Bad Tölz-Wolfratshausen:Boom bis zur Erschöpfung

Bad Tölz-Wolfratshausen: Lange Lieferzeiten, zahlreiche Kunden und viele Reparaturen: Martin Schindler hat in seinem Radl-Geschäft in der Pandemie viel zu tun.

Lange Lieferzeiten, zahlreiche Kunden und viele Reparaturen: Martin Schindler hat in seinem Radl-Geschäft in der Pandemie viel zu tun.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Lockdown? Da kann man ohnehin nichts anderes machen als sich an der frischen Luft zu bewegen. Viele Leute ließen den Winter über deshalb ihr Bike herrichten. Für die Radlgeschäfte hat das nicht nur Vorteile.

Von Stefanie Haas, Bad Tölz-Wolfratshausen

Es riecht nach frisch gesägtem Holz und neuer Ware, denn die in Reih und Glied aufgestellten E-Bikes warten auf neue Besitzer. Wer den Verkaufsraum von Bike-Sport Schindler in Greiling betritt, muss zunächst eine kleine Baustelle überqueren. Eigentlich sollte der Umbau schon 2019, zum 25. Jubiläum, abgeschlossen sein. Verhandlungen mit dem Landratsamt zogen sich hin, sodass der eigentliche Umbau erst Ende 2020 begann. Aber an Verzögerungen müsste der kleine Familienbetrieb unweit von Bad Tölz mittlerweile gewöhnt sein.

Seit einem Jahr steigen plötzlich viel mehr Menschen auf ihre Fahrräder. Der "Urlaub dahoam" bedeutete für die Fahrradläden zunächst ein lukratives Geschäft. Doch mit der rasant gestiegenen Nachfrage konnte das Angebot nicht mitziehen. "Mittlerweile kann es sein, dass man Wochen oder Monate auf verschiedene Sachen wartet", erklärt Martin Schindler junior, der gemeinsam mit seinem Vater den Betrieb leitet. Bis zum vergangenen Jahr sei das lediglich bei einigen Spezialteilen wie besonderen Bremsbelägen der Fall gewesen - jetzt sind davon sogar gängige Reifen oder Kassetten betroffen.

Schon vor Weihnachten, erzählt Schindler, selber leidenschaftlicher Mountainbiker, habe er Kassetten von Shimano, einem der größten Hersteller in der Branche, bestellt. Liefertermin: unbekannt. Bei den Reifen sei es ähnlich: "Manche Reifen gibt es im Liefersystem gar nicht mehr." Mitunter muss Schindler zu sehr kreativen Lösungen greifen: Weil sich bei einem Mountainbike, dessen Schaltwerk ausgetauscht werden musste, die Lieferung auf unbestimmte Zeit verzögerte, baute er kurzerhand das Schaltwerk eines Neurads aus. Das Fahrrad, Neupreis knapp 7000 Euro, stand dann unverkäuflich im Laden, bis das entsprechende Ersatzteil geliefert wurde.

Die Erklärung ist so simpel wie folgenreich: Zu Beginn der Pandemie brachen globale Produktionsketten zusammen. Nach Wiederaufnahme der Produktion aber war die Nachfrage bereits so weit angestiegen, dass die Hersteller diese seitdem nicht mehr bewältigen können und mit Ausfällen oder eben Lieferschwierigkeiten kämpfen. Betroffen sind nicht nur einzelne Teile, sondern auch ganze Fahrräder. Schindler zeigt auf die zahlreichen E-Bikes im Geschäft und erklärt, dass sie diese immer ein Jahr im Voraus bestellen würden. Die Lieferung erfolgt dann sukzessive: Aktuell stünden noch etwa 50 Räder aus, die teilweise erst im Oktober kommen sollen. "Wir haben hier jetzt beispielsweise ein Rad, das von einem Kunden letztes Jahr reserviert wurde. Damaliger Liefertermin: 30. Juni. Aber das ist jetzt der früheste Produktionstermin. Das bedeutet, dieses Rad existiert noch nicht", so Schindler. Für die Kunden ist das wiederum auch ein Problem, denn die wüssten auch nicht, ob ihnen das Rad gefällt. Die Katze im Sack will bekanntlich niemand kaufen. Dennoch zeigen sich viele Kunden verständnisvoll. In der Szene sind die Lieferschwierigkeiten schließlich ein bekanntes Thema.

Der Boom bei den Fahrradläden hat neben dem Lieferproblemen auch eine weitere Kehrseite: Arbeitsbelastung. Helmut Oswald empfängt zum Gespräch in seinem Geschäft in Wolfratshausen. Es ist viel los, einige Kunden wollen sich beraten lassen. Die meisten aber haben ihre Fahrräder zwecks Reparatur dabei. "Wir haben ja schon vor der Krise nicht die ganze Zeit geschlafen", erzählt der Geschäftsführer von Oswald Bikes & Service. Neben dem Verkauf gibt es auch den Werkstattbetrieb. Das sei für Oswald schon manchmal eine echte Belastung gewesen.

Werkstätten sind systemrelevant und waren daher auch im Lockdown geöffnet - zwar mit Erfolg, aber auch mit viel Andrang, der zu bewerkstelligen war. "Es wird den Angestellten schnell mal zu viel und wenn dann einer oder zwei kündigen, dann ist alles kontraproduktiv. Dann schaffen wir es nicht mehr, wir werden sauer, der Kunde wird sauer und alles wird schlimmer." Fehlender Nachwuchs und Hygienekonzepte erschweren die Arbeit. Oswald schaut nachdenklich auf sein Geschäft. Klar, bei ihm seien die Umsätze auch rasant gestiegen und das hat sich als vorteilhaft erwiesen. "Aber man darf das nicht so einfach sehen. Der Absatz muss bewerkstelligt werden. Ich brauche da zunächst jede Menge Geld - die Anschaffungen müssen wir ja bezahlen." Was viele außerdem vergessen: Mehr Umsatz geht auch mit mehr Kundenbetreuung einher. Das bestätigt auch Schindler: "Je mehr Räder wir verkaufen, desto mehr Kunden gilt es mittelfristig zu betreuen bei Fragen, Reparaturen, Kaufwünschen und dergleichen." Um die zahlreichen Aufträge beim Reparaturbetrieb zu bewerkstelligen, hat Oswald sich nun eine geschickte Lösung ausgedacht: Outsourcing. Ein ehemaliger Mitarbeiter betreibt eine Werkstatt und übernimmt die Reparaturen. "Das ist schon eine Entlastung."

Bad Tölz-Wolfratshausen: „Wir haben ja schon vor der Krise nicht die ganze Zeit geschlafen“ – Helmut Oswald besorgt die viele Mehrarbeit in seinem Geschäft.

„Wir haben ja schon vor der Krise nicht die ganze Zeit geschlafen“ – Helmut Oswald besorgt die viele Mehrarbeit in seinem Geschäft.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Im Hinblick auf Lieferengpässe erzählt Oswald, dass er im Vorjahr glücklicherweise sehr viel bestellt hätte. Daher stehen jetzt auch noch verhältnismäßig viele Fahrräder im Laden. Aber den Betrieb so zu führen, dass genügend verkauft wird, ohne sich zu verkalkulieren, ist eine Gratwanderung. "Irgendetwas kann immer schief gehen", so Oswald. Ist das Wetter schlecht, bleibe oft auch die Kundschaft aus. "Darüber redet dann keiner."

Eine Veränderung, die ihm wiederum sehr gefällt, ist die Terminierung. Für den Ablauf sei es ohnehin besser, wenn die Kunden mit Termin vorbei kommen. Dafür gibt es auf der Webseite auch ein ausführliches Online-Formular. "Dann kann man sich auch ein bisschen vorbereiten und fängt nicht von Null an. Da hat sich auch der Kunde meistens schon etwas überlegt oder auf unserer Seite geschaut und wir im Laden können schon ein bisschen was herrichten."

Auf die Frage, wo man den Boom denn am meisten gemerkt hätte, sind sich Schindler und Oswald einig. "Vor allem das Leasing hat bei uns im Umsatz stark zugenommen", so Oswald. Schindler bekräftigt das: "Als wir 2014 mit dem Modell anfingen, wurden vielleicht zwei Räder im Jahr geleast. Jetzt hat sich aber die Zielgruppe verändert. Es gibt viel mehr junge Leute, die ein solches Angebot nutzen." Das zeigt: Das Rad-Geschäft boomt nicht nur bei Ausflüglern, sondern auch im Alltag.

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