Süddeutsche Zeitung

Frust statt Eis und Kuchen:Café Albtraum

Lucia und Stefan Thumm wollten sich schon immer mit einem Eisstandl selbstständig machen und damit einen Lebenstraum verwirklichen. In Benediktbeuern stand dieser Wunsch kurz vor der Erfüllung. Doch dann kam alles ganz anders

Von Florian Zick

Auf dem Steinboden in dem mobilen Häuschen sind mit Kreidestift noch die Platzhalter für die einzelnen Gerätschaften eingezeichnet - die Spüle, die Eismaschine, den Kühlschrank. Auf diesen knapp 15 Quadratmetern wollten Lucia und Stefan Thumm einen kleinen Lebenstraum verwirklichen. Sie wollten in ihrem Garten aus dem Verkaufswagen heraus Kaffee, Eis und kleine Snacks servieren. Doch anstatt Gäste zu bewirten, sagt Stefan Thumm inzwischen: "Du sollst hier weich, mürbe und fertig gemacht werden."

Wie aus dem einstigen Lebenstraum ein veritabler Albtraum werden konnte, ist eine baurechtlich komplizierte Geschichte. Seinen Lauf nahm das Unglück am 11. April 2017. Da fällte der Gemeinderat von Benediktbeuern einen Beschluss, den er so niemals hätte fassen dürfen. Den Thumms wurde damals einstimmig zugesagt, dass sie an ihrem Haus am Mariabrunnweg eine Garage bauen und diese als Kiosk nutzen dürfen. Bereits drei Wochen später kassierte das Landratsamt den Beschluss allerdings schon wieder ein: Der Bebauungsplan für den Mariabrunnweg lasse zwar grundsätzlich einen Laden oder ein Café zu, schrieb die Behörde. Man könne die Nutzungserlaubnis jedoch nicht einfach auf die Garage übertragen.

Nutzung untersagt

Die Thumms beantragten daraufhin eine Änderung des Bebauungsplans. Weil die Gemeinde dies allerdings ablehnte, verfolgte das Ehepaar von da an einen anderen Weg. Lucia und Stefan Thumm ließen sich ein sogenanntes "Tiny House" bauen. Dieses Minihäuschen steht auf einem Anhänger mit Kfz-Kennzeichen, fällt somit also auch nicht unter das Baurecht - so dachten zumindest die Thumms. Für das Tiny House hat das Landratsamt inzwischen allerdings nicht nur die Nutzung als Kiosk untersagt, sondern sogar die Beseitigung angeordnet. Schließlich sei die kleine Hütte durchaus mit einem nicht genehmigten Festbau vergleichbar.

Lucia Thumm steht in ihrer Küche und schaut hinaus auf das mobile Häuschen im Garten. Sie und ihr Mann sind große Skandinavienfans. Bei mehreren Reisen hätten sie das "lockere und unkomplizierte Leben" dort schätzen gelernt, erzählt die 38-Jährige. Ein Stück davon hätten sie mit ihrem Kiosk nun auch gerne nach Benediktbeuern geholt. "Wir wollten keine Millionäre werden", sagt Lucia Thumm. Man habe eigentlich nur etwas für den Ort tun wollen. Wenn sie jetzt auf die kleine Holzterrasse vor dem Tiny House aber auch nur einen Liegestuhl stellen würde, müsste sie wegen des Nutzungsverbots mit 1000 Euro Strafe rechnen. "Ich verstehe nicht, warum wir hier so bekämpft werden", sagt Thumm.

Die Eheleute wittern inzwischen eine groß angelegte Verschwörung. Das liegt nicht nur an dem Datum, an dem die behördlichen Schreiben bei ihnen eingegangen sind - jeweils ein paar Tage, bevor sie mit ihrem Geschäft loslegen wollten. Es liegt auch an dem nicht gerade geschäftsfördernden Bauschuttlager, das die Gemeinde auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwischenzeitlich eingerichtet hat. Vor allem aber liegt das an einem Wahlwerbespot, den der jetzige Rathauschef Toni Ortlieb (Benediktbeurer Bürgervereinigung) für den vorgezogenen Bürgermeisterwahlkampf Mitte des Jahres drehen ließ. Darin verspricht Ortlieb, die Alte Apotheke unten im Ortskern mit einer Eisdiele wiederzubeleben. Seit die Thumms diesen Spot gesehen haben, ist für sie klar: Die Gemeinde verhindert ihren Kiosk nur, damit die Alte Apotheke keine Konkurrenz bekommt.

Das mit der Apotheke sei natürlich absurd, sagt Bürgermeister Ortlieb. Die beiden Standorte lägen viel zu weit voneinander entfernt, als dass man sie in Beziehung zueinander setzen könnte. Wenn man aber alle Vorfälle in Summe betrachte: "Das muss für die Thumms natürlich so aussehen, als würde die Gemeinde einen Joker nach dem anderen ziehen, um das Projekt zu verhindern." Ortlieb bedauert, dass es mit dem Kiosk nichts geworden ist. Die Thumms wohnen an einem Wanderparkplatz. Von dort aus kann man wunderbar durchs Lainbachtal laufen, auf den Windpässel oder hoch auf die Tutzinger Hütte. Touristisch gesehen wäre das ein optimaler Standort gewesen, sagt auch Ortlieb. An dem Bebauungsplan gebe es aber nichts zu rütteln. "Das ist alles ziemlich verzwickt", so der Bürgermeister.

Die verzwickte Angelegenheit liegt inzwischen beim Verwaltungsgericht München. Die Thumms erwägen zudem eine Schadenersatzklage. Die Regierung von Oberbayern will dem Gerichtsentscheid zwar nicht vorgreifen. In einer Stellungnahme ordnet die Aufsichtsbehörde das Nutzungsverbot für das Tiny House jedoch als nachvollziehbar ein. Zwar sei am Mariabrunnweg ein Café zulässig, aber eben nur innerhalb der genehmigten Wohnhäuser, nicht in einem Anbau.

Was den Thumms helfen könnte, ist, dass es in Benediktbeuern eine Art Präzedenzfall gibt, nämlich "Otti's Eisgarten". Dieses Café liegt zwar am anderen Ende des Ortes, aber auch dort wird Eis und Kaffee verkauft - mitten in einem Wohngebiet, aus einer Garage heraus. Und selbst wenn das am Mariabrunnweg nicht in gleicher Weise gehen sollte, sagt Lucia Thumm: In dem Verkaufswagen müsse man sie ihr Café betreiben lassen, zumindest für drei Monate als Reisegewerbe. Den Rest des Jahres könne sie mit dem mobilen Häuschen ja auch durch die Gegend tingeln. Sie könne auf dem "Tollwood" in München Station machen oder auf anderen Märkten. "Aber wir können uns hier ja auch nicht auf etwas versteifen, das von allen Seiten torpediert wird"" so Thumm.

Ob aus der geplanten Eis- und Kaffeestation jemals noch etwas wird, ist also ungewiss. Die Eismaschine hat Stefan Thumm inzwischen bei sich im Büro eingelagert. Das über 30 000 Euro teure Tiny House überlegen die Thumms wieder zu verkaufen. Es sei zwar ein schöner Traum gewesen, sagt Stefan Thumm. "Aber hier wird alles nur totgeknüppelt."

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019
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