Gastspiel in Benediktbeuern:Vielschichtiges Vergnügen

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Die Puppenspieler sind nicht unsichtbar, sondern agieren auf der Bühne - mit unbewegten Mienen und fließenden Bewegungen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Georgische Studenten lassen Stabpuppen tanzen

Von Susanne Hauck, Benediktbeuern

Georgien ist ein kleines Land an der Schwelle zwischen Russland und dem Orient. Mit kaum vier Millionen Einwohnern, von der Fläche nicht größer als Bayern. Immer noch kämpft es um den wirtschaftlichen Anschluss, für die Kultur fällt kaum Geld ab. Das muss man wissen, um den Reichtum an künstlerischen Traditionen wertzuschätzen, den dieser Zwergenstaat hervorbringt. Eine Kostprobe davon erlebten die Zuschauer beim Auftritt des Stabpuppentheaters, das am Sonntag bereits zum vierten Mal in Benediktbeuern gastierte.

Zwei in Deutschland lebende Georgier führen als nimmermüde Brückenbauer zwischen den Ländern in den Abend ein. nach George Kobulashvili an der Oboe begrüßt Friedemann Götzger die vielen Bewunderer des Ensembles in der voll besetzten Tenne des Meierhofs. Er erzählt von den schwierigen Bedingungen, unter denen diese Theaterkunst entsteht und was es den jungen Frauen und Männern bedeutet, sie auf einer jährlichen kleinen Tournee einem Publikum außerhalb ihres Landes näherbringen zu können.

Die Puppenspieler sind allesamt Studenten an der Staatlichen Kunstakademie in der Hauptstadt Tiflis. Unter ihrem Leiter Giga Lapiashvili entwerfen sie all ihre Charaktere, kleiden sie mit aufwendigen Kostümen und Perücken ein und bestreiten bis hin zur Inszenierung und Bühnentechnik alles in eigener Regie. Sich auf ihr Spiel einzulassen, lohnt sich auch bei der jüngsten Inszenierung. "Im Anfang war das Wort" heißt das 45-minütige Stück, das in mehreren kurzen Episoden Legenden quer durch die Historie nachspürt, von Herakles und Moses über Asterix bis hin zu einem russischen Heldenepos.

Das Besondere an dieser Tradition des Stabpuppentheaters ist, dass die Spieler nicht unsichtbar sind, sondern selbst auf der Bühne in Erscheinung treten. Jedoch ganz in schwarze Gewänder gehüllt, die Haare sorgsam unter Kopftüchern und Kapuzen verborgen, so dass sie fast mit dem dunklen Hintergrund verschmelzen, wäre da nicht der reizvolle Kontrast mit den hellen Gesichtern.

Gleich mehrere Figurenführer sind notwendig, um die etwa 50 Zentimeter großen Puppen mittels an Kopf, Armen und Beinen befestigten Stäben in Bewegung zu bringen. Oder besser gesagt: sie stolzieren, marschieren, paradieren, stampfen, zappeln, tänzeln und durch die Luft schnellen zu lassen. Es ist eine ungemein reizvolle Choreografie auf zwei Ebenen, die sich da entfaltet: die der Marionetten und die der Studenten. Denn schnell drängen sich fünf, sechs Figuren und ein Dutzend und mehr Spieler auf der kleinen Bühne. Da könnte man sich leicht in die Quere kommen, und um die Stockpuppen weiterhin mit der notwendigen Präzision führen zu können, gleiten die jungen Leute mit ihren ernsthaften, unbewegten Mienen in fließenden Bewegungen dahin, einem eigenwilligen, kapriziösen Ballettreigen gleich.

Sage und schreibe 63 Figuren sind es, welche die 29 Studenten im Laufe des Stücks vorführen, jede von ihnen aus Pappmache auf einen hölzernen Stock modelliert. Die ziemlich skurril interpretierten kurzen Episoden kommen ohne große Worte aus, das Nötigste wird aus dem Off in georgischer und deutscher Sprache erzählt. Was die Zuschauer am meisten bewundern, ist die Fertigkeit, mit der die Puppen zum Leben erweckt werden. Da tanzen die alten Helden der Weltgeschichte in atemberaubender Synchronität miteinander Rock 'n' Roll und werfen die Beine hoch zum frechen Cancan, da wiegt sich ein Saxofonspieler im Takt und bearbeitet ein Trommler furios sein Instrument.

Wenn sich zum Schluss der gefährliche Drache gar nicht als Menschenfresser entpuppt, sondern als Gourmet von Babynahrung, verwundert dieser Gag nur diejenigen im Publikum, die nicht wissen, dass dies ein Dank des Ensembles an seinen Mäzen ist, den Pfaffenhofener Unternehmer Claus Hipp. Der stellt nämlich nicht nur Gläschenbrei her, sondern hält als studierter Maler auch eine Professur in Tiflis. Zusammen mit Kunstprofessor Lapiashvili gründete er 2011 das nach seinem Großvater benannte Joseph-Hipp-Theater, um die Tradition des Stabpuppenspiels wiederzubeleben.

© SZ vom 23.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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