DP-Camp:Das kleine Glück von Feldafing

Der Ort am Starnberger See war für Menschen, die aus der Hölle der Konzentrationslager kamen, das Tor zur Normalität. 20 ihrer Nachkommen aus den USA und Israel besuchen nun ohne Groll die Gemeinde.

Von Sylvia Böhm-Haimerl

"Ich wünschte, ich hätte mit meinen Eltern hier sein können, um sie besser zu verstehen", sagt Abraham Wandersman aus South Carolina (USA). Er ist Teilnehmer einer Reisegruppe von Nachkommen, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem ehemaligen Gelände der Reichsschule in Feldafing gestrandet waren. Die Reiseteilnehmer besuchten am Mittwoch die Orte aus der Vergangenheit ihrer Eltern in Feldafing.

Meist waren es Überlebende von Konzentrationslagern oder des Todesmarsches, die in das Camp für Displaced Persons (DP) kamen. Wandersmans Eltern lebten von 1945 bis 1949 auf dem Gelände, wo teilweise bis zu 6000 Menschen untergebracht waren. Die Eltern lernten sich im Camp kennen und heirateten auch dort. Mit Feldafing hätten seine Eltern nur positive Erinnerungen verbunden. "Sie fanden ein gewisses Glück hier, daher verließen sie das Land auch nicht bitter", erklärt Wandersman. Nach den grauenvollen Erlebnissen im Konzentrationslager seien sie in Feldafing wieder "bereit für ein neues Leben" gewesen, erzählt der Amerikaner, der im Hotel Kaiserin Elisabeth geboren worden ist, das damals DP-Hospital war. "Wenn mein Vater von Feldafing sprach, war er glücklich und hatte ein Lächeln auf den Lippen."

Er selbst habe keine Erinnerungen an diese Zeit. Er kenne das Camp nur aus den Erzählungen seiner Eltern, die jedoch nie von der Zeit in den Konzentrationslagern gesprochen hätten. Er wisse lediglich, dass sein Vater als Zwangsarbeiter eingesetzt gewesen sei. "Sie konnten nie vergessen, was ihnen passiert ist. Aber ich habe nie etwas Schlechtes von ihnen gehört", betont Wandersman. Auch vom DP-Camp hatten die Eltern erstmals 1961 mit ihrem Sohn gesprochen, sie hätten ihm Fotos gezeigt. Im Lager hätten seine Eltern viele Freunde gefunden, so Wandersman. Den Kontakt hätten sie ihr Leben lang gehalten. Sein Vater, der 1949 mit Frau und Kind nach New York (USA) ausgewandert ist, war laut Wandersman auch einer von 1000 Zeitzeugen, die Steven Spielberg in den 1990-er Jahren für seinen Film "Schindlers Liste" interviewt habe.

Für Alan Aronovitz, der ebenfalls im DP-Camp geboren worden ist und die ersten 16 Monate seines Lebens in Feldafing verbrachte, ist es "eine sehr emotionale Reise". Seine Eltern hatten ihm viel erzählt von den Schrecken des Holocausts. Nun kämen diese Erinnerungen wieder in ihm hoch, sagt er. Sein Vater sei in fünf Konzentrationslagern gewesen, darunter auch Auschwitz. Die letzte Station war das KZ Dachau. Ebenso wie seine Mutter, die zuvor in Bergen-Belsen gewesen war, wurde der auf den Todesmarsch teil, bei dem Nazi-Schergen etwa 7000 KZ-Häftlinge von Dachau in Richtung Alpen trieben. Seine Mutter war Krankenschwester, sie habe im Lazarett in Possenhofen gearbeitet, als sie im DP-Camp untergebracht war. Aronovitz war erstmals 1990 in Feldafing. "Ich wollte Dachau sehen und wo ich geboren wurde", sagt er. Als er davon erfahren habe, dass eine Reise zu DP-Lagern angeboten werde, "wollte ich nochmals herkommen".

Fünf der insgesamt 20 Reiseteilnehmer aus den USA und Israel, die am Mittwoch Station in Feldafing machten, sind im DP-Camp geboren worden. Die Historikerin Professor Marita Krauss und ihr Ehemann Erich Kasberger, die von der Gemeinde mit dem Buch "Feldafing und der Nationalsozialismus" beauftragt worden sind, und die Feldafingerin Claudia Sack haben dazu beigetragen, dass die Reise stattfinden konnte.

Sack hatte die Teilnehmer über eine Facebook-Gruppe kennengelernt, in der Fotos ausgetauscht wurden von Menschen, die im DP-Camp in Feldafing geboren worden sind. "Sie waren sehr gerührt, als sie das Hotel Kaiserin Elisabeth sahen", erzählt Sack. Das Hotel hat die Reisegruppe zu Sonderkonditionen beherbergt, bis sie am Donnerstag weiterfuhren nach Bad Reichenhall, wo es ebenfalls ein DP-Camp gab.

In Feldafing haben die Reiseteilnehmer die Sturmblockhäuser in der heutigen Kaserne besichtigt und den jüdischen Teil des Friedhofs. Anschließend empfing sie Bürgermeister Bernhard Sontheim. Er zitierte in seiner auf Englisch vorgetragenen Rede den Gründungsvorsitzenden des Internationalen Netzwerks der Kinder jüdischer Überlebender, Menachem Z. Rosensaft, der das DP-Camp als Übergang von der Hölle zur Normalität bezeichnete. Es habe den Eltern erlaubt, wieder Atem zu schöpfen. "Besonders jetzt, da wir Zeugen der Grausamkeit des russischen Angriffs auf die Ukraine und seiner Bevölkerung werden, werden wir erinnert, warum es wichtig ist, sich des Schreckens und des Leids, das der Krieg hervorbringt, bewusst zu sein", sagte Sontheim, bevor er den Reiseteilnehmern den Hintergrund zu dem Korbinians-Apfelbaum erklärte, der 2020 vor dem Feldafinger Rathaus gepflanzt worden war.

Das Ehepaar Krauss/Kasberger hat bereits viel zu dem Buch über die Feldafinger NS-Zeit recherchiert. Nach Angaben der Historikerin fanden nicht alle Bewohner des DP-Camps in den Sturmblockhäusern sowie in der Villa der ehemaligen Reichsschule Platz. Daher waren etwa zwei Drittel der Feldafinger in Nachbargemeinden wie etwa Traubing ausquartiert worden. Viele Mitglieder der Reisegruppe haben laut Krauss alte Fotos mitgebracht, die ihre Eltern von den Häusern machten, in denen sie in Feldafing gewohnt hatten. Teilweise sei nur ein Balkon zu sehen, und die Nachkommen hätten wissen wollen, um welches Haus es sich gehandelt habe. "Diese Bilder müssen nun heruntergebrochen werden", sagte Krauss. Auffallend bei allen Bildern ist ihr zufolge, "dass die Eltern so glücklich aussahen, obwohl sie die KZ-Hölle überlebt haben". Auch Sack zeigte sich sehr beeindruckt davon, dass die Stimmung der Reisteilnehmer emotional, aber ohne Groll sei. "Feldafing ist für alle durchwegs positiv. Das ist ein Privileg für Feldafing", betonte sie.

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