Geflüchtete:Hoffnungsträger

Geflüchtete: Ein Teil der Abschlussklasse der FOS/BOS mit Sozialpädagoge Christian Hesse (vorne Zweiter v. li.) und Deutschlehrerin Andrea Winkler.

Ein Teil der Abschlussklasse der FOS/BOS mit Sozialpädagoge Christian Hesse (vorne Zweiter v. li.) und Deutschlehrerin Andrea Winkler.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Mehr als die Hälfte der Integrationsschüler im Landkreis findet nach dem Schulabschluss einen Job oder einen Ausbildungsplatz. Reinhold Krämmel von der IHK meint trotzdem, dass sie nicht die Antwort auf den Fachkräfte- und Lehrlingsmangel sind

Von Katharina Schmid

Für knapp 14 400 Schüler und Schülerinnen im Landkreis beginnen an diesem Wochenende die Sommerferien. Etwa 130 von ihnen - vor allem junge Männer, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind - haben eine der neun Berufsintegrationsklassen (BIK) im Landkreis besucht. Nur wenige EU-Ausländer sind unter diesen knapp 60 Jugendlichen, die ihre Schullaufbahn an diesem Wochenende beenden.

Während bei ihren deutschen Altersgenossen ungetrübte Freude auf die Ferien oder die Zeit nach der Schule vorherrschen dürfte, sind die Gefühle bei den Integrationsschülern gemischt. Mehr als die Hälfte freut sich über einen Ausbildungsplatz oder eine Anstellung von September an. Viele aber wissen nicht, wie es weitergeht. Bei ihnen dominiert die Angst vor dem Nichtstun.

Blickt Berufsschulleiter Josef Bichler auf die Schüler seiner diesjährigen Integrationsklassen, ist er zufrieden. 20 Schüler, die Hälfte der BIK-Abschlussschüler, haben bereits die Zusage für eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle. Etwa ein Viertel möchte sich weiterqualifizieren. "Das ist wirklich bemerkenswert", sagt Bichler. Insbesondere hinsichtlich des geringen Vorwissens, das manche Schüler mitbrächten. Oftmals mangle es schon an den Grundlagen, weil die Jugendlichen in ihrem Heimatland kaum Bildung erfahren hätten. Die meisten BIK-Schüler seien jedoch "sehr motiviert". Nur in Einzelfällen käme es zu Ausschluss aus der Schule. Etwa wenn "Arbeitsdisziplin oder Pünktlichkeit" nicht stimmten oder "ein hohes Aggressionspotenzial" vorliege.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich an der beruflichen Oberschule in Bad Tölz ab. Dort koordiniert Susanne Kruse die beiden Flüchtlingsklassen. 16 Schüler haben dort im auslaufenden Schuljahr die erste BIK-Abschlussklasse der Schule besucht. Sie kommen aus Eritrea, Somalia, Syrien oder Afghanistan. Auch eine Kroatin ist dabei. In den vergangenen Wochen haben sie gemeinsam für die Abschlussprüfungen gepaukt. Zwölf der 16 Schüler, also 75 Prozent der Klasse, konnten "bereits erfolgreich vermittelt" werden, sagt Kruse.

Sie haben entweder einen Ausbildungsplatz, beginnen einen Job oder nehmen an einer betrieblichen Einstiegsqualifizierung teil. Darunter ist eine Maßnahme der Arbeitsagentur zu verstehen, die einem Langzeitpraktikum gleicht und zur Übernahme in ein Ausbildungsverhältnis führen soll. Drei Schüler der Klasse suchen noch nach einer Anstellung, und einer der 16 darf nicht arbeiten. Ihm fehlt die Arbeitserlaubnis. Für Kruse ist "jeder Schüler, der nach der Schule nicht mehr vom Staat lebt, ein Erfolg".

Ein Erfolg, den sich zu einem gewissen Teil auch die Kräfte der Kooperationspartner der Schulen zuschreiben dürfen. Für den Umgang mit den überwiegend traumatisierten Jugendlichen stehen den Lehrern ausgebildete Sozialpädagogen zur Seite. An der FOS/BOS kommen diese vom ReAL Isarwinkel, an der Berufsschule vom Kolpingbildungswerk. Sie betreuen die jungen Männer und Frauen, unterrichten sie und helfen bei Praktikums- und Jobsuche.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) bewertet das Modell der Integrationsklassen als "Musterbeispiel, um Geflüchtete langfristig auf den Arbeitsmarkt zu bringen", so Reinhold Krämmel, Vorsitzender des IHK-Regionalausschusses Bad Tölz-Wolfratshausen. Der Besuch dieser Klassen sei eine große Hilfe für Geflüchtete, um eine Ausbildung erfolgreich zu absolvieren. Krämmel beobachtet, dass viele Unternehmer aufgrund des Fachkräfte- und Lehrlingsmangels im Landkreis versuchen, aus dem "Reservoir der Asylbewerber" zu schöpfen. In der Praxis seien solche Versuche jedoch oftmals nicht erfolgreich. Ganz abgesehen von der Sprachbarriere sei es "wahnsinnig schwierig", die Geflüchteten zu Fachkräften auszubilden. Das liege am teilweise "völlig anderen Bildungsniveau" im Vergleich zu regulären Mittelschülern. Er fordert deshalb, "die BIK-Klassen inhaltlich und konzeptionell" weiterzuentwickeln. Die Lehrpläne sollten an das Niveau der Schüler angepasst werden. Und das "Sozial- und Tarifsystem, das auf unser Bildungsniveau maßgeschneidert ist", müsse geändert werden. Weil der Bedarf an Lehrlingen und Fachkräften aber massiv ist, sei die Bereitschaft von Unternehmerseite trotz möglicher Schwierigkeiten da, Geflüchtete einzustellen. Krämmel sagt aber: "Das wird die Lücke im Fachkräftemangel nicht in dem Maß schließen, wie man sich das vorstellt."

Auch Susanne Kruse ist klar, dass lange nicht alle Integrationsschüler eine Ausbildung schaffen. Dennoch ist sie glücklich, dass viele ihrer Schützlinge trotz der erschwerten Startbedingungen den ersten Schritt ins Berufsleben schaffen. Zahlen des Kultusministeriums unterstreichen die Situation im Landkreis. Eine freiwillige Abfrage an Berufsschulen im Sommer 2017 habe ergeben, dass etwa 72 Prozent die Integrationsklassen erfolgreich abgeschlossen hätten. Knapp 40 Prozent der 3100 Befragten gaben damals an, dass sie eine Ausbildung anstrebten, acht Prozent wollten ins Erwerbsleben eintreten.

Berufsintegration im Landkreis

Rund 130 Schüler und Schülerinnen haben im Schuljahr 2017/2018 eine Berufsintegrationsklasse im Landkreis besucht. 56 davon gingen in eine der drei Abschluss- oder Praxisklassen. Der Rest verteilte sich auf fünf Vorklassen und eine Sprachintensivklasse. 2015, als mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wurden bayernweit die ersten dieser Klassen eingerichtet. Sie werden von berufsschulpflichtigen Asylbewerbern, Flüchtlingen und EU-Ausländern im Alter von 16 bis 21 Jahren besucht. In Ausnahmefällen sind die Schüler auch älter.

Mit sieben Vorklassen stieg die Berufsschule Bad Tölz-Wolfratshausen im Schuljahr 2015/2016 in den Unterricht für geflüchtete Jugendliche ein. Im aktuellen Schuljahr gab es an der Berufsschule vier Vorklassen mit jeweils etwa 16 Schülern und zwei Praxisklassen zu jeweils zwanzig Jugendlichen. Die FOS/BOS zog nach; dort gab es im laufenden Schuljahr eine Vor- und eine Praxisklasse.

Auf dem Lehrplan der Vorklassen stehen Deutschunterricht, Werteerziehung und das Auseinandersetzen mit der neuen Kultur. In der nachfolgende Praxisklasse wechseln Unterrichtsphasen mit Betriebspraktika. Die Schüler sollen so auf den Arbeitsmarkt oder eine weiterführende Schule vorbereitet werden. Bei Bedarf ist diesen Klassen eine sogenannte Sprachintensivklasse zur Alphabetisierung vorgeschaltet; im Schuljahr 2017/2018 gab es im Landkreis eine an der Berufsschule.

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