Migrationspolitik„Enormes Potenzial an Spannungen“

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Seit Mai ist die umstrittene Gemeinschaftsunterkunft an der Scharfreiterstraße in Lenggries fertiggestellt.
Seit Mai ist die umstrittene Gemeinschaftsunterkunft an der Scharfreiterstraße in Lenggries fertiggestellt. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Lenggrieser Grünen wollen mit Fakten und Erfahrungsberichten dem Protest wegen einer Gemeinschaftsunterkunft gegensteuern. Als Hauptproblem wird der Wohnungsmangel gesehen .

Von Petra Schneider, Lenggries

Als der Bauausschuss in Lenggries vor einem Jahr über die Gemeinschaftsunterkunft (GU) an der Scharfreiterstraße beriet, hatten sich vor dem Rathaus etwa 70 Demonstranten postiert. Seit Mai ist die GU mit Platz für etwa 100 Menschen nun fertig. Beim Bau hatte es offenbar Drohungen gegen Handwerker gegeben, die ein Angebot abgegeben hatten. Peter Frech, Chef der Security-Firma, die seit Jahren die Containeranlage an der Geiersteinstraße betreut und nun auch die zweite an der Scharfreiterstraße, spricht von massiven Anfeindungen. Ganz schlimm sei es in den Online-Kommentaren, sagte Frech, als „Grattler“ werde er da beschimpft. „Ihr verdient euer Geld mit einer Krise“ – so dächten offenbar viele.

„Das Thema Geflüchtete liefert bei uns in Lenggries ein enormes Potenzial an Spannungen“, sagte Grünen-Ortssprecher Werner Hüttl. Beim jüngsten Treffen am „Grünen Tisch“ wollte man deshalb über Migration und Integration sprechen, die Expertise von Aktiven einholen und so zu einer positiven Wahrnehmung beitragen: Migration als Chance zu sehen. Eingeladen waren neben Peter Frech auch Hans-Heinrich Sautmann, Grünen-Kreisvorsitzender in Fürstenfeldbruck und langjähriger Asylhelfer in der Gemeinde Eichenau. Unter den knapp 20 Teilnehmenden waren auch einige Mitglieder des Lenggrieser Asylhelferkreises sowie die Integrationsbeauftragte der Gemeinde, Maya Nazarova.

Wenn die Menschen in Lenggries ankämen, dürften sie in der Regel arbeiten, sagte die Integrationsbeauftragte. Das Beschäftigungsverbot für Geflüchtete wurde auf drei Monate verkürzt, nach Stationen in München und Wolfratshausen kämen die Menschen dann nach Lenggries und könnten sich gleich eine Arbeit suchen. Die Vernetzung mit den Arbeitgebern laufe über den Helferkreis. Engpässe bei Kita-Plätzen sieht Nazarova nicht, „da sind wir in Lenggries ganz gut aufgestellt.“ Verbesserungsbedarf gebe es allerdings bei den Vereinen. Das sei ein schwieriges Thema, so Nazarova. Die Offenheit, Kinder mit Migrationshintergrund aufzunehmen, „ist oft nicht sehr groß“.

Die Gemeinde Lenggries muss knapp 250 Geflüchtete aufnehmen

Laut Königsteiner Schlüssel muss die 10 000 Einwohner große Brauneck-Gemeinde Lenggries knapp 250 Menschen aufnehmen. In die neue Unterkunft an der Scharfreiterstraße werden Bewohner aus der Geiersteinstraße umgesiedelt, die aufgelöst werden soll. An eine weitere Unterkunft für 100 Bewohner ist im ehemaligen Lehrsaalgebäude auf dem Kasernenareal gedacht. Der Gemeinderat hat den Antrag abgelehnt, das Landratsamt wird ihn aber wohl genehmigen. Offiziell bekannt ist bislang noch nichts.

Den Protest gegen die Unterkunft an der Scharfreiterstaße kann Peter Frech, Chef einer Security-Firma, nicht verstehen.
Den Protest gegen die Unterkunft an der Scharfreiterstaße kann Peter Frech, Chef einer Security-Firma, nicht verstehen. (Foto: Manfred Neubauer)

Widerstand gegen die GU an der Geiersteinstraße, die seit knapp zehn Jahren existiert, habe es kaum gegeben, sagte Frech. Von den 38 Menschen, die aktuell dort leben, „sieht und hört man nichts“. Das bestätigte auch Wolfgang Mulzer, der in der Nachbarschaft wohnt. Die Umgebung sei weder vermüllt, noch würden Leute belästigt. „Das ist ein totaler Schmarrn“, sagte der Lenggrieser VHS-Vorsitzende.

Warum der Gegenwind gegen die neue GU an der Scharfreiterstraße nun „so brutal ist“, kann Frech nicht verstehen. „Es wird nichts passieren“, man habe die Situation im Griff. Auch Grundstücke würden nicht weniger wert, „weil die Flüchtlinge irgendwann weiterziehen.“ Wichtig sei, „dass man anständig miteinander umgeht und die Wortwahl passt.“ Und natürlich müssten in den Unterkünften Regeln wie ein Alkoholverbot eingehalten werden, die das Landratsamt festlegt.

Oft keine Besichtigungstermine für Menschen ohne deutschen Namen

Als Hautproblem beim Thema Migration wurde in der Diskussion der Mangel an Wohnungen kritisiert. Vor allem für Alleinerziehende mit mehreren Kindern sei das fast aussichtslos in Lenggries, egal ob für Einheimische oder Geflüchtete. Menschen, die keinen deutschen Namen hätten, würden oft gar nicht zu Besichtigungsterminen eingeladen. Wegen dieser „Vorurteilsproblematik“ gebe es in München einen Verein, der die Wohnungen anmiete und für die Miete garantiere, erklärte Sautmann. Er plädierte für abgesenkte Standards bei Geflüchteten-Wohnungen, um die Kosten zu senken, damit mehr gebaut werde. Andernfalls fielen Menschen, die aus den Unterkünften ausziehen müssten, in die Obdachlosigkeit. Und dann seien wieder die Kommunen zuständig. Außerdem gebe es zu viel Leerstand, hieß es am Mittwoch.

Wernern Hüttl , Sprecher der Lenggrieser Grünen sieht kein Flüchtlingsproblem, sondern ein Wohnungsproblem.
Wernern Hüttl , Sprecher der Lenggrieser Grünen sieht kein Flüchtlingsproblem, sondern ein Wohnungsproblem. (Foto: Harry Wolfsbauer)

„Wir haben eigentlich kein Flüchtlingsproblem, sondern ein Wohnungsproblem“, fasste Hüttl zusammen. Das sei eine Aufgabe für den Gemeinderat – aber Integration eben keine Pflichtaufgabe, erklärte Sautmann. Das müsse sich ändern, damit Kommunen entsprechende Mittel bekämen. „Integration funktioniert am besten, wenn die Menschen schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt integriert werden“, sagte Sautmann. Laut einer ifo-Studie vom November 2022 sei eine umfangreiche Zuwanderung erforderlich, um das Wirtschaftswachstum in Bayern aufrechtzuerhalten. Auch das Potenzial von Geflüchteten müsse genutzt werden, denn es gebe auch viele ungelernte Tätigkeiten.

Für eine rasche Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt plädierte Hans-Heinrich Sautmann, Grünen-Kreisvorsitzender in Fürstenfeldbruck.
Für eine rasche Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt plädierte Hans-Heinrich Sautmann, Grünen-Kreisvorsitzender in Fürstenfeldbruck. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Insgesamt liegt die Erwerbstätigenquote geflüchteter Männer nach acht Jahren bei 86 Prozent und damit über der Quote von 81 Prozent insgesamt bei Männern. Niedrig ist sie allerdings bei den Frauen: Nur 33 Prozent der weiblichen Geflüchteten arbeiten, was vorwiegend mit der Kindererziehung zu tun habe. Der Anteil geflüchteter Frauen und Mädchen lag Ende 2023 bei 49 Prozent – es sei also nicht so, dass vorwiegend junge Männer kämen. Auch der Spracherwerb sei nötig, allerdings hält Sautmann eine schematische Reihenfolge nicht für nötig. „Viele fangen erst zu arbeiten an und lernen parallel dazu die Sprache“. Geflüchtete trügen zum Wohlstand in Deutschland bei: So sei die Quote unter Migranten, die Firmen gründen, dreimal so hoch, wie bei Menschen ohne Einwanderungsgeschichte.

Viele positive Zahlen, „und trotzdem Ablehnung in der Bevölkerung“, fasste Hüttl zusammen. Um diese Diskrepanz abzubauen und Vorurteile zu überwinden, seien persönliche Kontakte nötig. Dass das funktioniert, erlebe sie in ihrer Arbeit als Klinikärztin täglich, sagte Assiye Danninger. „In der Pflege stehen alle im Schulterschluss.“

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