Lasagne könne man beispielsweise gut Kräuter verstecken, Tomatensuppe damit aufpeppen, auch fürs Risotto passen sie. Eine Teilnehmerin berichtet, dass sie jeden Tag einen frisch gemixten Kräutersaft trinkt. Spöri gibt gerne auch noch Apfel und Banane zum grünen Smoothie.

So schmeckt die Suppe

Die Pflänzchen, die die Gruppe möglichst sortenrein in Plastiktüten sammelt, sollen aber in die Suppe. Schließlich werden es sogar 14 Kräuter: Bärlauch und Giersch, Brennnessel, Taubnessel und Löwenzahn, Spitzwegerich, Ehrenpreis, Labkraut und Vogelmiere, Scharbockskraut, Schafgarbe und Gartenschaumkraut machen den größeren Teil aus. Dazu kommen einige Blättchen Wiesenbärenklau und, zur Verzierung für den Nachtisch, ein Dutzend Gänseblümchen. "Das ist viel toller, als wir gedacht haben", sagt Christian Schretzenmayr vom Geretsrieder Waldkindergarten, der mit seiner Frau Daniela und Tochter Hannah an der Wanderung teilnimmt, um sich Anregungen zu holen. Zurück am Geltinger Dorfladen, dem Ausgangspunkt der Wanderung, schaut Spöri die Ausbeute sorgfältig durch - nicht, dass sich doch etwas Ungenießbares darunter gemischt hat. Aber die Gruppe hat sorgfältig gesammelt.

Eine kleine Pflanzen-Apotheke

Aus den meisten Frühlingskräutern kann man nicht nur Suppe kochen. Man kann Salat mit ihnen würzen oder verfeinern, sie unter Quark oder Joghurt rühren oder sie einfach klein gehackt aufs Butterbrot streuen. Beim Sammeln sollte man darauf achten, dass der Standort nicht an einer viel befahrenen Straße liegt, nicht gerade gedüngt wurde oder ein Hundeauslauf ist. Wer eine Pflanze nicht sicher kennt, sollte die Finger davon lassen. Eine Verwechslung mit giftigen Kräutern ist mindestens unangenehm, im schlimmsten Fall tödlich. Das Scharbockskraut ist würzig und schmeckt senf- oder kresseähnlich. Es enthält viel Vitamin C. Wenn die hübschen gelben, sternförmigen Blüten erscheinen, kann man es nicht mehr verwenden, es wird dann giftig. Sein Name leitet sich von einem Wort für Skorbut ab, der Vitamin-C-Mangelkrankheit, gegen die es früher verwendet wurde.

Eine Pflanze, die jeder kennt und viele nicht im Garten dulden wollen, ist der Löwenzahn. Seine Bitterstoffe machen ihn wertvoll für die Gesundheit, denn sie regen die Verdauung und den gesamten Stoffwechsel an. "Der Löwenzahn entgiftet und entschlackt, auch wenn es das medizinisch nicht gibt", sagt Spöri. In kleinen Mengen sind die jungen Blättchen gut im Salat. Goethe soll den Löwenzahn eigens im Garten angebaut haben.

Vor allem wegen seines guten, frischen Geschmacks wird das Labkraut verwendet. Es gibt davon mehrere Arten, die sich mit ihren quirlständigen, schmalen Blättchen sehr ähnlich sehen und sich alle zum Verzehr eignen. Es wirkt desinfizierend und wurde früher wegen seines Gehalts an Lab-Enzym zur Käseherstellung verwendet.

Den Giersch sollte man sicher kennen, denn er stammt aus der großen Familie der Doldenblütler, der auch tödlich giftige Pflanzen wie der Schierling angehören. Erkennen kann man ihn an seinem dreikantigen Stengel und den dreifach gefiederten Blättern. Gleichzeitig wächst der giftige Kälberkropf, der jedoch viel stärker gefiedert ist. Als Gartenunkraut ist der Giersch gefürchtet, doch er schmeckt petersilienähnlich und soll gegen Gicht wirken.

Eine unscheinbar am Boden kriechende Pflanze ist die Vogelmiere, die nicht nur wohlschmeckend ist und an rohen, jungen Mais erinnert, sondern auch viele Mineralstoffe und Vitamine enthält. Schon sehr zeitig erscheinen die winzigen weißen Sternblüten.

Der Wiesenbärenklau ist der einheimische, viel kleinere Verwandte des aus dem Himalaja stammenden Riesenbärenklaus. "Jung ein wunderbares Wildgemüse", schwärmt Spöri. Sehr aromatisch sind die jungen Blätter, deren Form ein wenig an die Tatzen oder Klauen von Bären erinnern - daher der Name. Der Wiesenbärenklau hat einen kantigen, behaarten Stengel, im Gegensatz zum giftigen Schierling, dessen Stengel glatt und gefleckt ist.

Wie viele Gartenunkräuter ist auch das Gartenschaumkraut ein feines Wildgemüse. Es ist mit dem später erscheinenden, ebenfalls essbaren Wiesenschaumkraut verwandt. Die Schaumkräuter enthalten Vitamine und Bitterstoffe, wirken krampflösend und verdauungsfördernd. Sie können als Kresseersatz verwendet werden. ihr

Alles wird gut gewaschen und geschnitten. Die verarbeiteten Kräuter füllen eine Plastikschüssel und verströmen einen intensiven, würzigen Duft. Spöri hat zwei Elektro-Kochplatten dabei, die stellt sie vor dem Dorfladen auf. In reichlich Butter werden nun in zwei Töpfen klein gewürfelte Zwiebeln, Knoblauch und Kartoffeln angedünstet und mit Wasser abgelöscht. Dann macht die Kabeltrommel schlapp, die Platten gehen aus, außerdem bläst ein kalter Ostwind. Die weitere Zubereitung der Suppe wie auch der Verzehr wird in den Dorfladen verlagert.

Es duftet nach Frühling

Als die Kartoffeln gar sind, püriert Spöri alles mit dem Handmixer und gibt dann die Kräuter dazu, die sie kurz aufmixt und ziehen lässt. Gewürzt wird nur mit Pfeffer und Salz. Es entsteht ein fein nach Butter duftendes, leichtes, nicht zu dickes Süppchen, das köstlich nach Frühling und Bärlauch schmeckt. Wer mag, kann es mit einem Klecks Crème fraîche verfeinern. Dazu gibt es frisches Brot und zum Nachtisch eine Joghurt-Quarkspeise mit Holundergelee, das Spöri im vorigen Jahr zubereitet hat. Alle essen andächtig, alle fassen nach. Nach drei Stunden an der frischen Luft tut die warme Suppe richtig gut.

Die nächste Kräuterwanderung mit Angelika Spöri findet am Freitag, 8. April, von 9 bis 14 Uhr statt. Treffpunkt ist der Geltinger Dorfladen. Bis Oktober folgen neun weitere Termine, die im Internet unter www.angelika-spoeri.de zu finden sind. Auch in Kochel und Walchensee bietet Spöri Wanderungen an. Auch andere Kräuterpädagoginnen bieten Kurse in vielen Orten des Landkreises an, für Einheimische wie für Gäste. Nicht umsonst ist der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen Kräutererlebnis-Region. In Bad Heilbrunn, wo die Gundermann-Akademie ihren Sitz hat, beginnen am 1. April die Ramstage, die sich vier Wochen etwa mit Führungen und Kochkursen dem Bärlauch widmen, der bairisch Rams heißt. Zu finden sind die Termine und weitere Kräuterpädagoginnen unter www.toelzer-land.de.

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