Föhrenwald: Nazi-Siedlung, DP-Lager, Stadtteil:Die koscher kochende Köchin

Irmentraud Wohlfahrt ist eine besondere Zeitzeugin, die zwei von drei Welten erlebt hat, für die der Name "Föhrenwald" steht. Sie erzählt auch von der Mikwe im Badehaus am heutigen Kolpingplatz.

Felicitas Amler

Föhrenwald: Nazi-Siedlung, DP-Lager, Stadtteil: Irmentraud Wohlfahrt kennt Föhrenwald, das heute Waldram heißt, seit bald sechzig Jahren. Die heute 82-Jährige hat als junge Frau im DP-Lager gearbeitet und dann zusammen mit ihrem Mann eines der Häuser erworben.

Irmentraud Wohlfahrt kennt Föhrenwald, das heute Waldram heißt, seit bald sechzig Jahren. Die heute 82-Jährige hat als junge Frau im DP-Lager gearbeitet und dann zusammen mit ihrem Mann eines der Häuser erworben.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Es sind harte Erinnerungen, die Irmentraud Wohlfahrt mit Föhrenwald verbindet: "Da war eine Frau, der hatten sie drei Kinder vergast." Und es sind schöne Erinnerungen, wie die an die Zwillingsmädchen der Familie, mit der sie in einem Haus lebte: "Rosa und Sonia - die waren wie meine Kinder." Sie breitet etliche braunstichige kleine Schwarz-Weiß-Fotos vor sich aus. Mal stehen da zwei identisch angezogene Mädchen inmitten einer großen Wiese, auf der Bettwäsche auf einer Leine zum Lüften hängt, dahinter zieht sich eine Häuserzeile entlang. Mal sitzen die dunkelhaarigen Zwillinge mit ihren Eltern vor einem lamettageschmückten Weihnachtsbaum. Wohlfahrt hat diese Fotos sorgsam aufbewahrt. Doch den Kontakt zu den Moczydlowers hat sie längst verloren. Die Familie ist ausgewandert, nach Kanada oder in die USA - sie weiß es nicht genau.

Die 82-jährige Irmentraud Wohlfahrt lebt seit bald sechzig Jahren in Föhrenwald, das längst nicht mehr so heißt - seit 1957 hat es den katholischen Namen Waldram. Wohlfahrt ist selbst katholisch, so wie es die meisten Heimatvertriebenen waren, die seit Mitte der 1950er Jahre dort, am Rande der Stadt Wolfratshausen, angesiedelt wurden. Sie aber war schon früher da. Als koscher kochende Köchin im Lager für jüdische Displaced Persons (DP). Eine besondere Zeitzeugin, die zwei von drei Welten erlebt hat, für die der Name "Föhrenwald" steht.

Auf diesem Gelände südlich der Stadt Wolfratshausen, zwischen Königsdorfer Straße und Isar, errichteten die Nazis 1939 eine Mustersiedlung, die während des Zweiten Weltkriegs als Lager für Zwangsarbeiter und sogenannte Dienstverpflichtete der nahe gelegenen NS-Rüstungsbetriebe diente. Bis zu 5000 Männer und Frauen lebten in den schlichten Häusern, die alle nach demselben Schema gebaut waren. Eigene Bäder und Küchen hatten sie nicht, dafür gab es Gemeinschaftshäuser. So auch das Badehaus am heutigen Kolpingplatz (damals "Danziger Freiheit") in Waldram. Für dessen Ausbau zu einer Dokumentations- und Begegnungsstätte engagiert sich heute der Verein "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald".

Föhrenwald: Nazi-Siedlung, DP-Lager, Stadtteil: Mit Rosa, Sonia und deren Eltern lebte Irmentraud Wohlfahrt in einem der typischen Föhrenwald-Häuser.

Mit Rosa, Sonia und deren Eltern lebte Irmentraud Wohlfahrt in einem der typischen Föhrenwald-Häuser.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Irmentraud Patzelt, so hieß sie damals, war 15 Jahre alt, als ihre Familie nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Sudetenland ausgesiedelt wurde. Zusammen mit ihrer Mutter und vier Schwestern zwischen acht und 15 Jahren war sie an verschiedenen Orten in Oberbayern untergebracht, bevor sie schließlich in Sankt Ottilien landete. In ihren jungen Jahren war sie Köchin geworden und arbeitete als Katholikin für jüdische Überlebende des Holocausts. Erst in Sankt Ottilien, so berichtet sie, das damals auch ein DP-Lager war, dann im jüdischen Sanatorium Bad Wörishofen, anschließend für kurze Zeit in München. "Ein Rabbiner war immer dabei." Gemeinsam mit ihm und einer Gruppe traumatisierter und kranker jüdischer Bewohner zog die junge Irmentraud seinerzeit, "das war so 1953 oder 54", nach Föhrenwald.

Auch von dem Rabbiner besitzt sie ein kleines Foto. Mit Anzug, Hut und mächtigem weißen Bart steht der alte Herr kerzengerade vor einem lichten Föhrenhain. Ein freundlicher, umgänglicher Mann sei er gewesen, sagt Wohlfahrt. Er habe ganz gut Deutsch gesprochen - keine Selbstverständlichkeit im Föhrenwald der Jahre zwischen 1945 und 1957, denn dort sprach man Jiddisch. In der Küche habe der jüdische Geistliche darüber gewacht, dass es koscher zuging: "Links war milchig, rechts war fleischig, dazischen stand der Rabbiner. Und jedesmal, wenn man von einer Seite auf die andere ging, musste man sich die Hände waschen." Ja, sagt die 82-Jährige lächelnd, das sei schon "irre umständlich" gewesen. Später habe sie nie wieder koscher gekocht.

Es war das Krankenhaus des DP-Lagers, in dessen Küche Irmentraud arbeitete. Kontakt zu den Kranken habe sie da kaum gehabt, sagt sie. Aber gehört habe man die Menschen doch: "Es waren ja meistens psychisch und seelisch Kranke. Die haben oft mitten in der Nacht zuschreien angefangen. Manche haben tagelang geschrien, die bekamen dann Beruhigungstabletten." So wie eben jene Frau, deren drei Kinder die Nazis vergast hatten.

Was die Eltern der Zwillingsmädchen Rosa und Sonia Moczydlower unter den Nazis erlitten hatten, weiß Wohlfahrt nicht. Sie habe nie danach gefragt, obwohl sie mit der Familie doch eineinhalb Jahre lang unter einem Dach lebte. In einem Raum im Erdgeschoss eines der typischen Föhrenwald-Häuser wohnte die jüdische Familie, in den anderen Zimmern unten und im ersten Stock waren Irmentraud, ein Pfleger und eine Krankenschwester untergebracht.

Föhrenwald: Nazi-Siedlung, DP-Lager, Stadtteil: Über Erinnerungen an das DP-Lager wie ein Care-Paket, Lebensmittelsäcke, Schuhe, Kaffeedosen und ähnliches verfügt auch das Heimatmuseum Wolfratshausen.

Über Erinnerungen an das DP-Lager wie ein Care-Paket, Lebensmittelsäcke, Schuhe, Kaffeedosen und ähnliches verfügt auch das Heimatmuseum Wolfratshausen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Nur einmal wollte Frau Moczydlower anfangen, über ihr Schicksal zu sprechen: "Aber da sind ihr gleich die Tränen gekommen." Und die junge deutsche Frau drang nicht in sie. Wie sie überhaupt eher einen unbeschwerten Kontakt zu der Familie pflegte. Hier christlich, da jüdisch - das sei für sie unbedeutend gewesen: "Die haben sogar mit mir Weihnachten gefeiert." Die beiden Zwillingsmädchen jedenfalls hatte sie ins Herz geschlossen - und die mochten ihren damaligen Freund und späteren Ehemann Jakob, erzählt sie und wirkt noch heute glücklich darüber.

Freundschaftlich und vertraut muss die Beziehung zwischen der jüdischen Familie und der katholischen Köchin gewesen sein. Auch wenn Irmentraud Wohlfahrt betont: "Ich bin christlich geblieben." Wohl wissend, welche Bedeutung das Badehaus in der heutigen Diskussion um eine Dokumentationsstätte Föhrenwald hat, sagt sie von sich aus und mit einem gewissen Stolz: "Ich bin in der Mikwe gewesen." Eine Mikwe ist ein jüdisches Ritualbad. Und ein solches soll in dem Badehaus am heutigen Kolpingplatz gewesen sein.

Die Historiker sind sich darüber noch nicht einig. Auch unter diesem Aspekt ist Irmentraud Wohlfahrt eine besondere Zeitzeugin. Sie jedenfalls lässt keinen Zweifel aufkommen: Mehrmals habe Frau Moczydlower sie aufgefordert, doch einmal mitzugehen in die Mikwe. Und das habe sie dann eben getan. Gefallen hat es ihr offenbar nicht. Das Wasser sei kalt gewesen. Und schließlich hatte das Ritual für sie, die Katholikin, ja auch gar keine Bedeutung.

Irgendwann mussten sie dann alle raus. Irmentraud Wohlfahrt aus dem Haus und die jüdische Familie aus Föhrenwald, weil das Katholische Siedlungswerk das Lager übernahm, um dort Heimatvertriebene unterzubringen. Die Moczydlowers wanderten aus. Irmentraud und ihr Mann Jakob aber schafften es, in Föhrenwald zu bleiben. Sie erwarben eines der dortigen Häuser und stotterten es über viele Jahre ab. Für die neuen - die ersten freiwilligen - Bewohner wurden die Gebäude freilich erst einmal umgestaltet. Wo zuvor pro Haus vier Waschstellen gewesen waren, wurden nun vollständige Bäder mit Wannen geschaffen. Auch Küchen mit Öfen wurden eingerichtet. So gerade eben rechtzeitig zu ihrer Hochzeit sei alles fertig geworden, zuletzt die Terrassentür, wie es sie früher in keinem Föhrenwald-Haus gegeben hatte: "Am Samstag haben wir geheiratet, am Donnerstag kam die Tür."

Über die ehemaligen jüdischen Mitbewohner sagt Irmentraud Wohlfahrt: "Die sind dann alle straßenweise ausgesiedelt worden." Der zuständige Verwalter habe sich darum bemüht, dass sie anderswo Wohnungen bekamen. Sie jedenfalls habe zu Juden weiter keinen Kontakt gehabt.

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