Die Landkreise des Oberlands haben sich mit dem Beitritt zur Bürgerstiftung Energiewende Oberland (EWO) das Ziel gesetzt, ihren Energiebedarf bis zum Jahr 2035 vollständig aus erneuerbaren Energien (EE) zu decken. Die Halbzeit ist fast erreicht, die Bilanz zum Teil ernüchternd. Das zeigen die Ergebnisse des fünfjährigen Forschungsprojekts Inola, die am Dienstag im Zentrum für Umwelt und Kultur in Benediktbeuern präsentiert wurden. "Wir haben genügend geforscht und analysiert", sagte Elisabeth Freundl, Projektkoordinatorin der EWO. Jetzt müsse gehandelt werden, sonst sei das Ziel nicht zu erreichen. Auch stellvertretender Landrat Klaus Koch (Grüne) sieht dringenden Handlungsbedarf. Man könne sich jetzt keiner Maßnahme mehr verweigern. "Nur wenn wir alles machen, schaffen wir es vielleicht."
Wie die Studie zeigt, reicht das Potenzial der drei untersuchten Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen, Miesbach und Weilheim-Schongau aus, um die Region ausschließlich mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Sowohl die naturräumlichen Gegebenheiten, als auch die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten sind vorhanden. Sie werden aber bislang in keiner Kommune voll ausgeschöpft. Auch die wirtschaftlichen Chancen, die ein EE-Ausbau bringen könnte, werden nicht genutzt. Für das Energiewendeziel müsse ein massiver Ausbau in der Region erfolgen, gepaart mit einer verstärkten Einsparung, fordern die Autoren. Ein Ausbau ausschließlich über gebäudegebundene Anlagen reicht nach den vorliegenden Daten nicht aus: Die Energiewende werde die Landschaft verändern, dafür müsse gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen werden.
Fünf Jahre haben Wissenschaftler und Praktiker der LMU, der EWO, des ifo-Instituts und der Stadtwerke Bad Tölz an der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Inola-Studie gearbeitet. Der Ist-Zustand in den Landkreisen wurde erfasst, Simulationen wurden erarbeitet und 29 Handlungsempfehlungen abgeleitet, die den drei Landräten Andrea Jochner-Weiß, Wolfgang Rzehak und Klaus Koch bei der Abschlussveranstaltung am Dienstag überreicht wurden. Professor Wolfram Mauser von der LMU sprach über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Energiewende, es gab eine Podiumsdiskussion.
Wie die Daten der Studie zeigen, ist der Weg zu einer nachhaltigen Energieerzeugung noch steinig: Nur knapp die Hälfte des Strombedarfs der Region wird durch EE-Anlagen gewonnen. Am häufigsten sind Photovoltaik-Anlagen (9,4 Prozent), den größten Energieanteil liefert allerdings die Wasserkraft (32 Prozent), die vorrangig im Walchenseekraftwerk erzeugt wird. Biogasanlagen tragen 5,6 Prozent bei, die vier Windräder - ein großes in Peißenberg sowie drei Kleinanlagen - produzieren laut Studie einen "vernachlässigbaren Anteil". Bei der Wärme liegt der Anteil der Erneuerbaren nur bei knapp 14 Prozent. Den Hauptanteil machen Biomasse und Biogas mit rund zehn Prozent aus.
Wie Projektleiterin Anne von Streit vom Institut "Mensch-Umwelt-Beziehungen" der LMU sagte, sei die Energiewende in Politik und Gesellschaft "noch nicht ausreichend verankert". Wegen der Neufassung der EEG-Vergütung habe die Zahl der neuen PV-Anlagen nach einem fünfjährigen Boom im Jahr 2015 einen Tiefstand erreicht. Auch gesellschaftliche Konflikte, etwa die Diskussionen um Windkraftanlagen in Dietramszell oder ein Pumpspeicherwerk auf dem Jochberg, hätten den Ausbau gebremst. Dabei sei ein erstaunliches Ergebnis der Studie, dass Windkraftanlagen in Bezug auf ihre Akzeptanz bei den Befragten "im Mittelfeld" liegen, hinter Photovoltaik und Wasserkraft, aber vor Biogasanlagen.
In der Studie wurden Modellrechnungen angestellt, wie die Zielmarke 100 Prozent erreicht werden könnte. Demnach könnte die Lücke bei der Stromversorgung geschlossen werden, wenn auf jedem zweiten Dach eine PV-Analge installiert und neun Windräder gebaut würden. Denn die Windkraft gehört zu den Techniken mit Potenzial: Laut Studie gäbe es allein im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen 486 Standorte mit genügend Wind. Bei Anwendung des Regionalplans bleiben noch elf, unter zusätzlicher Berücksichtigung der 10 H-Regelung (die Anlage muss im Abstand vom Zehnfachen ihrer Höhe zur nächsten Ortschaft stehen) noch fünf Standorte. Eine Handlungsempfehlung der Studie lautet: Der Regionalplan müsse überarbeitet werden, um weitere Flächen für die Windkraftnutzung freizugeben. Auch Tiefengeothermie solle gefördert und das große Potenzial an PV-Freiflächen entlang von Schienen und Autobahnen genutzt werden. Weiterhin wird empfohlen, dass Kommunen in Bebauungsplänen die Nutzung der Dachflächen für PV-Anlagen verankern.
Die Mehrkosten des Ausbaus erneuerbarer Energien werden in der Studie auf 40 bis 86 Euro pro Jahr und Einwohner beziffert. Wertschöpfungseffeke machen laut der Projektleiterin aber bis zu 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Zudem seien zwei bis drei Prozent der Beschäftigten direkt oder indirekt mit der Energiewende verbunden. Auf einen ausgewogenen Mix an Technologien müsse ebenso geachtet werden wie auf eine frühere und stärkere Einbindung von Bürgern und Naturschutzverbänden. "Die Energiewende ist die Voraussetzung, um den Klimawandel in Schranken zu halten", sagte Professor Mauser. Für die Umsetzung sei "technisch alles da". "Es muss noch in die Köpfe."