Süddeutsche Zeitung

Ausstellung im Tölzer Stadtmuseum:Schönheit im Auge der Künstlerin

Die Künstlerinnengruppe "Females" reflektiert ein vermeintliches Allerweltsthema - mal ästhetisch, mal konzeptuell.

Von Felicitas Amler, Bad Tölz

So ein Gehirn hat schon eine schöne Struktur, findet Marianne Hilger. Und auch in mathematischen Formeln sieht die Tölzer Künstlerin Schönheit. Genauso wie in Beethovens Autograf der "Ode an die Freude" aus der 9. Sinfonie, in der sich Musik, Dichtung und gesellschaftliche Utopie in ihrer Schönheit vereinten. Hilger hat sich ganz konzeptuell ans Werk gemacht, als die Künstlerinnengruppe Females, der sie angehört, das Thema "schön" für ihre aktuelle Jahresausstellung ausgesucht hatte. Zu banal? Wer die Ergebnisse im Kabinett des Tölzer Stadtmuseums betrachtet, wird das anders sehen. Denn die Arbeiten der fünf Frauen reflektieren das Thema vom Wohlfühl-Schön bis zur Schönheit, die im Vergänglichen steckt.

Offenbar ganz unbeabsichtigt haben die Künstlerinnen im ersten der beiden Räume die reine Schönheit versammelt, im zweiten die eher gebrochene. Stefanie Macherhammer hat, wie sie sagt, ganz bewusst an die schönen Momente des Lebens gedacht und diese auf die Leinwand gebracht - eine entspannte Szenerie am Schliersee in beruhigenden Blautönen, einen spektakulären Sonnenuntergang in "irren Farben", so Macherhammer, oder eine üppige, leicht stilisierte Bougainvillea in leuchtendem Pink. Urlaub, Genuss, in die Ferne schweifen, das seien so ihre Assoziationen gewesen, erklärt sie. Ganz geistesverwandt zeigt sich im selben Raum Andrea Meßmer mit ihren persönlichen schönen Momenten. Von einem Almbesuch mit einem Acht-Gänge-Menü hat sie eine Impression der Hingabe des Sternekochs an seine Arbeit mitgebracht. "Berufung" ist der Titel des Gemäldes in Acryl auf Leinwand, und Berufung sei doch "auch was Schönes", sagt die Künstlerin. Eine ältere Dame auf dem Weg zur Elbphilharmonie, Trachtenpaare, die einander umarmen, ein Mädchen, das einen Wasservogel füttert - all diese Motive drückten für sie auch aus, wie schön jetzt, nach der harten Corona-Zeit, Begegnungen seien.

"Etwas Gutes für die Seele", das sieht Jeannine Rücker im Thema "schön". Und doch findet sie, "dass man nur mit Schönheit auch nicht hinkommt". Das schlägt sich bei ihr in einer chronologisch komponierten Wandinstallation aus Fotografien, Drucken und Gemälden zum Thema Seifenblasen nieder. Die Titel der einzelnen Arbeiten reichen von "Flüchtige Schönheit" und "Leichtigkeit des Seins" bis zu "Zerbrechlichkeit" und "Was bleibt". Doch egal, ob man eine ganze Gruppe schwebender Seifenblasen in ihrer oszillierenden Vielfarbigkeit betrachtet oder die einzelne Seifenblase auf einem Stacheldraht kurz vor dem Vergehen - alles ist einfach wunderschön.

Das sind auch die zehn Arbeiten in digitaler Fotografie von Priska Ludwig mit dem bezaubernden Titel "Eisen tanzt mit Sauerstoff". Was bei dieser Annäherung der beiden Elemente herauskommt, ist schlicht Rost. Doch der bringt "seinen morbiden Charme", wie Ludwig es nennt, in der künstlerischen Umsetzung ganz herrlich zur Geltung - in Rot- und Rosttönen changierend, vor himmelblauem Hintergrund. "Die zufällig entstandenen Formen, Oberflächen und Farbgebungen laden den Betrachter ein, fantastische Bilder darin zu sehen", schreibt die Künstlerin. Genauso ist es. Man möchte jedes einzelne Bild besitzen.

Ganz anders schließlich Marianne Hilger, die über den Grundgedanken bei der Entwicklung ihrer Exponate sagt: "Mir war klar, ich mache keine schönen Bilder." Die Künstlerin hat sich dem Ausstellungsthema theoretisch genähert und dann konzeptuell gearbeitet. Sie hat - so wird Konzeptkunst im Online-Lexikon Wikipedia beschrieben - "gewohnte Sichtweisen, Begriffe und Zusammenhänge der Welt hinterfragt" und "mit Kontexten, Bedeutungen und Assoziationen gearbeitet". Das eigentliche Werk tritt dabei in den Hintergrund von Konzept und Idee. Zu sehen sind nun eine Serie von Siebdrucken und fünf Seiten eines am Boden stehenden Würfels mit Chiffren für Schönheit. Ein Spiegel mit einem darauf gezeichneten Totenkopf, in dem man sich wie Narziss betrachten kann; eine herrliche Rose, wenn auch mit Dornen; Albert Einsteins Formel der Äquivalenz von Masse und Energie E = mc²; Noten der "Ode an die Freude"; die drei griechisch-mythologischen Grazien "die Frohsinnige", die "Blühende" und "die Strahlende" und zu guter Letzt ein Gehirn im Zustand der Wahrnehmung von Schönheit. Den Assoziationen der Künstlerin, die von "Spieglein, Spieglein an der Wand" über Adonis bis zu Vanitas reichen, mag das Publikum eigene hinzufügen. Im Gästebuch teilt jemand Hilgers Affinität zu mathematischen Formeln: "Schön ist relativ", hat da eine Besucherin geschrieben, "aber die Formel der Relativitätstheorie ist ganz ohne Zweifel schön!"

Ausstellung im Stadtmuseum Bad Tölz, Marktstraße, bis 24. November; Midissage am Samstag, 19. November, 14.30 Uhr, mit Lesung des Tölzer Comedy-Schriftstellers Kai Schmidt-Wussow. www.females-artist-group.de/

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