Süddeutsche Zeitung

Klingende Vielfalt:Gebetsruf von der Moschee

Der Penzberger Imam Benjamin Idriz möchte den Gesang des Muezzin in Corona-Zeiten freitagmittags per Lautsprecher nach draußen übertragen. Bürgermeister Stefan Korpan lässt die Idee prüfen

Von Benjamin Engel, Penzberg

Zum Freitagsgebet ist die Penzberger Moschee innen stiller geworden, nach außen soll sie aber hörbarer werden. Stiller ist das muslimische Gotteshaus, weil weniger Menschen wegen Corona zum Beten kommen. Hörbarer soll es werden, weil Imam Benjamin Idriz den Gebetsruf ins Freie übertragen lassen möchte. Damit wäre das "Allahu akbar" (Gott ist groß) des Predigers auch auf der Straße im Umkreis der Moschee zu hören. Dies könne in schwieriger Zeit Trost spenden, sagt der Vorsitzende des Islamischen Forums. "Wir wollen ein Signal geben, dass Religion Halt geben kann." Viele Penzberger empfänden die muslimische Gemeinde als kulturelle Bereicherung, sagt Idriz. Die Stadt sei reif, dies auszuhalten.

Das islamische Gotteshaus in Penzberg gilt als fortschrittliche Vorzeige-Moschee. Ihr Leiter Idriz tritt sanft auf. Entsprechend zurückhaltend formuliert der gebürtige Mazedonier seine Idee: Der Gebetsruf solle einmal pro Woche während des Freitagsgebets zur Mittagszeit um 13 Uhr nach draußen übertragen werden. Der Zeitpunkt sei so gewählt, damit sich niemand gestört fühle. Der Gebetsruf dauere nicht länger als drei bis vier Minuten. "Der melodisch musikalische Rhythmus ist sehr beruhigend", sagt Idriz. Der öffentlich übertragene Ruf des Muezzin wäre für ihn ein Zeichen der Normalität. Dies sei gerade in Krisenzeiten wichtig für den Zusammenhalt, sagt der Imam. Denn Muslime seien Teil der Gesellschaft. Er selbst plädiere unter Muslimen dafür, die christlichen Kirchen zu respektieren. Alle sollten den Gebetsruf und die Kirchenglocken akzeptieren. Vorstellbar sind für Idriz auch gemeinsame Aktionen des Islamischen Forums und der Kirchen in Penzberg.

Die Infektionszahlen mit dem Coronavirus waren vor einem halben Jahr stark angestiegen. Zum diesjährigen Fastenmonat Ramadan im Frühjahr hatten die staatlichen Behörden daher Gottesdienste verboten. Doch einige Kommunalverwaltungen in Bayern erlaubten per Sondergenehmigung für eine begrenzte Zeit, den muslimischen Gebetsruf nach außen zu übertragen. Fürstenfeldbruck machte dies einmal möglich, die Münchner Stadtverwaltung über einen begrenzten Zeitraum für fünf Moscheen unter genauen Auflagen. Dort war die Lautstärke auf maximal 85 Dezibel begrenzt, das entspricht etwa dem Lärm einer Hauptstraße. Nur ein Ruf um 19 Uhr pro Tag und freitags um 13 Uhr zum Mittagsgebet war gestattet. Der Gebetsruf durfte maximal zehn Minuten dauern. Möglich war dies jedoch nur, solange Gottesdienste wegen der Pandemie verboten waren.

Über soziale Netzwerke hätten viele gläubige Muslime von den öffentlich übertragenen Gebetsrufen erfahren, berichtet Imam Idriz. Im Gespräch mit dem Penzberger Bürgermeister Stefan Korpan (CSU) sei er spontan auf die Idee gekommen, ob dies auch in seiner Kommune möglich sein könne. "Das war nur eine Bitte", erklärt Idriz. Auch bei einem Treffen von Religionsvertretern im Landkreis Weilheim-Schongau vergangene Woche sei dies zur Sprache gekommen. "Wir warten jetzt auf eine Rückmeldung der Stadt", sagt Idriz.

Im Rathaus reagieren die Mitarbeiter auf Nachfrage sehr zurückhaltend. Der Bürgermeister habe gesagt, die Idee prüfen zu wollen, heißt es aus dessen Vorzimmer am Montagnachmittag. Bislang gebe es noch keine abschließende Stellungnahme. "Das Thema ist sehr sensibel."

Als "Gottlose" bezeichnen sich die Mitglieder des bayerischen Bunds für Geistesfreiheit selbstironisch. Stellvertretende Vorsitzende deren Münchner Gemeinschaft ist die Wolfratshauser Grünen-Stadträtin Assunta Tammelleo. Sie findet Idriz' Idee nur konsequent und folgerichtig. "Solange in diesem Staat Kirchenglocken läuten dürfen, können wir auch der muslimischen Gemeinde den öffentlichen Gebetsruf nicht verwehren", sagt sie. Idriz kenne sie als sehr moderaten, aufgeschlossenen Menschen. Dessen Idee sehe sie entspannt. "Mir persönlich ist es wurscht, ob der Imam ruft oder die Glocken bimmeln", sagt Tammelleo. Ob ein öffentlicher Gebetsruf zu mehr Verständnis beitrage, wisse sie nicht. Zu hoffen sei nur, dass damit keine ausländer- und moslemfeindlichen Stimmungen geschürt würden.

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SZ vom 30.09.2020
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