Filmmusik:"Kröten? Klingt jetzt nicht so spektakulär."

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Angela Graas-Castor folgt den Kröten mit der Kamera bis auf den Seegrund, Steffen Kaltschmid macht den Sound dazu. (Foto: BR/Paul Hien/oh)

Von wegen! Der Penzberger Steffen Kaltschmid hat die Musik zu einem außergewöhnlichen Naturfilm von Angela Graas-Castor geschrieben - und dabei ein bisschen übertrieben. Nun hat er einen Preis dafür gewonnen.

Interview von Stephanie Schwaderer, Penzberg

Mit "Alarm für Cobra 11" hat Steffen Kaltschmid angefangen. Das war vor 24 Jahren. Seither hat er die Musik zu rund 150 Filmen komponiert - zu "Tatort"-Morden wie zur Kinder-Serie "Bernd das Brot" oder "Kommissar Dupin", der in rund 40 Länder ausgestrahlt wird. Ein besonderes Gespür hat der Komponist und Musikproduzent, der seit sieben Jahren in Penzberg lebt, für Naturfilme. Für seine Komposition zum Dokumentarfilm "Im Zaubertal der Kröten" von Angela Graas-Castor hat er beim internationalen Naturfilmfestival Green Screen 2022 den Preis für die beste Musik gewonnen.

SZ: Herr Kaltschmid, wie haben Sie sich der Kröte genähert? Wie klingt eine Kröte?

Steffen Kaltschmid: Lustigerweise hat mich Angela Graas-Castor, die Regisseurin, angerufen, als die Filmsequenzen noch sehr roh waren und es viele Lücken gab, da noch immer gedreht wurde. Angela hatte ich 2016 bei der Verleihung des Deutschen Naturfilmpreises kennengelernt. Meine erste Reaktion war: Mmmh, Kröten. Ich weiß nicht. Klingt jetzt nicht so spektakulär. Man hätte ja lieber etwas Großes: Afrika! Elefanten! Oder Schluchten im Grand Canyon und endlose Weiten. Aber sie sagte, sie habe schon ein Instrument dazu im Kopf, nämlich eine Slide-Gitarre. Bei dieser Gitarrentechnik zieht man mit einem Stück Glas oder Metall die Töne nach oben oder unten. So kommt ein singender und klagender Ton zustande.

Steffen Kaltschmid in seinem Penzberger Studio. (Foto: Manfred Neubauer)

Dieser spezielle Sound prägt den ganzen Film, er hat etwas Mystisch-Melancholisches.

Er hat alles! Auch etwas Spannendes und Bedrohliches, manchmal auch etwas Skurriles und Lustiges. Am Anfang setze ich ihn ein, wenn sich die Kröten auf den Weg zu ihrem Laichplatz machen und die Paarungen beginnen. Da hat er so einen witzigen Touch. Unten liegt eine Begleitung mit Pizzicato-Streichern und darüber kommt dann immer wieder dieses mhäääh, mhäääh.

An welcher Stelle haben Sie richtig angebissen? Als Sie die ersten Kröten-Bilder gesehen haben?

Nein, als ich gemerkt habe, was man mit diesem Sound anstellen kann, und ich immer mehr der mystischen Kameraeinstellungen und Sequenzen zu sehen bekam. Ich hatte schon einige Phrasen und Motive mit Slide-Gitarre aufgenommen. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Baukasten: Er ist gut gefüllt, ich greife hinein und beginne herumzuexperimentieren. Componere heißt ja nichts anderes als zusammenstellen, -setzen, -legen. Ich fühle mich manchmal wie ein Architekt.

Mystische Morgenstimmung im Drei-Seen-Gebiet zwischen Ruhpolding und Reit im Winkl. Steffen Kaltschmid hat sie mit Klängen eingefangen. (Foto: BR/Max Hirschfeld/oh)
Ebenso wie die Dramen unter Wasser: Eine Gelbrandkäferlarve frisst ein Erdkrötenjunges. (Foto: BR/Paul Hien/oh)

Woran haben Sie sich orientiert, wenn es noch keine Filmaufnahmen gab?

Angela hat mir den genauen Ablauf geschickt. Da ist sie sehr gut, sie weiß genau, was sie bildlich und erzählerisch machen will, was wann wo kommt. Dann heißt es etwa Drohnenflug über den See oder Mystik am Morgen, Nebel. Ich hab dazu verschiedene Sachen komponiert, und dann hat sie zur Musik den Film geschnitten.

Den Film zur Musik - eine ungewöhnliche Arbeitsweise!

Ja, so arbeitet man leider selten. Die Cutterin Nikola Hauswald war richtig gut. Nur ein paar Kleinigkeiten musste ich später noch anpassen und ergänzen. Bei dieser Arbeitsweise bin ich viel freier. Wenn man das Bild hat, weiß man: In einer Minute muss ich wieder runter mit der Energie. Das schränkt ein. So hat man viel mehr Amplitude, die Musik ist immer mutiger im Moment. Und an einigen Stellen in diesem Film ist sie auch ein bisschen übertrieben.

Zu groß für die Kröte?

Nein, einfach ein bisschen drüber. Skurril und albern, aber das ist ja gerade der Witz. Sie ist nicht herkömmlich. Wenn ich Filmmusik höre, denke ich oft: Tja, das hab ich jetzt schon hunderttausendmal gehört.

Sie hören da natürlich anders hin. Ist Filmmusik nicht gerade dann gut, wenn man sie nicht hört?

Das stimmt. Wenn der Film gut ist und mich packt, höre ich nicht auf die Musik. Das ist das beste. Meistens ist dann aber auch die Musik sehr gut. Im Idealfall verschmelzen Film und Musik zu einer Einheit. Der Erfolg des Komponisten ist stark von der Arbeit des Regisseurs abhängig. Ist ein Film schlecht, kräht kein Hahn nach der Musik, selbst wenn diese sensationell wäre.

Der Kröten-Film spielt zwischen Ruhpolding und Reit im Winkl. Die Bilder führen jedoch in eine völlig fremde Welt. Sie zeigen Erdkröten bei halsbrecherischen Klettermanövern in der Nacht oder grausame Paarungsszenen unter Wasser, bei denen die Weibchen von den Männchen ertränkt werden. Sind solch neue Bilder ein Ansporn, auch eine neue Tonsprache zu schaffen?

Absolut! Erst dann hat man ja die Möglichkeit, eine besondere und schräge Musik zu machen. Zu einem normalen Bild und zu einer herkömmlichen Erzählung würde diese Musik nicht passen. Ich versuche, anders zu klingen. Dabei gehe ich oft über den Sound und spiele oder pfeife etwas ein. Ich hab beispielsweise ganz verschiedene Flöten, obwohl ich eigentlich nicht Flöte spielen kann. Mit ihnen versuche ich, Soundsignaturen zu finden, kleine Motive, an die man sich erinnert.

Sie spielen alles selber ein?

Vieles. Einiges lass ich spielen, von dem Gitarristen Ferdinand Kirner zum Beispiel. Orchestermusik nehme ich immer wieder mal mit dem Filmorchester Babelsberg auf. Ich bin ja eigentlich Schlagzeuger, hab Schlagzeug am Richard-Strauss-Konservatorium studiert. Deshalb hab ich auch viele Gongs oder chinesische Instrumente, die man klopfen oder streichen kann. Manchmal schraube ich ein paar Stunden am Synthesizer herum, nehme etwas auf und merke später: Das eine Stück war gar nicht schlecht. Und dann spiele, experimentiere und baue ich aus Motiven, Klängen und Versatzstücken etwas Neues zusammen.

Wovon lassen Sie sich dabei leiten, wenn es nicht die Bilder sind?

Keine Ahnung. Ich bin im Tunnel. Im Jetzt. Ich werte es nicht. Ich mach einfach.

Sie haben die Musik zu 150 Filmen geschrieben -bei wie vielen haben Sie sich gelangweilt?

Bei sechzig Prozent bestimmt ( lacht). Trotzdem sehe ich es als meine Aufgabe an, eine gute Arbeit abzuliefern.

Für die Musik zu "Wildes Marokko - Der goldene Süden" von Barney Rübe haben Sie heuer auch den Preis für die beste Filmmusik beim Natur-Vision-Filmfestival gewonnen. Was reizt Sie an Naturfilmen?

Erst einmal sind da keine Schauspieler, die ständig sprechen. Deshalb hab ich schon mal mehr Platz. Und dann habe ich das Gefühl, ich kann von Null bis Hundert alles machen. Von winzigen Insekten, bei denen man mit kleinen Instrumenten originell sein kann, bis hin zu den großen Bildern von Bergmassiven, zu denen dann auch der Klang groß und orchestral werden darf. Ich liebe beides: das Wuchtige und das Kleine, Spezielle.

"Im Zaubertal der Kröten" läuft in Kürze im Bayerischen Fernsehen.

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