Zwei Mal wurde am Gut Breitenbach bei Gelting bereits nach Thermalwasser gebohrt. Zwei Mal stieß die Enex GmbH dabei auf heißes Gestein. Der Untergrund im Stadtbereich von Geretsried ist aber offenbar staubtrocken - für klassische Geothermie also nicht geeignet. Bei einer dritten Bohrung soll deshalb nun eine neue Technologie zum Einsatz kommen. Gemeinsam mit dem jungen Start-up-Unternehmen Eavor aus Kanada will Enex in 4500 Metern Tiefe eine Art riesige Fußbodenheizung verlegen. Sollte das klappen, könnten ganz Geretsried und auch weite Teile von Wolfratshausen künftig mit Fernwärme aus Gelting versorgt werden.
Die neue Technik heißt "Eavor Loop" und wurde bislang nur in einem Versuchsprojekt in der kanadischen Provinz Alberta erprobt. Am Breitenbach soll es nun erstmals richtig ernst werden - es ist quasi eine Weltpremiere. "Es wird kein Kinderspiel", sagt Enex-Geschäftsführer Robert Straubinger. "Aber es wird funktionieren", ist er sich sicher.
Der Mann, der sicherstellen soll, dass auch wirklich nichts schiefgeht, heißt Daniel Mölk. Der gebürtige Isländer beschäftigt sich seit 15 Jahren mit nichts anderem als mit Tiefengeothermie. Er hat schon 2013 die Bohrung geleitet, als man in Gelting das erste Mal nur auf heißes Gestein gestoßen ist. Er hat in Indonesien in Vulkangestein gebohrt. Trotzdem sagt er: "Das Spannendste, was ich bisher gemacht habe, ist der Eavor-Loop." Denn diese Technologie biete ein enormes Potenzial. Man könne sie schließlich nicht nur in der süddeutschen Molasse einsetzen, sondern überall, wo es heiße Gesteinsschichten gibt, aber eben kein Thermalwasser, mit dem man die Wärme an die Oberfläche transportieren könnte.
Der Eavor-Loop ist im Prinzip nichts anderes ein riesiger Wärmetauscher: Kaltes Wasser wird in den Untergrund geleitet, erhitzt sich dort und wird dann wieder nach oben geführt. Die Anlage in Gelting wird dabei allerdings etwas anders funktionieren als das Testprojekt in Kanada. Dort wurde das Wasser in 2500 Metern Tiefe etwa zwei Kilometer lang durch das Gestein geleitet - geradezu ein Miniaturversuch. Denn die Dimensionen am Gut Breitenbach werden viel größer sein. Dort sollen vier der sogenannten Eavor-Loops gebaut werden. Bei jedem davon wird das Wasser in zwölf parallelen Schleifen insgesamt 60 Kilometer lang hin und her geführt, bis es letztlich wieder nach oben geleitet wird. James-Joyce-Design haben die Tüftler diese Anordnung genannt. Mit dem Schriftsteller hat das allerdings nichts zu tun. Es liegt vielmehr daran, dass die Idee mit der Schleifenführung in einer kanadischen Bar mit diesem Namen entstanden ist, und zwar beim Betrachten des Querschnitts einer Serviette. Dort sind die einzelnen Papierlagen schließlich auch übereinander gefaltet.
Man müsse sich das eben wie bei einer Fußbodenheizung vorstellen, sagte Enex-Geschäftsführer Straubinger am Dienstagabend bei einer Informationsveranstaltung in den Geretsrieder Ratsstuben. Der Unterschied sei nur, dass bei der Fußbodenheizung das Wasser Wärme abgibt, während es sich durch die Rohre unter dem Fliesenboden schlängelt. Beim Eavor-Loop dagegen nimmt das Wasser die Wärme auf.
Noch sind auf dem Bohrplatz am Gut Breitenbach vor allem Studenten der Ruhr-Universität Bochum unterwegs. Diese nutzen nach den beiden gescheiterten Geothermiebohrungen die Anlage, um im Rahmen des Forschungsprojekts "Zokrates" Messungen vorzunehmen. Voraussichtlich im September sollen die Versuche aber abgeschlossen sein. Dann übernimmt Eavor das Gelände. Schon um die Jahreswende soll ganz in der Nähe etwas nördlich des jetzigen Bohrlochs dann ein zweiter Bohrplatz eingerichtet werden. Nach dem jetzigen Zeitplan soll im Zweiten Quartal 2022 dort das Bohrgerät anrücken, um quasi einen Einlass für das Wasser zu schaffen. Geht alles glatt, soll der erste Eavor-Loop noch 2022 fertiggestellt sein. Die anderen drei folgen dann sukzessive bis 2024 oder 2025. Parallel soll zwischen den beiden Bohrplätzen ein Kraftwerk gebaut werden, um die Erdwärme auch nutzbar machen zu können.

Mit den Stadtwerken Geretsried gibt es bereits Gespräche über den Ausbau des Fernwärmenetzes. Dass es logistisch keine einfache Aufgabe wird, entsprechend viele Firmen, öffentliche Gebäude und Privathaushalte an das Netz anzuschließen, um das Potenzial der Tiefengeothermie auch nutzen zu können, kann Enex-Geschäftsführer Straubinger aus eigener Anschauung erzählen. Straubinger wohnt in Oberhaching, dort kommt die Fernwärme von der Geothermie Taufkirchen. Und natürlich müssen für die Anschlüsse Leitungen verlegt werden - so, wie jetzt gerade wieder. "Die reißen da überall die Straßen auf", sagt Straubinger. Die letzten zehn Meter zum Haus müsse man dabei in der Regel auch selbst bezahlen, so Straubinger. "Aber dafür hat man dann keine Ölheizung mehr im Keller."
Voraussichtlich wird das Fernwärmenetz in Geretsried nicht so schnell wachsen wie die Geothermieanlage in Gelting. Eavor plant deshalb, vor allem am Anfang Wärme auch zu verstromen. Grundsätzlich könne jeder der vier Loops aber 17 Megawatt an thermischer Leistung erbringen, sagt Daniel Mölk von der Eavor Erdwärme Geretsried GmbH, wie der Zusammenschluss von Eavor und Enex heißt. Oder immerhin noch jeweils zwei Megawatt, wenn aus der Wärme Strom gewonnen wird.
Für die Energiewende in Geretsried wäre eine Geothermieanlage ein wahnsinniger Zugewinn. Denn den Klimazielen aus dem Pariser Abkommen von 2015 hängt die Stadt derzeit noch deutlich hinterher. Vor sechs Jahren wurde da festgeschrieben, dass bis 2035 der Pro-Kopf-Ausstoß an Kohlendioxid auf 2,0 Tonnen im Jahr reduziert werden muss. In Geretsried liegt der Ausstoß den jüngsten Erhebungen zufolge aber noch bei 3,7 Tonnen. "Wir müssen uns also ranhalten", sagt Christiane Regauer von der Energiewende Oberland, die für Geretsried auch den Energienutzungsplan erstellt hat.

Beim Heizen wird in Geretsried mit 38,8 Prozent nach dem Verkehr am zweitmeisten Energie verbraucht. Regauer schätzt deshalb, dass der CO₂-Ausstoß mit der Geothermie von zuletzt 92 634 Tonnen auf 43 122 Tonnen reduziert werden könnte. Einen ähnlichen Effekt gäbe es nur, wenn man in der Stadt das Heizöl aus 700 Tankwagen einspart oder wenn man die Stadtfläche 2,7 Mal mit neuen Bäumen aufforstet. "Ohne Tiefengeothermie können wir die Energiewende in Geretsried nicht schaffen", resümiert Regauer deshalb.
Eine Pumpe braucht der Ever-Loop übrigens nicht. Der Wasserfluss funktioniert nach dem Prinzip der alten Schwerkraftheizungen aus den Sechzigerjahren. Wenn Wasser erhitzt wird, wird es schließlich auch leichter und steigt in der Leitung auf. In Deutschland wurden früher auf diese Weise Gebäude beheizt. Ölofen im Keller, warmes Wasser im ersten Stock. Im 21. Jahrhundert soll damit nun grüne Energie nutzbar gemacht werden.