Flüchtlingspolitik:"Bis Jahresende sind die Unterkünfte voll"

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Nach wie vor gibt es keine bessere Notlösung als Turnhallen. (Foto: Manfred Neubauer)

Alle 21 Bürgermeister des Landkreises erklären in einem gemeinsamen Schreiben an Landes- und Bundespolitiker, dass die Kommunen für die Unterbringung Geflüchteter keine Kapazitäten mehr hätten. Sie fordern "strukturelle Veränderungen".

Von Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Aufgabe, die steigende Zahl von Geflüchteten unterzubringen, drohe den Landkreis zu überlasten. Das befürchten die Bürgermeister der 21 Kommunen in Bad Tölz-Wolfratshausen. Gemeinsam haben sie daher einen offenen Brief an die Landtags- und Bundestagsabgeordneten verfasst, in dem sie nationale Lösungen anmahnen. "Bis zum Jahresende sind die derzeit vorhandenen Unterkünfte schlicht voll", erklären die Rathaus-Chefs in dem Schreiben, das von Bürgermeistersprecher Michael Grasl (FW) aus Münsing und dem Gaißacher Rathauschef Stefan Fadinger (CSU/FWG) im Namen aller Kollegen unterzeichnet wurde. "Am Offensichtlichsten ist die Problematik, neben 1300 Ukrainern und 1200 anderen Flüchtlingen, die bereits im Landkreis leben, Wohnraum für weitere Flüchtlinge aus der ganzen Welt zu schaffen." Denn es gebe kaum noch verfügbare Wohnungen, und wenn, seien sie kaum bezahlbar.

Auch sorgen sich die Bürgermeister, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung schwinden könnte, wenn wieder Turnhallen und Gemeindesäle zur Unterbringung benötigt würden. "Denn die letzten zwei Jahre haben den Menschen viel abverlangt." Schul- und Vereinssport und weitere gesellschaftliche Aktivitäten hätten in der Pandemie ausfallen müssen. Sollten sie nun erneut nicht mehr möglich sein, würden das "viele Bürgerinnen und Bürger nur schwer akzeptieren".

Fest steht bereits, dass die Turnhalle an der Adalbert-Stifter-Straße in Geretsried nun erneut zur Unterkunft für Geflüchtete wird. Dieses Mal aber als dauerhafte Wohneinrichtung statt als Erstanlaufstelle wie im Frühjahr, erklärte Landratsamtssprecherin Marlis Peischer am Mittwoch. Anfang Dezember werde der Landkreis damit beginnen, die Halle herzurichten. Schulsport ist dort damit bald nicht mehr möglich.

Davor hatte Landrat Josef Niedermaier (FW) wiederholt gewarnt. Er unterstützt laut Peischer den Appell der Landkreis-Bürgermeister. Kürzlich mahnte der deutsche Städtetag einen Flüchtlingsgipfel an, um die Geflüchteten fairer zu verteilen. Um die 2500 Menschen - davon etwa 1300 Personen aus der Ukraine - sind derzeit im Landkreis untergebracht. "Wir betrachten die aktuelle Unterbringungssituation der Flüchtlinge mit großer Sorge", erklären die Bürgermeister. Pro Monat müssten Landkreis und Kommunen weitere hundert Menschen unterbringen.

Bürgermeister Michael Grasl sieht Verdichtungspotenzial eher in innerörtlichen, nicht überplanten Baulücken wie im Hauptort Münsing. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Gemeinden und das Landratsamt sehen sich nach eigner Aussage außerstande, mehr Wohnraum bereitzustellen. Es helfe nichts, wenn der Bund ankündige, Immobilien für Geflüchtete anzubieten. Denn weitere bundeseigene Liegenschaften existierten im Landkreis nicht. In Kooperation mit den Ehrenamtlichen in den Helferkreisen sei Immenses geleistet worden, um Flüchtlinge zu integrieren. "Wir spüren, dass die Unterbringung der Menschen einem Dauerlauf gleicht, der nicht einfach durchzuhalten ist", erklären die Bürgermeister. "Eine Kraftanstrengung wie 2015 wird ein zweites Mal nur schwer zu leisten sein."

Bleibe der Zuzug weiterhin so hoch, benötige man dringend Unterkünfte. "Dafür braucht es ein geregeltes Ankommen", so die Unterzeichner. "Wenn wir das in den Gemeinden und im Landkreis irgendwie bewältigen wollen, dann müssen auf nationaler Ebene unbedingt Lösungen gefunden werden." Es brauche "strukturelle Veränderungen, um den Bedürfnissen der Menschen menschenwürdig gerecht zu werden". Geld alleine helfe nicht.

Genau darin sieht der CSU-Landtagsabgeordnete Martin Bachhuber aber eine der wenigen Möglichkeiten des Freistaats zu helfen. Die Staatsregierung versuche, den Kommunen die Unterbringungskosten so weit wie möglich abzunehmen, und könne die Bundesregierung für eine Lösung unter Druck setzen, sagt er. Die Flüchtlinge müssten besser verteilt werden. Der Brief der Bürgermeister sei ein Hilferuf. "So wie jetzt kann es nicht weitergehen", sagt Bachhuber.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Radwan sieht die Bundesregierung in der Pflicht. Die Migrationspolitik sei "schlicht nicht nachhaltig", wenn erneut Turnhallen genutzt oder ehrenamtliche Helfer strapaziert würden. Er fordert mehr Geld und unbürokratische Unterkunfts-Lösungen in staatlichen Immobilien deutschlandweit. Langfristig sollten Geflüchtete gerechter in Europa verteilt werden. "Die Ampel könnte zumindest in anderen Regionen der Welt steuern und Zuwanderung begrenzen." Die Bundesregierung steuere in die falsche Richtung, indem sie Leistungen für Asylbewerber verbessere, das Bürgergeld reformiere und ein Chancen-Aufenthaltsrecht einführe, sagt Radwan.

Solche Aussagen sind für Karl Bär "fürchterlicher Populismus". Zu behaupten, dies schaffe Anreize, um von Kabul nach Beuerberg zu flüchten, sei zynisch, so der Bundestagsabgeordnete der Grünen. Alle politischen Ebenen müssten gemeinsam handeln. So könnten Bürgermeister und Gemeinderäte noch intensiver auf Vermieter zugehen, um Wohnraum zu finden. Geflüchtete sollten auch zu Verwandten ziehen können. In Regionen mit mehr Leerstand fehle es oft an Arbeitsperspektiven. Das schade der Integration, sagt Bär.

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