Fast ein Vierteljahrhundert im Gemeinderat:Mit "Sitzfleisch" und Überzeugung

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Heimatverbunden: Ernst Ramerth war 40 Jahre lang Pfarrgemeinderat in Holzhausen. In den Münsinger Gemeinderat, dem er insgesamt 24 Jahre lang angehörte, schaffte er es 1984 zum ersten Mal. Damals war er gerade mal 28 Jahre alt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nach 24 Jahren geht Ernst Ramerth in Münsing in den politischen Ruhestand. Wegen der Corona-Krise konnte er sich nicht wie gewünscht verabschieden. Im Rückblick hält er sich seinen Einsatz für den Breitbandausbau zugute

Von Benjamin Engel, Münsing

Ziemlich komisch hat sich Ernst Ramerth zum Abschluss seiner Gemeinderatskarriere gefühlt. Statt im Sitzungssaal tagt das Gremium zum Schutz vor Coronavirus-Infektionen im Gemeindesaal, wo jeder mit großem Abstand an einem separaten Tisch sitzt. Zur letzten Sitzung der zu Ende gegangenen Amtsperiode hatte Ramerth eine Maske mitgebracht. Ein Handdesinfektionsmittel stand für ihn und seine Ratskollegen bereit. "So hätte ich mir meinen Abschied nicht vorgestellt", sagt der Maschinenbauingenieur im Ruhestand. Die Atmosphäre im Gemeindesaal sei "kühl". Nach fast 25 Jahren im Gemeinderat für die Wählergruppe Holzhausen habe er sich nicht so verabschieden können wie gewohnt.

Die konstituierende Sitzung des neuen Gemeinderats ist inzwischen vorbei. So wie das Gremium mit den neuen Tagungsbedingungen zurecht kommen muss, haben sich auch für Ramerth die Alltagsroutinen verändert. Die bereits gebuchte Reise mit seiner Frau - sie arbeitet als Lehrerin in der Eurasburger Grundschule - nach Lissabon um Ostern musste ausfallen. Genauso unmöglich sind die gemeinsamen Museumsbesuche. Stattdessen verbringt der 63-Jährige die meiste Zeit im Garten seines Hauses bei der Stroblmühle südlich von Schloss Weidenkam. Mit seiner Frau hat er ein Hochbeet angelegt. Immerhin, so sagt er, wohne er in einer schönen Landschaft und könne jederzeit ins Grüne. "Schon langsam vermisse ich aber die sozialen Kontakte."

In der Kommune hatte sich Ramerth früh zu engagieren begonnen. Seit dem 18. Lebensjahr war er 40 Jahre lang im Pfarrgemeinderat aktiv, 24 Jahre war er Vorsitzender der Holzhauser Feuerwehr. Für ihn selbst überraschend schaffte er es 1984 im Alter von 28 Jahren erstmals in den Gemeinderat. Die Zeit war eine ganz andere. Das Rauchen im Sitzungssaal war gerade erst abgeschafft worden. Als mit Abstand jüngster Gemeinderat habe er sich seine Position unter den Kollegen erkämpfen müssen, erinnert sich Ramerth. "Von einigen Leuten wurde ein rauer Ton angeschnitten. Als Jüngerer musste man sich fügen." Auf Ratsneulinge werde heutzutage wesentlich mehr Rücksicht genommen.

Nach einer Amtsperiode war für Ramerth Schluss. Erst 2001 rückte er in den Gemeinderat für die Wählergruppe Holzhausen wieder nach und blieb dort bis zu diesem Frühjahr. Im Gremium war Ramerth dafür bekannt, sachorientiert zu agieren. In den Vordergrund drängte es ihn nicht. Wenn er aber das Gefühl hatte, Debatten würden sich nur im Kreis drehen, stellte er gerne einen Antrag zur Geschäftsordnung, dass endlich abgestimmt werde. Im Gegensatz zu früher hätten sich Schaufensterreden eingebürgert, findet er. Das, so lässt er anklingen, gefällt ihm weniger. Jeder habe das Recht sich frei zu äußern, wenn aber der zweite oder dritte Gemeinderat betone, wie gut er einen Sachverhalt finde, fehle womöglich die Zeit für weitere Diskussionen.

Mit seiner Arbeit im Gemeinderat ist Ramerth im Großen und Ganzen zufrieden. Wichtig war ihm, die gute Infrastruktur der Gemeinde zu erhalten - von der Trinkwasserversorgung und dem Kindergarten in Holzhausen bis zum Breitbandausbau. Für leistungsfähige Internetverbindungen habe er sich bereits früh eingesetzt, sagt er. Mit dem Breitbandpaten und technischen Bauamtsleiter Josef Limm sei die Gemeinde auf einem gutem Weg. Er wolle sich nicht gerne selbst loben, erklärt Ramerth. Aber er sei stolz, sich frühzeitig für das Thema eingesetzt zu haben. In der Zeit der Corona-Pandemie zeige sich dessen ganze Bedeutung. Ohne Breitband-Internet sei Arbeit im Home-Office gar nicht denkbar.

Zu heutigen Kommunikationsmöglichkeiten könnte der Kontrast des Jahres 1983 kaum größer sein. Der damals junge Ingenieur Ramerth musste sich beim Unternehmen Linde erstmals mit einem Telefax auseinandersetzen. Der Apparat sei so groß wie eine Waschmaschine gewesen, schildert er. Über eine Standleitung sei es möglich gewesen, von einem großen Standort zum anderen zur geraden Stunde zu senden und zur ungeraden zu empfangen. Sein ganzes 40-jähriges Berufsleben hat Ramerth für das Traditionsunternehmen Linde in Höllriegelskreuth gearbeitet. Dort betreute er lange Jahre weltweit Produktionsbetriebe für Gase. Im Vorjahr ist er in den Ruhestand gegangen. In seinem Berufsleben habe er gelernt, flexibel zu sein und manchmal schnell entscheiden zu müssen, sagt er. In der Kommunalpolitik brauche es "Sitzfleisch" und Überzeugung. Er bedauere, dass sich manche Bürger zu wenig mit der Gemeindepolitik beschäftigten. So habe er auch seine Sorge, Münsing könnte zu dicht bebaut werden, mehr als einmal artikuliert. Man müsse aber auch das Baurecht beachten. Ohne Bebauungsplan sei es aber eben zulässig, Grundstückslücken wie in der Umgebung ortsüblich zu bebauen.

Weit außerhalb der Hauptorte der Kommune ist Ramerth in der Stroblmühle auf einer Lichtung im Wald aufgewachsen. Sein Vater hat die Getreidemühle 1970 aufgegeben. Ramerths Bruder hat die verbliebene kleine Landwirtschaft später übernommen. Er selbst wohnt in einem Nebenhaus. Der Wunsch, aus der abgeschiedenen Idylle auszubrechen, ist längst vergangen. "Heute lebe ich gerne hier in der Natur." Manche Projekte wie das neue Bürgerhaus oder das in Ambach geplante Seniorenwohnstift hätte er kommunalpolitisch gerne noch weiter aktiv verfolgt, sagt er. Aber es sei einfach an der Zeit gewesen, im Gemeinderat für Jüngere Platz zu machen.

© SZ vom 18.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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