Gedenken in Geretsried:Eine Hommage an die Freiheit

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An den Terroranschlag auf "Charlie Hedbo" vor sieben Jahren erinnern Poetry Slammerin Meike Harms sowie die Kabarettisten HG. Butzko und Martin Schmitt bei einem Gedenkabend mit Tiefgang im Geltinger Hinterhalt.

Von Susanne Hauck, Geretsried

Das einst so inbrünstig vorgetragene Solidaritätsbekenntnis "Je suis Charlie" ist leiser geworden. Inzwischen ist keiner mehr Charlie. Und das ist schade. Wäre da nicht die Kleinkunstbühne Hinterhalt in Gelting, die hartnäckig gegen das Verblassen der Erinnerung kämpft, indem sie jedes Jahr einen Gedenkabend gemeinsam mit Künstlern und Vereinen begeht. Sieben Jahre ist es her, dass der blutige Terroranschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" die Welt erschütterte. Islamisten stürmten am 7. Januar 2015 wegen veröffentlichter Mohammed-Karikaturen die Redaktionsräume und richteten mit Kalaschnikows ein Blutbad an. Zwölf Menschen kamen bei dem Anschlag religiöser Fanatiker auf die Freiheit der Kunst, der Presse und der Meinung ums Leben.

Diese Menschen hätten sterben müssen, nur weil es irgendjemandem auf der Welt nicht gefiel, was sie gezeichnet oder beschrieben hätten - mit diesen Worten hielt Assunta Tammelleo dem Online-Publikum und der wegen der Coronaauflagen stark reduzierten Zahl realer Besucher die Ungeheuerlichkeit des Angriffs auf die künstlerische Freiheit noch einmal vor Augen. "Sie wurden erschossen dafür, dass sie sich erlaubten, die mühsam erstrittene Kunst- und Kulturhoheit zu verteidigen." Die Betreiberin der Kulturbühne Hinterhalt und Vorsitzende des Kulturvereins Isar-Loisach (KIL) hatte zusammen mit dem Bund für Geistesfreiheit (bfg) München und Bayern, dem Verein "Das andere Bayern" und der Giardano-Bruno-Stiftung das Programm mit Kurzauftritten von Meike Harms, HG Butzko und Martin Schmitt zusammengestellt.

Kabarettist HG Butzko. (Foto: Harry Wolfsbauer)

So viel vorneweg: Das Gedenken fiel zwar deutlich weniger politisch als in den Vorjahren aus, war aber trotzdem von Tiefgang und vor allem höchst unterhaltsam. Ernst ist das Leben zurzeit schon mehr als genug, und so geht es in Ordnung, wenn man sich bei intelligent serviertem Kabarett mal unbeschwert amüsieren darf, wenn es sonst schon nichts zu lachen gibt.

Die drei Künstler präsentierten ihre Highlights und philosophierten auf unterschiedlichste Weise über das Leben.

Den Anfang machte Meike Harms, die ihren Auftritt am ernsthaftesten anging und sich dabei auch mit dem Begriff Freiheit auseinandersetzte. Die Gilchinger Poetry Slammerin und Bühnenpoetin ist nachdenklich, cool und witzig, und vor allem irre kreativ mit Sprache. Ihre atemberaubenden Zungenbrecher trägt sie auswendig und mit rasendem Tempo (nahezu) fehlerfrei vor, schon das alleine eine unglaubliche Leistung. Man ist bei ihr ganz bei der Sache, weil ihre lyrisch-rhythmischen Reime nicht nur klug sind, sondern auch erfreulich unangestrengt.

Bereits zum dritten Mal begleitete HG. Butzko die Hinterhalt-Gedenkveranstaltung, auch diesmal war er eigens aus Berlin angereist. Gesellschaftskritik in lockerem Plauderton, das ist sein Ding. Er trug aktualisierte Ausschnitte aus seinem neuesten Programm "aber witzig" vor und nahm zur Riesenfreude des Publikums das Gesundheitswesen aufs Korn, untermauert durch jüngste Erfahrungen am eigenen Leib, wie er betonte. Butzko führte durch den kafkaesken, bürokratischen Irrsinn deutscher Krankenhäuser, wo zwar - außen hui und innen pfui - 200 Millionen Euro für einen neuen Anstrich verpulvert werden, aber intern das Chaos herrscht. Wo die Patienten von Pontius zu Pilatus geschickt werden, nimmermüde jedem Computer aufs Neue ihre Angaben aufsagen müssen, und zwar in aller Herrgottsfrüh zur OP einbestellt, aber dann vergessen werden, wo die Schwestern grundsätzlich "von nüscht" wissen und der Oberarzt frohen Mutes bekennt, seit Ewigkeiten nicht geschlafen, aber dafür den ganzen Vormittag operiert zu haben. "Da weiß sich der Kranke in guten Händen", so Butzko.

Die Poetry-Slammerin Meike Harms. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Nicht ganz so weit wie sein Berliner Kollege hatte es Martin Schmitt, der aus dem Nachbarlandkreis Starnberg angereist war. Der Klavierkabarettist, der nach eigenen Angaben öfters mal mit dem ehemaligen, gleichnamigen Skispringer verwechselt wird, zündet auf Anhieb mit seinem knochentrockenen Humor und fetzigen Boogie-Woogie. "Ein wunderbares Instrument", pries er den Stutzflügel auf der Bühne. Normalerweise mache er schlimme Erfahrungen, wenn er etwa ein paar Tage vor dem Auftritt den Anruf aus der Provinz erhalte, "Es gibt ein Problem mit dem Flügel, wir ham nämlich keinen", gefolgt von der Ankündigung "Aber wir dadn Eana das nussbraune Klavier herrichten". Wenn er den Hausmeister vor Ort dann darauf hinweise, dass das Piano nicht mal gestimmt sei, pariere der damit, es sei immerhin frisch gestrichen, gefolgt vom Totschlagargument "I heer nix".

Martin Schmitt ist der geborene Entertainer, der mit diabolischem Blick sein Publikum fixiert, während er gleichzeitig virtuos auf die Tasten hämmert. Wer im Publikum beim Finalsong "Sächsbomb", einer auf sächsisch vorgetragenen Satire des Tom-Jones-Gassenhauers "Sex Bomb" nicht vor Lachen Seitenstechen bekam, dem war nicht mehr zu helfen.

© SZ vom 10.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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