Ludwig Schmid alias Bruder Barnabas ist und bleibt der unbestrittene König des Geretsrieder Starkbierfests. Auch dieses Jahr teilte der Fastenprediger unter johlender Begeisterung kräftig in alle Richtungen aus. Stoff lieferten neben Bürgermeister Michael Müller vor allem einige Geretsrieder Stadträte sowie die Stadt selbst, die nach der ganzen Buddelei im Zentrum so gern wie Phoenix aus der Asche steigen würde.
Die ersten eineinhalb Stunden gehörten am Freitag in den Ratsstuben den Einheizern, der Gartenberger Bunkerblasmusik. Um 20.40 Uhr zog Bruder Barnabas unter großem Jubel in den Saal ein. In seine gut 45-minütige Fastenpredigt integrierte Schmid auch eine Kür des "Geretsrieder Originals". Die Wahl fiel ausgerechnet auf einen Waldramer: Rudi Utzinger ist Inhaber des gleichnamigen Geretsrieder Sportgeschäfts und Initiator vieler Veranstaltungen.
Den blauen Bauhelm, der die nervige Dauerbaustelle vorm Rathaus zitieren sollte, legte Schmid schnell ab und griff stattdessen zum gut gefüllten Maßkrug. Natürlich warteten alle im Saal auf die erste Attacke auf seinen Lieblingsgegner Michael Müller. Und die ließ auch nicht lange auf sich warten. Es fing an mit einem Giftpfeil auf das notorische Selbstbewusstsein des Rathauschefs. "Gut, dass du net so breit bist wie deine geschwellte Brust", spöttelte Schmid von der Kanzel herab. So habe er von "einem gewissen Bürgermeister" gelernt, dass immer die anderen schuld seien: "Wenn koana lacht bei am Gag, dann war net mei Gag schlecht, sondern ihr habt's nur net kapiert. Des is a guade Einstellung, oder?"
Dann spekulierte er darüber, warum CSU-Granden wie Markus Söder & Co. Geretsried links liegen ließen und lieber nach Tölz gingen. "Vielleicht, weil sie wissen, dass DU Bürgermeister bist." Im Großen und Ganzen kam Müller - der am Samstag anwesend war - aber noch relativ ungeschoren davon. Und immerhin kann er wohl froh sein, dass er wer ist in der Stadt. Denn Schmid stichelte auch in Richtung des Wolfratshauser Amtskollegen Klaus Heilinglechner: Der sei beim lokalen Starkbierfest in der Rede nicht mal vorgekommen.
Anschließend knöpfte er sich die Stadträte vor. Viel musste Hans Hopfner von der SPD einstecken, der über die fehlende Debattenkultur im Stadtrat gejammert hatte. Letztes Jahr schon habe er Hopfner geraten, dort einfach mal den Mund aufzumachen. "Heuer gibt's noch einen weiteren Rat: Mund auf allein g'langt nicht, man muss auch was sagen." Die Stimmung im Saal war hier auf einem ersten Höhepunkt. Auch Patrik Kohlert von der Geretsrieder Liste fing sich einige Watschn ein. Bruder Barnabas titulierte ihn als "Möchtegernbürgermeister" und sagte: "Bin mal gespannt, ob du's bis zur Wahl durchhältst, so penetrant zu sein."
Dritter Bürgermeister Gerhard "A Punkt" Meinl von der CSU wolle immer recht haben und halte sich für den Wichtigsten von allen. Und dass die Zweite Bürgermeisterin Sonja Frank (Freie Wähler) "stets engagiert" sei, war von Schmid nicht als Lob gedacht, sondern als eine verklausulierte Lesart wie in einem Arbeitszeugnis, die nahelegt, dass sie eine Gschaftlhuberin sei oder "hätt wollen, aber nicht können".
Die Meinungen der Leute über die Neue Mitte gehen bekanntlich auseinander. Auch das griff Schmid auf und zog das "Großstadtfeeling der größten Stadt südlich von München" folgendermaßen durch den Kakao: "Wo sonst kunnst denn aus a Tiefgarage rausgehen und kommst auf dem Weg zu den zukünftig zwei Nagelstudios in der Neuen Mitte bei rumlungernde Unerwachsene vorbei, die nach dem dritten Alkopop aus dem Supermarkt die Fastfoodverpackungen in die nichtbegrünten Grüninseln schmeißen."
Ebenso sehr missfiel ihm das mittlerweile wie ein "Fort Knox" gesicherte Rathaus, in das kein Bürger mehr ohne Termin und Einlasskontrolle hineinkomme. Jeder mittelalterliche Burgherr hätte seine Freude an den Schanzmaßnahmen mit Wassercanyon und Tiefgaragengraben, Pollern und Baken, neuerdings auch noch Absperrketten und Eingangswachen im Hochsicherheitsglaskasten, sagte er. Da gab's kein Halten mehr, der ganze Saal lachte sich schief.
Große Resonanz hatten auch die frechen Marketingsprüche, die sich Schmid für die Stadt ausgedacht hatte: "Geretsried - bei uns gehen Sie baden" als Anspielung auf das neue Schwimmbad; "Geretsried - hier ist der Zug noch nicht abgefahren", meinte natürlich die am Sankt-Nimmerleinstag kommende S-Bahn. Einen Seitenhieb gab's auf den häufigen Stau vor der neuen Geretsrieder Ampelkreuzung an der B 11: "Geretsried - für uns stehen sie Schlange", so lache das Herz des Rathauschefs beim Blick aus dem Bürofenster.
Zu guter Letzt sinnierte der Fastenprediger über eine Namensänderung der Stadt angesichts der Omnipräsenz des Architekten Klaus Kehrbaum im Stadtzentrum und des Baulöwen Krämmel im Lorenz-Areal: "Was mich fast a bissl wundert, dass ma Geretsried noch mit G vorn schreibt und noch net mit K." Ohne diese Herren scheine nichts zu gehen. Aber wie soll das in der Zukunft werden, fragte sich Schmid. Wenn's jetzt mit der Geothermie was werde und die Energie für 200 000 Haushalte lange, wer solle denn dann das Wachstum planen, wenn der Kehrbaum am Ende schon in Rente sei.