Nach einem halben Tag des Planens, Wartens und Bangens ist am Dienstag gegen 17.30 Uhr in Geretsried eine Fliegerbombe entschärft worden. Etwa 1800 Menschen mussten zuvor ihre Wohnungen verlassen. Das Gebiet rund um den Rotkehlchenweg wurde geräumt, weil dort am Vormittag auf einer privaten Baustelle ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden worden war: eine 75 Kilogramm schwere Fliegerbombe mit einer Sprengkraft von etwa 37 Kilo. Sprengmeister Sebastian Braun vom Kampfmittelräumdienst Tauber erklärte nach der ersten Besichtigung, der Sprengkörper sei gut zugänglich.
Er liege größtenteils offen, und der Zünder sei nicht verbogen. Die Bombe könne daher - anders als beim letzten Fund dieser Art vor zehn Monaten am Dompfaffenweg - an Ort und Stelle entschärft werden. Später stellten er und seine beiden Kollegen fest, dass die Entschärfung tatsächlich überwiegend problemlos zu meistern war, allerdings sei der Zünder innen abgerissen, weswegen etwas mehr Fingerspitzengefühl nötig gewesen sei.
Am frühen Nachmittag war ein Sicherheitsbereich festgelegt worden mit 300 Metern rund um die Bombe und 1000 Metern darüber. Zahlreiche Polizisten - aus der Stadt selbst, aus Wolfratshausen, München und vom Zentralen Ergänzungsdienst Weilheim - versammelten sich an der Feuerwache an der Elbestraße, von wo aus der Geretsrieder Polizeichef Franz Schöttl den Einsatz leitete. Vierzig Einsatzkräfte gingen von Haus zu Haus, die Bevölkerung wurde parallel über Durchsagen, per Radio und online informiert.
Bei dem Fundort handelt es sich um ein reines Wohngebiet. Nachdem die Einsatzleitung zunächst von 5000 Betroffenen ausgegangen war, wurde das Evakuierungsgebiet nach genauerer Betrachtung der Gebäudearten präzisiert, so dass nur noch 1800 Anwohnerinnen und Anwohner ihre Bleibe verlassen mussten. Der Johannisplatz liegt knapp außerhalb des Radius. Personen, die nicht bei Angehörigen oder Freunden unterkamen, konnten den Ratsstubensaal beim Rathaus als Aufenthaltsort nutzen. Dieser wurde zum Stadtmuseum hin geöffnet, so dass sich die Menschen auch im Museumsgarten aufhalten konnten. Für Personen, die mit Corona infiziert sind, wurde die Isardammschule als Übergangsbleibe gewählt.
Mit der Entschärfung der Bombe wurde um 16.15 Uhr begonnen. Es hatte allerdings eine kurzfristige Unterbrechung gegeben, da angeblich eine Person in das betroffene Gebiet zurückgekehrt war. Bei einer Suche per Hubschrauber bestätigte sich dies aber nicht.
Sprengmeister Sebastian Braun war bereits in der Vergangenheit bei Bombenfunden in der Stadt im Einsatz. Auch für viele Geretsrieder sind solche Ereignisse nicht mehr überraschend. Bürgermeister Michael Müller (CSU), der am Johannisplatz lebt, wo er auch aufgewachsen ist, sagte: "Seit meiner Kindheit begleitet mich das." In dieser Zeit habe er sieben- oder achtmal selbst einen Bombenfund miterlebt; in seiner Amtszeit sei dies nun die dritte Entschärfung. Er nehme an, so Müller, dass wegen der zunehmenden Bautätigkeit in der Stadt, wozu meist auch Tiefgaragen gehörten, nun öfter Blindgänger gefunden würden. "Man muss damit rechnen", sagte Müller, "dies sind die fürchterlichen Reste des Krieges." Aber man könne "damit umgehen lernen". Dies zeigten die Einsätze, an denen das Ordnungsamt und das Bauamt des Rathauses ebenso beteiligt sind wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste. Am Abend dankte der Bürgermeister allen Beteiligten für ihren Einsatz.
Geretsried, das in der Nazizeit Standort zweier großer Rüstungsbetriebe war, wurde am 9. April 1945 bombardiert. Nach den Recherchen des Arbeitskreises Historisches Geretsried waren 76 amerikanische Flugzeuge von mehreren Stützpunkten in England gestartet und hatten mehr als 2000 Bomben über der Dynamit-AG im Wolfratshauser Forst abgeladen. Die Rüstungsfabrik war an diesem Tag die letzte Station des Geschwaders, das sich über Fürstenfeldbruck, Landsberg, Memmingen näherte und schließlich Wolfratshausen erreichte. Die Sprengkörper wurden demnach innerhalb von drei Minuten, von 17.19 bis 17.22 Uhr, über dem Rüstungsstandort abgeworfen.