Freizeit, Spaß und die Frage nach der Sicherheit:Auf eigene Gefahr

Wie sicher müssen Badeplätze sein? Die Diskussion schlägt derzeit in manchen Seegemeinden hohe Wellen. Im Tölzer Landkreis gibt man sich indes gelassen. So gehen die Bürgermeister mit Rutschen und Stegen um

Von Otto Fritscher, Tabea Huser,David Costanzo und Benjamin Engel, Starnberg

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs müssen Bademeister in Strandbädern das gesamte Gelände "fortlaufend" und "regelmäßig" überwachen. Passiert ein Unglück, müssen die Schwimmbadbetreiber beweisen, dass es nicht abwendbar gewesen wäre. Andernfalls haften sie. Gemeinden im Fünfseenland sind alarmiert, weil sie das Risiko bei Unglücken nach dem Urteil nicht mehr tragen können. In Dießen am Ammersee etwa hat der Gemeinderat sogar beschlossen, seine Strandbäder zu bloßen Badestellen zurückzubauen. Im Tölzer Landkreis hingegen geben sich die Betreiber gelassen.

Klein und überschaubar ist das Naturbad in Bichl. Das Urteil des Bundesgerichtshofs sei bislang kein Thema gewesen, sagt Bürgermeister Benedikt Pössenbacher (UBB). Außer einem Einmeterbrett gebe es keine Aufbauten. Eine Aufsichtskraft überwache das Badegelände immer, bei großem Andrang komme noch eine zweite Kontrollperson hinzu. Die Kommune habe sogar per Gutachten überprüfen lassen, ob sie die Aufsicht im Bad korrekt organisiere. "Eigenverantwortung haben die Leute aber schon auch", sagt Pössenbacher.

Eineinhalb Hektar groß und bis zu 1,90 Meter tief sind die Wasserflächen im Naturfreibad Eichmühle in Bad Tölz. Mit Seilen sind Badeinseln im Untergrund verankert. Die Stadtwerke Bad Tölz sind der Betreiber. Laut einem Mitarbeiter wachten immer zwei Aufsichtspersonen über die Schwimmer. Ein Rückbau von Badeinseln sei bisher kein Thema.

Auch in den meisten Gemeinden am Starnberger See und den weiteren drei Seen ist das Thema bekannt. Wie die Bürgermeister mit der Aufsichtspflicht umgehen - ein Überblick:

Im Strandbad des Seebads in Starnberg wachen laut Stadt je drei Mitarbeiter pro Schicht über die Schwimmer. Daher seien keine Rückbauten erforderlich, und es werde auch in dieser Saison wieder die beliebte Krake und die Badeinsel im See für große und kleine Badegäste geben, sagt Bürgermeisterin Eva John. "Allerdings wird es zunehmend schwieriger, den immer strengeren Vorschriften, folgend der benutzerfreundlichen Rechtsprechung, gerecht zu werden", sagt John. Keine Änderungen sind an den Badestellen an Steininger- und Böhler-Grundstück geplant, wo auch keine Spielgeräte vorhanden sind.

Hochsommer im Strandbad Starnberg

Die beliebte Krake wird auch heuer im Starnberger Seebad schwimmen, weil die Stadt mit drei Mitarbeitern pro Schicht die Aufsicht leistet.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Badegelände in Kempfenhausen gehört dem Erholungsflächenverein, die Sicherheit fällt aber in die Zuständigkeit des Landkreises Starnberg. Der sieht nach Auskunft einer Sprecherin keine Probleme, da bis auf den Steg, mit 95 Metern der längste am Starnberger See, keine Aufbauten am Ufer vorhanden seien. Die Gemeinde Berg hat einen kleinen, 1500 Quadratmeter umfassenden kommunalen Badeplatz. Er befindet sich direkt unterhalb der Seeburg in Allmannshausen. Das Gelände ist öffentlich zugänglich, die Gemeinde erhebt auch keinen Eintritt. Im Wasser vor der Liegewiese gibt es ein 25 Quadratmeter großes Badefloß, das ganzjährig im Wasser bleibt. "Wir lassen die Verankerung des Floßes regelmäßig überprüfen, dabei sind auch Taucher im Einsatz", sagte Bürgermeister Rupert Monn. Das Floß abbauen will er nicht. "Wir geben unser Bestes, die Sicherheit zu gewährleisten. Sollten wir aber künftig eine Aufsicht benötigen, ist das Ganze gestorben", so Monn.

Eine Badeinsel gibt es auch einen Ort weiter, im Gemeindebad von Münsing an der Nördlichen Seestraße. Das Floß ist sehr beliebt bei den Kindern, die Gemeinde hat es dank einer Spende vor nicht einmal drei Jahren angeschafft, berichtet Bürgermeister Michael Grasl. Außer einer Einstiegshilfe ins Wasser gibt es keine Aufbauten. Im Sommer hat die Wasserwacht ein Auge auf die Badegäste. Der Bürgermeister bleibt gelassen, das Floß werde nicht abgebaut. Eine Gemeinde könne keine durchgängige Aufsicht gewährleisten, sagt Grasl. "Da sind auch die Eltern gefragt. Wenn wir alles auf die Öffentlichkeit abwälzen, können wir gleich aufhören." Da die anderen Badeplätze der Gemeinde, etwa der Holzhauser Badeplatz oder der kleine Uferbereich am Schloss Ammerland, ein Geheimtipp, "naturbelassen" seien, erwartet der Bürgermeister auch dort keine Probleme. Das Badegelände in Ambach mit zweieinhalb Kilometern Uferlänge gehört dem Erholungsflächenverein, der nicht für eine Stellungnahme zu erreichen war.

In Seeshaupt fürchtet Bürgermeister Michael Bernwieser keine Einschränkungen. Das Gemeindebad am Campingplatz verfüge über ein "natürliches Seeufer", auf Spielgeräte und Bauten im See habe man absichtlich verzichtet - aus Kostengründen. Auch beim privaten Badeplatz im Ort gebe es nur einen kleinen Steg für Boote. In Bernried gibt es laut Bürgermeister Josef Steigenberger keine gemeindlichen Badeeinrichtungen. Aus Tutzing gab es keine Stellungnahme.

In Feldafing ist Bürgermeister Bernhard Sontheim immer noch total sauer: "Es muss doch reichen, wenn ein Schild ,Benutzung auf eigene Gefahr' dasteht. Man muss halt auch sein Hirn einschalten, bevor man von einem Sprungturm ins Wasser hüpft." Bis zur Saisoneröffnung will die Gemeinde den Turm im Strandbad neu gebaut haben. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir darauf verzichten", sagt Sontheim. "Vielleicht kann uns die Wasserwacht bei der Aufsicht helfen." Es müsse noch einiges geklärt werden, etwa, ob die Pächterin Eintritt verlangen darf.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs

Die Gemeinde Dießen und andere betroffene Kommunen reagieren auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. November 2017. Ein zwölfjähriges Mädchen hatte sich in einem Naturschwimmbad in Rheinland-Pfalz mit dem Arm im Befestigungsseil einer Boje verfangen. Der Bademeister erkannte zunächst nur, dass sich die Boje senkte. Er befragte zwei Kinder und bat ein drittes nachzusehen. Erst danach holte er seine Schwimmbrille, um selbst nachzusehen, und entdeckte das leblose Mädchen. Es überlebte knapp und wird aufgrund von Hirnschäden sein Leben lang schwerstbehindert und pflegebedürftig sein. Seit dem Unglück im Jahr 2010 kämpften die Eltern mit der Gemeinde um Schadenersatz in Millionenhöhe. Die ersten beiden Instanzen gaben der Kommune recht, der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil schließlich den Eltern. Bademeister müssten den gesamten Schwimm- und Sprungbereich "fortlaufend" und "regelmäßig" überwachen. Gleichzeitig kehrte das Gericht erstmals die Beweislast um: Ein Schwimmbadbetreiber muss bei grober Fahrlässigkeit nur dann nicht haften, wenn er selbst beweisen kann, dass das Unglück auch bei einer pflichtgemäßen Aufsicht nicht abwendbar gewesen wäre. Ein Strafrechtsexperte hatte im Dießener Gemeinderat darauf hingewiesen, dass dieses Urteil auch Signalwirkung für eine strafrechtliche Organhaftung habe. Demnach müssten sich Bürgermeister und Gemeinderäte bei Unglücken womöglich wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung vor dem Staatsanwalt verantworten.sz

Die Gemeinde Pöcking muss sich keine Sorgen machen, berichtet Bürgermeister Rainer Schnitzer. Dort gebe es keinen Sprungturm und keine Schwimminseln. Zudem gehörten die Uferflächen nicht der Gemeinde. Für das Erholungsgelände "Paradies" in Possenhofen sei die Landeshauptstadt München zuständig.

Auch in Seefeld schlägt die Diskussion hohe Wellen. "Am Wörthseeufer gibt es ein Badegelände, da hat der Pächter eine Schwimminsel im Wasser", sagt Bürgermeister Wolfram Gum. Er werde wohl mit dem Pächter reden, ob die Insel abgebaut oder beaufsichtigt werden müsse. Die Schwimminsel im Pilsensee sei Sache von Graf Toerring. Gum rettet sich in Ironie: "Und dann werden wir überall Schilder aufstellen: ,Achtung, gefährliche Zone: Wasser!'" Bevor er konkrete Maßnahmen treffe, wolle er das Urteil selbst lesen.

Auch nach Weßling ist die Diskussion geschwappt. Bürgermeister Michael Muther erklärt aber, dass "der Weßlinger See kein Badesee ist, sondern ein Natursee". Deshalb gebe es keine Badeeinrichtungen. "Das ist so, als wenn Sie irgendwo in einen Weiher gehen." Lediglich einen gemeindlichen Steg gebe es, "aber wenn es sein muss, bauen wir den halt wegen dem Schmarrn ab". Und auch Muther zeigt sich von der Diskussion genervt. "Wir können schließlich ja nicht schauen, ob jeder, der an den See kommt und ins Wasser geht, auch schwimmen kann."

In Wörthsee gibt es am gleichnamigen See laut Auskunft von Bürgermeisterin Christel Muggenthal drei größere und zwei kleinere Badestellen. "Wir haben aber kein Floß und auch keine Plattformen auf dem Wasser", anders als etliche Privatleute. Bei den Badestellen gibt es auch Bänke, "die stehen aber zufällig auch neben dem Wanderweg, der rund um den Wörthsee führt", sagt Muggenthal und lacht. "Schade, dass so etwas wie ein Badefloß nicht mehr geht", sagt sie und erinnert an die Diskussion vor bald zehn Jahren, als der Gemeinderat aus rechtlichen Gründen ein Floß abgelehnt hatte. Sie sagt: "Wir haben klagefreudige Eltern." Sie erinnert sich aber auch an eine Frau, die die Gemeinde verklagt hatte, als sie beim Aussteigen aus dem Auto auf dem Rathausparkplatz im Winter ausgerutscht war. "Die Frau hat den Prozess verloren. Der Richter hat ihre erklärt, dass man im Winter keine Stöckelschuhe trägt."

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