Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Landkreis sucht dringend Unterkünfte

Lesezeit: 3 min

In den kommenden Wochen erwartet Landrat Niedermaier wieder eine vermehrte Zuteilung Geflüchteter. Sie unterzubringen, werde eine große Herausforderung.

Von Alexandra Vecchiato, Bad Tölz-Wolfratshausen

Inflation, explodierende Energiekosten, der Krieg in der Ukraine - das sind die Themen, die die öffentliche Diskussion derzeit bestimmen. In den Hintergrund gerät dabei, dass die Anzahl der Migranten aus anderen Ländern wieder steigt. Immer mehr Menschen versuchen, über die sogenannte Balkanroute in die EU zu gelangen. Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler) geht davon aus, dass in naher Zukunft "alle Turnhallen" in den Landkreis-Gemeinden mit Asylsuchenden belegt werden könnten. Er will sogar nicht ausschließen, dass wegen der Unterbringung der Katastrophenfall eintreten könnte.

Der Krieg in der Ukraine hat in Europa die größte Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Andere Migrationsströme sind dadurch aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten. Vor allem aus Syrien und Afghanistan kämen Asylsuchende, sagte Niedermaier kürzlich im Kreisausschuss. Ein erster Bus mit 50 Personen sei im Landkreis angekommen. Weitere würden mit Sicherheit folgen. "Und es wird nicht bei der Regelzuteilung bleiben", betonte Niedermaier. Oberste Priorität habe nun die Schaffung von Unterkünften. Um diese zu errichten, müssten schnellstens Grundstücke gefunden werden. Da er von den Bürgermeistern diesbezüglich "keine erfreuten Rückmeldungen" bekomme, mache er sich nun selbst auf die Suche, sagte der Landrat. "Ich drehe den Spieß um."

Andere bayerische Kommunen haben längst schon Alarm geschlagen. Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben aus diesem Grund gemeinsam einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz verfasst. Darin vergleichen die Spitzenverbände die aktuelle Lage mit dem Krisenjahr 2015. Sie fordern einen "Flüchtlingsgipfel". Auch Niedermaier sieht die Bundesregierung in der Pflicht, zumal diese außenpolitisch auf die Anrainerstaaten entlang des Balkans einwirken müsse. Dass die Route wieder durchlässig sei, müsse man mit der Türkei, Serbien und den anderen klären, so der Landrat. "Die Bundesregierung duckt sich komplett weg." Ihm liege das Thema jedenfalls mehr im Magen als alle Energiefragen. Es sei unabdingbar, dass neue Unterkünfte wie in Geretsried und Bad Tölz gebaut würden. Die Regierung von Oberbayern habe eine Finanzierung zugesagt, "wenn die Grundstücke da sind". Aber das dauere Jahre, wie jeder wisse, der in diesem Gremium sitze. Bis dahin werde man Notunterkünfte belegen müssen.

Das Thema kam zur Sprache, als CSU-Fraktionssprecher Martin Bachhuber wegen der Belegung der Mehrzweckhalle in Wolfratshausen nachhakte. Der Vorsitzende des BCF, Manfred Fleischer, sei bei ihm vorstellig geworden. Dem Sportverein fehlten Hallenzeiten. Ob es denn eine Prognose gebe, wann der BCF die Halle in Farchet wieder voll nutzen könne, fragte Bachhuber. Wolfratshausens Bürgermeister und FW-Kreisrat Klaus Heilinglechner ergänzte, dass der BCF Unterstützung bei der Suche nach Stundenkontingenten erbeten habe. Eine Lösung konnte Niedermaier nicht anbieten: "Das ist ein Dolchstoß ins Herz der Sportler. Ich weiß, da geht viel kaputt."

So drastisch wollte es Barbara Schwendner (Grüne) nicht sehen und auch nicht von einer "Katastrophe" sprechen. "Das ist Jammern auf hohem Niveau", sagte sie. Wie schon vor Jahren werde es der Landkreis wieder schaffen, die Geflüchteten dezentral unterzubringen, prognostizierte Schwendner. Das wiederum löste bei einigen Kreispolitikern Gegenreaktionen aus: Er sehe ein "Katastrophenszenario" schon gegeben, sagte Landrat Niedermaier. Vor allem werde das Personal im Landratsamt aufgestockt werden müssen, das im Bereich des Flüchtlingswesens ja heruntergefahren worden sei. Man könne den Bürgern im Tölzer Land alles vorwerfen - nur nicht, dass sie den Asylsuchenden nicht geholfen hätten, sagte Thomas Holz (CSU). Die Ehrenamtlichen in den Helferkreisen im Landkreis sprächen aber bereits vom "Burn-out". So einfach nebenbei sei die Betreuung der Geflüchteten nicht zu schaffen. "Und das hat eine Auswirkung auf die Gesellschaft", betonte Holz. Der Kreisrat und Kochler Bürgermeister verwies dazu auf die Corona-Pandemie, in der "das Miteinander gelitten" habe. Die Asylsuchenden, die in den vergangenen Jahren in den Landkreis kamen, hätten noch längst nicht alle in Wohnungen untergebracht werden können. Hinzu kämen die Ukraine-Flüchtlinge. Und nun drängten neue Migranten auf einen "immens angespannten Wohnungsmarkt".

Die Lage

Nach Auskunft des Landratsamts von Dienstag leben aktuell 698 Asylbewerber, 162 afghanische Ortskräfte und 1289 Ukrainerinnen und Ukrainer im Landkreis. Der Großteil der Asylsuchenden komme aus Afghanistan, Syrien, Nigeria, dem Irak und Sierra Leone. Das Landratsamt habe 130 Wohnobjekte angemietet, teilt die Pressestelle der Behörde auf Anfrage mit, und etwa 400 Plätze in Hotels und Pensionen. Die Anzahl der Objekte/Wohnungen, in denen ukrainische Kriegsflüchtlinge privat untergebracht sind, sei nicht genau bekannt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5672878
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.