Süddeutsche Zeitung

Neues Seminar beim Malteser Hilfsdienst:Augen-Blicke des Verstehens

Kulturdolmetschende werden ausgebildet, um Flüchtlingen die neue Heimat mit ihren Werten und Umgangsformen näherzubringen.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

"Schau mir in die Augen, wenn ich mit dir rede!" Für die meisten deutschen Erwachsenen bedarf es dieser Ermahnung nicht - der Augen-Blickkontakt gilt als Ausdruck der Aufmerksamkeit und des Respekts für das Gegenüber, mithin als höflich. Ganz anders in arabischen Ländern. "Man schaut sich dort nicht in die Augen", erklärt Malteser-Mitarbeiterin Ursula Steiner, "das würde als Provokation verstanden." Arabische Migranten müssen diesen kulturellen Unterschied in ihrer neuen Heimat Deutschland mühsam erst einmal verstehen und dann für sich selbst Neues lernen. Oder sie haben Glück und erfahren von einem Kulturdolmetscher, welche Umgangsformen hier anders sind als in ihrem Herkunftsland.

Ursula Steiner ist beim Malteser Hilfsdienst Wolfratshausen für das Ehrenamt Kulturdolmetscher verantwortlich. Zusammen mit der Caritas Bad Tölz-Wolfratshausen, dem Katholischen Kreisbildungswerk und der Erzdiözese München-Freising bilden die Malteser seit drei Jahren ehrenamtliche Kulturdolmetschende aus. Ziel sei es, "ein kultursensibles Miteinander zu schaffen". Zwei Dutzend Personen, überwiegend bereits integrierte Migrantinnen und Migranten, haben sich bisher ausbilden lassen; am kommenden Samstag beginnt ein neues Seminar. Bisher sind acht Personen angemeldet, weitere Interessenten könnten noch aufgenommen werden.

In 42 Unterrichtseinheiten lernen die Teilnehmenden, wie sie neu angekommenen Migrantinnen und Migranten die deutsche Lebensweise nahebringen können. Steiner erklärt, das standardisierte Curriculum setze zu großen Teilen auf biografisches Arbeiten. Die Einstiegsfrage sei stets: Was war euer größtes Problem, als ihr neu wart in Deutschland? Die folgenden Einheiten sind thematisch gegliedert. Dazu gehören die Abschnitte Flucht und Asyl, Gesundheit, Bildungssystem, Religion, Werte und Normen.

Was die ausgebildeten Kulturdolmetscherinnen und -dolmetscher können, fassen die Malteser so zusammen: "Integration fördern; kulturelle Hintergründe und Unterschiede erläutern; Missverständnisse verhindern; sprachliche und kulturelle Barrieren minimieren; ihren Landsleuten zu einem besseren Einleben verhelfen; örtliche Institutionen bei der Kommunikation unterstützen".

Kulturdolmetschende sind ehrenamtlich im Einsatz

Die meisten Menschen, die nach Deutschland flüchten, erleben nach Steiners Worten einen hin und her pendelnden "Migrationsverlauf". Zunächst seien sie euphorisch, weil die Flucht geglückt ist und sie sich am Ziel und in Freiheit fühlen. Dann folge ein "Migrationsschock", eine große Unsicherheit, wie sie in der andersartigen Umgebung leben sollen; "sie spüren keinen Boden unter den Füßen, fühlen sich nirgends mehr zu Hause". Dann kämen oft kleine Erfolgserlebnisse, etwa eine erste Arbeitsstelle, aber auch Rückschläge. Bei all dem können Kulturdolmetschende die Menschen stützen und - wenigstens phasenweise - begleiten. Denn, so Steiner, "es hilft, wenn die Leute sich hier aufgefangen fühlen". Dazu könne es zum Beispiel auch gehören, dass ihnen vermittelt wird, wie Eltern und Schule in Deutschland zusammenwirken. Dass es hier üblich ist, zu Elternabenden zu gehen. Denn das sei für viele Migrantinnen und Migranten ganz und gar nicht normal, so Steiner. Eltern gingen in deren Heimatländern nur in die Schule ihrer Kinder, wenn etwas ganz Schlimmes passiert sei: "Es ist ihnen peinlich."

Kulturdolmetschende sind rein ehrenamtlich im Einsatz. Sie werden angefordert von Schulen, Behörden wie dem Jugendamt oder Flüchtlingshilfeorganisationen wie "Hilfe von Mensch zu Mensch". Es geschehe aber inzwischen auch schon, dass direkt um Hilfe gebeten werde. So könne es sein, dass eine Migrantin nach München in die Frauenklinik muss und um eine Begleitung bittet.

Im vergangenen Jahr haben die Wolfratshauser Malteser 90 Einsätze vermittelt. Eine ganze Reihe von Sprachen kann dabei abgedeckt werden, von Arabisch über Farsi bis Türkisch. Unter den neuen Seminarteilnehmenden sind die Nationalitäten Italienisch, Spanisch, Afghanisch und Syrisch vertreten. Was nach Auskunft von Ursula Steiner verstärkt gebraucht wird, sind Kulturdolmetschende, die Arabisch, Englisch, Französisch und Persisch sprechen - "und viel mehr Ukrainisch". Kein Wunder, da es im Landkreis neben 1400 Asylsuchenden bereits 1300 ukrainische Kriegsflüchtlinge gibt.

www.malteser.de/standorte/wolfratshausen/dienstleistungen/sprach-und-kulturmittler.html

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