"Feierabend" in Nantesbuch:Synchronpassion

Nantesbuch tönendes Wetterleuchten

Jutta Bosch im Gespräch mit Nantesbuch-Programmleiter Jörg Garbrecht. Ob ihre Kunst noch aktuell ist? Das Publikum findet: Ja.

(Foto: Manfred Neubauer)

Jutta Bosch lässt Musik und Farbe verschmelzen

Von Anja Brandstäter, Bad Heilbrunn

Wenn das Schwarz von einem hellen Gelb abgelöst wird, sieht das wie eine Auferstehung aus. Fließend, langsam verändern sich die Farben und Formen in der 30-minütigen Projektion "Passio" von Jutta Bosch. Dann dominiert wieder Schwarz, bis sich plötzlich Rot partiell auf der Leinwand ausbreitet und wieder verschwindet. Das Farbenspiel erscheint zu Arien aus Bachs Matthäuspassion. Jeder sieht darin etwas anderes: Mal taucht ein blutverschmiertes Hemd auf, mal eine rote Pfingstrose, alles Interpretationssache. Unberührt lässt es niemanden.

Bosch hat diese Multimediashow, die Musik und Malerei zu einem Gesamtkunstwerk verschmilzt, am Dienstag bei einem "Feierabend" im Langen Haus der Stiftung Nantesbuch präsentiert. "Continuum" nennt die Künstlerin ihre1992 begonnene Arbeitsweise. Nach einem halbstündigen aufwühlenden Farb- und Klangrausch lernen die Gäste die Künstlerin bei einem Gespräch kennen. Zusammen mit Programmleiter und Moderator Jörg Garbrecht betritt sie das Podium und erzählt von ihrer Arbeit. Im Hintergrund ist eine blühende Wiese mit dem Alpenpanorama zu sehen - eine Projektion auch dies.

Inspiriert wurde Jutta Bosch bereits 1991 bei einem Sommerkurs eines prominenten österreichischen Aktionskünstlers in Salzburg: "Bei Hermann Nitsch haben wir Kübel voll Farbe an die Wand geworfen. Da hat es überirdisch ausgesehen", erzählt die Künstlerin. "Es war eine Befreiung." Bosch hatte zuvor an der Münchner Akademie Bildhauerei studiert. Ihre Arbeitsweise war bis dahin konservativ, exakt und genau. Dazu kam eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk Johann Sebastian Bachs, ausgelöst durch den Film "Opfer" von Andrei Tarkowski. Darin ist eine Szene mit der Arie "Erbarme Dich" aus der Matthäuspassion unterlegt. Sie geht unter die Haut.

Bosch wollte Musik und Malerei zusammenfügen, wusste aber damals noch nicht wie. Zunächst schuf sie 34 großformatige abstrakte Gemälde auf grober Jute. Jedes ist 1,85 Meter hoch und drei Meter lang. Und jedes entstand zu einer bestimmten Arie, die sie in Dauerschleife hörte, bis das Bild fertig war. "Ich wollte das Innere erfahren, das, was in der Musik passiert, auf die Leinwand bringen." Das konnte schon einmal drei Tage dauern. "Ich wollte die Musik mit allen Sinnen aufnehmen, genauso wie jemand, der immer die gleiche Stelle mit seinem Instrument übt", erklärt die Künstlerin. Sie habe dann alle 34 Gemälde professionell fotografieren lassen.

Bei der technischen Umsetzung unterstützt sie ihr Mann Christoph. Früher habe sie das "Continuum" mit zwei Diaprojektoren synchron zur Musik zeigen müssen, erklärt sie. Es sei nur analog gegangen. "Es war dann ein langsames Continuum, und die Projektoren haben gebrummt." Das hat sich in fast 30 Jahren völlig verändert. "Die digitale Technik von heute bietet andere Möglichkeiten und ist viel zuverlässiger", sagt Christoph Bosch.

Ob es noch zeitgemäß sei, so etwas zu zeigen, fragt Jörg Garbrecht etwas provokant. Das Publikum quittiert das mit Unverständnis, und Bosch erwidert: "Für mich fühlt es sich nicht falsch an." Garbrecht lenkt ein: "Auf jeden Fall tut es gut und wirkt entschleunigend."

Garbrecht erzählt, dass er das Werk, kaum dass er es gesehen hatte, in Nantesbuch präsentieren wollte, doch Christoph Bosch sei nicht einverstanden gewesen. Er habe darum gebeten, es zum passenden Zeitpunkt zu präsentieren. "Die Passionszeit ist eine religiöse Zeit voller Mystik. Ihr künstlerisches Schaffen beschäftigt sich sehr viel damit", sagt Garbrecht. Jutta Bosch sagt: "Die Spiritualität spielt in meinem Leben eine große Rolle. Ich meditiere jeden Morgen, um zu wissen, was an diesem Tag in dieser Minute wesentlich ist."

Garbrecht fragt nach, womit sich die Künstlerin gerade beschäftige und ob die "Continua" aufeinander aufbauten. "Ich arbeite gar nicht", sagt Bosch. "Jetzt mach ich erst mal Pause. Nach einem Zyklus bin ich völlig physisch verausgabt." An ihrem ersten Continuum "Passio" habe sie damals mehr als ein Jahr lang gewirkt. Inzwischen hat sie 17 weitere "Continua" geschaffen. In jedes flössen neue Erfahrungen ein: "Und die Farben werden immer bunter."

Zur Freude des Programmleiters hat die Künstlerin es ermöglicht, an diesem Abend ein Originalgemälde aus dem Zyklus "Passio" im Kaminzimmer zu zeigen. Das riesige Bild steht auf einem Holzregal, als sei es schon immer dagewesen. Die Grundfarbe ist ein dunkles Graugrün. Über Kopfhörer kann man der dazugehörigen Arie lauschen. Gemütliche Ohrenbackensessel stehen bereit. Um den Austausch der Besucher zu fördern, gibt es ein Glas Wein und Gebäck. Keiner geht an diesem Abend so schnell nach Hause. Der Gesprächsbedarf ist groß. Im Gästebuch ist zu lesen: "Ein großartiger Abend, der sie Seele berührt."

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