Familienreferentin und Kunsthandwerkerin:Bestechend kreativ

Familienreferentin und Kunsthandwerkerin: Kelly Wrights Atelier und Werkstatt am Ickinger Wenzberg sind ein farbenfrohes Durcheinander von Wollknäueln, Stoffen und Garnen.

Kelly Wrights Atelier und Werkstatt am Ickinger Wenzberg sind ein farbenfrohes Durcheinander von Wollknäueln, Stoffen und Garnen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Kelly Wright hat die Kunst des Teppichknüpfens mit der "Punchneedle" aus den USA nach Icking gebracht

Von Susanne Hauck

Kelly Wright ist schon um 5 Uhr aufgestanden, sie ist zurzeit schwer damit beschäftigt, Texte und Fotos für ihr erstes Buch fertigzustellen, das im Frühjahr erscheint und Anfängern das Einmaleins des Teppichknüpfens beibringen soll. Sie schlicht eine Handarbeitslehrerin zu nennen, würde der in Icking lebenden Amerikanerin nicht gerecht. Sie ist eine Textilkünstlerin, die mit bunten Wollfäden und der "Punchneedle", einer Art geschlitzter Häkelnadel, Teppiche nach eigenen Entwürfen fertigt. Mal entstehen florale Muster unter ihren Händen, mal Tiere, Früchte und ganze Gemälde. "Rug Hooking" heißt diese aus USA stammende Technik, für die sich Wright begeistert und die sie noch stärker in Deutschland bekannt machen will.

Was an der 49-Jährigen auffällt, ist die Lebensenergie, die positive Ausstrahlung, die typisch amerikanische Unerschrockenheit, sich an Dinge heranzuwagen: "You can do it - jeder kann das!" Eigenschaften, die ihr wohl der Großvater vererbt hat, zusammen mit einem überragenden handwerklichen Talent. Opa Wright arbeitete sich bis in den Vorstand der Kaufhauskette Woolworth hoch, setzte sich aber früh auf einer Farm in Missouri zur Ruhe. Dort baute er für sich und seine Familie ein eigenes Privatkaufhaus, zwei Stockwerke, eingerichtet mit allem Drum und Dran. Düngemittel gab es, Mörtel, Pflaster, Strümpfe, Nähseide, Nagellack, Briefpapier - einfach alles.

Familienreferentin und Kunsthandwerkerin: Kelly Wrights Atelier und Werkstatt am Ickinger Wenzberg sind ein farbenfrohes Durcheinander von Wollknäueln, Stoffen und Garnen.

Kelly Wrights Atelier und Werkstatt am Ickinger Wenzberg sind ein farbenfrohes Durcheinander von Wollknäueln, Stoffen und Garnen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

"Wenn wir eine Schürze brauchten, gingen wir ganz selbstverständlich in den Laden und bedienten uns", erinnert sich Wright. Was sich für europäische Ohren reichlich skurril anhört, hatte in der amerikanischen Abgeschiedenheit der Provinz ganz praktische Gründe: Es wäre viel zu weit gewesen, für jeden Krimskrams eine stundenlange Fahrt in die Stadt auf sich zu nehmen.

Wright wuchs als Halbwaise auf, deren Mutter nicht viel Zeit für sie und die drei älteren Geschwister hatte. Joan Wright machte politische Karriere, wurde in den Senat von New Jersey gewählt und später zur ersten Frauenbeauftragten des Bundesstaats ernannt. So kam es, dass ihre Tochter in den Ferien jede Menge Zeit hatte, sich in der Handarbeitsabteilung des großväterlichen Kaufhauses auszuprobieren. Schon als Sechsjährige war sie, wie sie erzählt, wie magisch angezogen von einer Geschichte in einem Kinderbuch, in der eine Mutter einen Teppich aus Fäden für ihren Sohn herstellte. "Das will ich auch können", bettelte sie die Großmutter an, die in den Laden ging und mit Wolle und Werkzeug zurückkam. "Seitdem mache ich Teppiche", sagt Wright.

Immer mehr Techniken gesellten sich im Lauf der Zeit dazu: Zum Rug Hooking, bei dem man mit einer Nadel gleichmäßige Schlingen aus weichen Wollfäden in Leinwand sticht, kam das Rug Braiding, auf Deutsch Zopfen, für das dicke Zöpfe aus Wollstreifen geflochten und zusammengenäht werden. "Es ist nicht nur der Umgang mit Farben und dem Material, den ich so liebe", sagt Wright. "Sondern auch dieses Meditative, das sich beim Arbeiten einstellt, diese Mischung aus Energie und Ruhe."

Familienreferentin und Kunsthandwerkerin: Die „Punchneedle“, eine Art geschlitzte Häkelnadel.

Die „Punchneedle“, eine Art geschlitzte Häkelnadel.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Mit 16 zog sie von zu Hause aus, jobbte, um sich das Studium zu finanzieren. Über ein Fulbright Stipendium gelangte sie nach Berlin und Hannover, wo sie Germanistik und BWL studierte. Sie lernte ihren Mann kennen; mit ihm und den drei Kindern lebt sie in Icking. Dort ist Kelly Wright inzwischen Familienbeauftragte der Gemeinde und Elternbeirätin.

Lange Zeit ging das Teppichmachen nur nebenher, doch seit 2012 betreibt sie es professionell mit der eigenen Firma D.K. Wright Construction mit Workshops und Online-Shop. Eine eigene Schule soll jetzt entstehen, nachdem das Rug Hooking mit der Punchneedle durch Youtube-Videos in Europa in Do-It-Yourself-Kreisen ziemlich populär geworden ist. Dass irgendwelche Berlinerinnen für sich in Anspruch nehmen, sie hätten den Trend als erste nach Deutschland gebracht, kann Wright nicht erschüttern. "Ich mach' das schließlich schon ewig." Um sich die Butter nicht vom Brot nehmen zu lassen, ist sie in die USA gereist und hat sich bei Amy Oxford, der Erfinderin der Punchneedle, als Lehrerin zertifizieren lassen.

"Mich fasziniert es, künstlerisch etwas zu gestalten, das auch schön und nützlich ist", sagt Wright, die sich in der Tradition des Kunstgewerbes sieht. Sie erzählt, dass das Rug Hooking eine Volkskunst aus Neuengland ist, die Anfang des 19. Jahrhunderts aus der Resteverwertung entstand. Die Mädchen, die in den Textilspinnereien arbeiteten, durften die Wollreste vom Boden aufheben und mit heimnehmen, wo sie die Fäden mit einer Nadel durch das Gewebe von Mehlsäcken zogen, die auf einen Rahmen gespannt waren. Für das Rug Braiding verwerteten die Pioniersfrauen abgetragene Kleidung, die sie in Streifen rissen. Mit den Teppichen, die sie daraus flochten, kamen Wärme und Farbe in die kalten Blockhütten.

Bunt ist auch Wrights Haus: Teppiche, Wandbehänge, Patchworkdecken, Fußabstreifer und Kissen türmen sich. Atelier und Werkstatt sind ein farbenfrohes Durcheinander von Wollknäueln, Stoffen und Garnen. Es ist übrigens nicht irgendeine Ickinger Adresse, an der Kelly Wright wohnt. Es ist das Haus von Paul Wenz, des Nazi-Architekten, dessentwegen in Icking viel Streit um die Umbenennung der Straße "Wenzberg" geführt wurde. Stört sie das? "Es belastet mich nicht, es beflügelt mich nicht, aber es ist gut, sich für den Diskurs zu öffnen", ist ihre Antwort. Als Amerikanerin dürfe sie neutral darüber denken. "Dieses hundert Jahre alte Haus ist nicht Teil meiner persönlichen Vergangenheit, sondern Teil meiner Gegenwart."

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