Fast wie im richtigen Leben:Likes und Liebe

Fast wie im richtigen Leben: Vasilisa Tovstyga (links mit Maya Haddad) hat es von der Statistin zu einer Hauptrolle gebracht.

Vasilisa Tovstyga (links mit Maya Haddad) hat es von der Statistin zu einer Hauptrolle gebracht.

(Foto: ZDF/Susanne Bernhard)

Vasilisa Tovstyga ist Abiturientin an der Max-Rill-Schule - und Schülerin des "Berginternats" in der ZDF-Serie "Gipfelstürmer". Realität und Fiktion kommen sich im alten Schloss von Reichersbeuern derzeit bisweilen erstaunlich nahe

Von Stephanie Schwaderer

Die ersten Worte, die Vasilisa Tovstyga im "Berginternat" vor laufender Kamera spricht, gelten Konstantin, einem tollkühnen Mountainbiker. "Cooles Video by the way", flötet sie ihm über die Schulter zu. Dann ein kühler Seitenblick zu einer Mitschülerin, die sich offensichtlich nach Konstantin verzehrt. "Also, wer so viele Likes hat, kann es sich echt aussuchen, mit wem er zusammen ist." Aha: Die blonde Russin ist eine Schlange. Die Szene spielt in Folge 1 der neuen ZDF-Serie "Gipfelstürmer - das Berginternat". Wie lange Vasilisa warten musste, bis die Worte im Kasten waren, weiß sie schon nicht mehr. "Fünf Stunden", schätzt sie. Und dennoch: Ihr Leben hinter den Kulissen des "Berginternats" ist gerade spannender als manch ein Plot.

Spätestens seit dem "Bullen von Tölz" haben Fernsehproduzenten das Oberland entdeckt. Ob "Hubert und Staller" oder "Tonio und Julia" - die Szenerie vor den Alpen ist offenbar zu schön, um sie nicht als Kulisse für kleine oder größere Dramen zu nutzen, die den Zuschauer nicht um den Schlaf bringen. Selten jedoch kommen sich Fiktion und Realität so nahe wie derzeit bei den "Gipfelstürmern".

Die neue "Alpin-Reihe" des ZDF läuft zur besten Sendezeit. In den tragenden Rollen sind Schauspieler wie Katja Weitzenböck, Johanna Bittenbinder und Felix von Manteuffel zu sehen. Die Geschichten um Höhen und Tiefen im Leben junger Sporttalente, ihrer Lehrer, Trainer und einer neuen Sozialpädagogin (Maya Haddad) werden im trutzigen Schlösschen von Reichersbeuern gefilmt - und damit in der Max-Rill-Schule. An Drehtagen reihen sich Lastwagen und Maskenmobile auf der schmalen Zufahrt, so dass die Eltern der Tagesschüler im Dorf parken müssen. An die 50 Filmleute wollen dann mit gut 100 realen Gymnasiasten und deren Stundenplan koordiniert werden. Und mittendrin: Vasilisa Tovstyga, eine Art Kristallisationspunkt zwischen den Welten.

Gipfelstürmer - Das Berginternat Vasilisa mit Tovstyga

Schloss Reichersbeuern liefert die Kulisse für die "Gipfelstürmer".

(Foto: Manfred Neubauer)

"In echt bin ich das Gegenteil"

"Ich war eine Bitch", sagt die 18-Jährige über ihre ersten Auftritte als Inna Prugowa, "so arrogant." Sie schlägt den Blick unter den dunklen Brauen nieder und schaut auf ihre Hände. Vielleicht hat sie das vor dem Spiegel geübt - es wirkt jedenfalls sehr überzeugend. Dann der Augenaufschlag: "In echt bin ich das Gegenteil!" Spätestens jetzt würde im Film sanfte Musik einsetzen. In echt ist sie auf alle Fälle ein Mädchen, das vor zwei Jahren von Sankt Petersburg nach Reichersbeuern geschickt wurde, um dort Abitur zu machen. Ein talentiertes Mädchen.

Ihre Eltern würden sie gern im diplomatischen Dienst sehen, erzählt Vasilisa. "Aber ich bin eine künstlerische Person!" Davon kann sich das ZDF-Publikum voraussichtlich im Herbst überzeugen. In Folge 4 der "Gipfelstürmer" spielt sie eine Hauptrolle - und wird beweisen, dass Schlangen erstaunliche Häutungsprozesse durchmachen. Ein Sprung von der Komparsin in die erste Darsteller-Reihe also - wie hat sie das geschafft?

"Vasi ist sehr professionell, lobt Produzent Boris Jendreyko. "Auch nach Stunden ist sie sofort fokussiert." Zum Casting habe sie etwas Besonderes mitgebracht, was die anderen nicht gehabt hätten. "Russische Seele und Traurigkeit", sagt Jendreyko. Was sie zudem dabei hatte: ein Video, das sie als zwölfjährige Eisprinzessin zeigt. Seit ihrem dritten Lebensjahr steht Vasilisa Tovstyga auf Schlittschuhen, zehn Jahre lang wurde sie in Sankt Petersburg intensiv ausgebildet. Für das "Gipfelstürmer"-Redaktionsteam ein Glücksfall.

Die Idee, Schüler als Statisten und Komparsen einzusetzen, sei schon beim Schreiben des Drehbuchs entstanden, erzählt Jendreyko. 25 Schülerinnen und Schüler aus Reichersbeuern hätten in der ersten Folge mitgemacht. Seither habe das Interesse stark nachgelassen - nicht nur, weil die Filmerei ein mühseliges Geschäft sei, auch deshalb, weil zuletzt in den Ferien gedreht wurde. Für Vasilisa gilt das Gegenteil. Sie hat mit Begeisterung 15 Drehtage absolviert. Was sie in der Schule verpasst, arbeitet sie nach, zum Teil mit Nachhilfelehrern. "Ich will das schaffen", sagt sie, "und ich werde das schaffen."

Zum Pressegespräch hat Schulleiterin Carmen Mendez in den Preysingsaal gebeten. Der liegt im ersten Stock des einstigen Wasserschlosses, hat wuchtige Eichendielen und einen erhabenen Blick ins Grüne. Im Film steht hier der Schreibtisch der fast schon ätherischen Schulleiterin Gitta Engel (Katja Weitzenböck), die alles daran setzt, ihr Sportinternat gegen verschiedenste Widrigkeiten zu verteidigen. "Sportinternat - das gibt's doch gar nicht!", sagt Mendez, die echte Direktorin, lehnt sich lässig zurück und verdreht die Augen. "Eine Unterhaltungsserie halt."

Spannend findet sie das Filmprojekt dennoch. Vor allem, weil das Aushängeschild der Max-Rill-Schule das Schultheater sei. Sie hofft, dass ihre Schützlinge von dieser "authentischen Erfahrung" möglichst viel mitnehmen. "Zum Beispiel, dass sie sehen, wie lange es dauert, bis eine Minute gefilmt ist; dass sie merken: Es lohnt sich, eine Sache zweimal zu machen."

Das Geld, das die Schule für die Dreharbeiten bekommt, stecke sie sofort wieder in Sanierungsarbeiten, sagt Mendez. Fachkundiger Rat wird ihr derzeit frei Haus geliefert: "Ein Szenenbildner hat einen sehr guten Blick auf das historische Gemäuer."

In mancher Hinsicht sind die "Gipfelstürmer" laut Mendez durchaus realistisch. Viele Schüler seien im Internat, weil ihre Eltern beruflich schwer eingespannt oder im Ausland tätig seien. Zudem gebe es den Trend, dass Familien aus dem asiatischen Raum und den ehemaligen Sowjetrepubliken ihre Kinder nach Deutschland schickten. "Unser Bildungssystem ist hoch angesehen." Vasilisa sei da ein ganz typischer Fall: "Sie kommt aus einer sehr bildungsorientierten russischen Familie."

Und wie geht es einer 16-Jährigen, die in einer Kultur-Metropole an der Ostsee aufgewachsen ist und plötzlich in Reichersbeuern steht, einem Pfarrdorf mit gerade einmal 2200 Einwohnern? "Erst war es schockierend", sagt Vasilisa. "Jetzt mag ich alles: die Kultur, die Umgebung, die frische Luft." Der Hauptgrund, warum sie sich für die Max-Rill-Schule entschieden habe, sei das Schultheater gewesen.

Leiter der Theatergruppe, die regelmäßig mit außergewöhnlichen Produktionen auf sich aufmerksam macht, ist Nikolaus Frei. Er habe mit Vasilisa ein bisschen fürs Casting geübt, erzählt er. In der Theatergruppe habe sie sich längst profiliert. "Man spürt ihren Ehrgeiz: Sie will besser werden." Den letzten Schliff vor dem entscheidenden Auftritt holte sie sich indes bei ihrer Mutter in Sankt Petersburg. Mit ihr ging sie noch einmal ausgiebig aufs Eis, übte Sprünge und Figuren, entwarf eine Choreografie. "Das ist wie Fahrradfahren", sagt sie, "das verlernt man nicht." Zum Eislaufen kommt Vasilisa nur noch selten. Dafür pflegt sie eine andere Leidenschaft: Youtube. Auf ihren eigenen Kanal (Vasilisa Laime) lädt sie Videos hoch, die sie zu russischen Songs aufnimmt. Es geht um Flirts und Liebeskummer, großes Drama, und innige Versöhnung. In der Hauptrolle: Vasilisa Tovstyga. Der beliebteste Streifen hat mehr als 31 Millionen Klicks.

Vasilisa nutzt auch die Max-Rill-Schule für ihre Eigenproduktionen. Ein Video beginnt in der Schulbibliothek, wo ihr ein Mitschüler zu nahe kommt. Dann gibt es offenbar ein übles Missverständnis mit einem anderen Jungen. Sie schüttet ihm ein Glas Wasser ins Gesicht, verteilt Ohrfeigen, er packt sie und wirft sie in den Schnee, die beiden Jungs prügeln aufeinander ein, der Schulleiter - gespielt von Nikolaus Frei, der weder am Schreibtisch von Frau Engel noch dem von Frau Mendez sitzt - wird richtig sauer. Er fetzt einen dicken Aktenordner vom Tisch. 1,3 Millionen mal wurde der Musikfilm schon aufgerufen. Angesichts der gehäuften Wut- und Gewaltausbrüche in gerade einmal drei Minuten 40 Sekunden würde man gerne die neue Sozialpädagogin Maya Haddad vorbeischicken. Aber die spielt ja in einem ganz anderen Film. Egal.

Außer Frage steht: Die Rolle als "Gipfelstürmerin" wird wohl nicht Vasilisas letzte sein. Wer so viele Likes hat ...

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