Extremfotograf:"Ich habe eine Armada von Schutzengeln verbraucht"

Tornadogewarnte Superzelle in Texas

Eine tornadogewarnte Superzelle in Texas, fotografiert von Carsten Peter.

(Foto: © Carsten Peter/www.CarstenPeter)

Tiefschwarze Höhlen, tobende Vulkane, tosende Tornados: Carsten Peter ist in der ganzen Welt unterwegs. Ein Besuch bei einem, der für ein Foto alles riskiert.

Von Viktoria Spinrad

Einmal wurde es besonders eng. Carsten Peter, heute 61, war mit seinem Team auf Tornadojagd in South Dakota, als der Sturm auf die Gruppe zukam. Während die anderen ins Auto flüchteten, ihn anschrien, wurde Peter ganz ruhig. Er kniete sich auf die Straße, hielt sein Objektiv in den Sturm und hielt den Tornado fest - Bild für Bild. Als er ins Auto sprang, flogen bereits Gegenstände durch die Luft.

So hat er die Situation aus dem Jahr 2004 einmal geschildert. Es ist eine seiner unzähligen spektakulären Geschichten. Für den Extrem-Fotografen Peter aus Icking sind herannahende Wirbelstürme, speiende Vulkane und tiefe Höhlen der Antrieb für packende Motive von ungezähmter Natur. Damit hat er Erfolg: Peter ist einer von vier deutschen Fotografen, die regelmäßig für die amerikanische Zeitschrift National Geographic arbeiten. Er gewann mit dem "World Press Award" den Oscar der Pressefotografie, tourt mit Vorträgen durch die Welt. Auf Instagram posen die Leute mit ihm wie mit einem Popstar. Für all das riskiert er viel, sehr viel.

Warum nimmt er das auf sich? Ist das Ganze vielleicht eine Art Sucht? Peter schaut nachdenklich. Überlegt seine Worte genau und sagt: "Vielleicht ist es eher eine Sehnsucht."

Ein Januarabend in einem umgebauten Bauernhaus in Icking. Draußen legt sich die Nacht über den Ort, drinnen knackt das Holz. Palmen, eine Sitzbank mit Pferdekopf aus Timor, eine Frauenbüste mit Muschel-Kopfschmuck. "Ich brauche meine jährliche Dosis Magma", hat Peter mal gesagt. An diesem Abend sagt er: "Ich habe eine Armada von Schutzengeln verbraucht."

Die deutsche Ausgabe von National Geographic hat Peter einmal als mutigsten NatGeo-Fotograf bezeichnet, dort ist er der Mann fürs Extreme. Er hat zu Fuß die Sahara durchquert, ist durch mexikanische Kristallhöhlen geklettert und ist auf Hawaii in der Sperrzone Methan-Flammen hinterhergejagt. Seine Bilder zeigen die Natur oft von ihrer brutalen, erbarmungslosen Seite. Und über allem schwebt die Gefahr. Während er auf ästhetische Weise mit den Farben spielt, ist die Apokalypse oft greifbar. Peter öffnet seine Hände und sagt: "Wenn etwas mundgerecht serviert wird, wird es für mich eigentlich schon wieder uninteressant."

Kater Carlos von nebenan hat sich hereingeschlichen. Peter streichelt ihn. Er spricht jetzt über eine seiner Expeditionen zum Ätna. Er und sein Begleiter Chris Heinlein waren bereits drei Tage am höchsten aktiven Vulkan Europas gewesen, die Essensvorräte waren fast aufgebraucht, als am Morgen 800 Meter hohe Feuerfontänen aus dem Vulkan schossen. Lavablöcke so groß wie Autos wurden in die Luft geschleudert. Peter hebt seine Hände: "Wenn uns die Lava erwischt hätte, hätten wir keine Chance mehr gehabt."

Aber auch so erlitt Peter während seiner Fotografenzeit unzählige Verletzungen, Verbrennungen, Knochenbrüche. Sein Umfeld prophezeite ihm, dass er so nicht lange überleben werde. Doch er hat es bis hierhin überstanden. Seine Erfahrung beim Klettern, Tauchen, Gleitschirmfliegen half ihm - aber auch das Glück.

Einmal ging es schief. 2013 sollte Peter eigentlich mit dem bekannten "Storm Chaser"-Team in Oklahoma unterwegs sein, um dem entstehenden El Reno-Wirbelsturm nachzuspüren. Mit mehr als vier Kilometern Durchmesser sollte sich dieser zum größten bisher aufgezeichneten Tornado entwickeln. Doch weil Peter ein Buchprojekt zu Ende bringen musste, saß er 8000 Kilometer entfernt in der Heimat, als der Tornado in Oklahoma seine Richtung änderte und drei seiner Kollegen überraschte. Drei Experten, verschlungen von der unberechenbaren Natur: Alle starben. Es war ein Tiefpunkt für ihn. "Es wird nie mehr so sein, wie es mal war", sagt Peter.

Für ihn war dennoch klar: Es muss vorwärtsgehen, immer weiter. Fünf Jahre später reiste er nach Hawaii, wo der Vulkan Kilauea im Begriff war, eine ganze Wohngegend in ein Stück schwarzer Erde zu verwandeln. Risse in der Ortschaft, massive Lavaflüsse, blaue Flammen, explodierendes Methangas - die Fotos zeigen die zerstörerische Kraft der Natur. Was man auf den Bildern nicht sieht, sind die kleinen menschlichen Geschichten. Peter half einer Frau, ihr Klavier mit einem Anhänger über die Feuerspalten zu transportieren. Drei Tage später war ihr Haus weg - doch ihr Klavier hatte es überstanden. "Eine superschöne Erfahrung", sagt Peter.

„Wild“-Festival

An diesem Wochenende kommt nicht nur Carsten Peter nach Wolfratshausen, sondern auch andere prominente Abenteurer. Beim "Wild"-Festival in der Loisachhalle sprechen sie über ihre Reisen. Los geht es am Freitagabend, 17. Januar, mit einer kostenlosen Imax-Doku über die schönsten Nationalparks im Kino. Am Samstag, 18. Januar, zeigt Dirk Rohrbach die neue Live-Reportage "Im Fluss" über sein Kajakabenteuer auf Missouri und Mississippi als Live-Konzert. Am Sonntag, 19. Januar, teilen Bayern2-Reporter, der ZDF-Filmemacher Axel Gomille, Carsten Peter und Survival-Legende Rüdiger Nehberg ihre Geschichten. Tickets für alle Veranstaltungen gibt es für 59 Euro, für einzelne Vorträge ab 14 Euro. Unter www.abenteuer-festival.de gibt es mehr Informationen. VFS

Aufgewachsen ist Peter in Pullach im Landkreis München. Eigenwillig war er bereits als Jugendlicher. Mit 15 kaufte er sich seine erste Kamera, war besessen von der Fotografie. Las er im Fotobuch, dass man nicht gegen die Sonne fotografieren soll, fotografierte er gegen die Sonne. Las er, dass Makrofotografie besonders schwierig ist, probierte er genau das aus. Auf diese Art wurde er immer besser. Mit 21 Jahren wurde sein erstes Bild publiziert, Schafe und Wolken - als "Foto des Monats" im Fotomagazin. Damals studierte Peter in München Biologie, reiste mit dem Motorrad durch Afrika. Serengeti, ja, aber ein Job im Labor? Undenkbar.

Das weiß auch Dirk Rohrbach. Der Reisejournalist arbeitet ebenfalls für NG und kennt Peter seit fünf Jahren. "Er ist ein wuider Hund" sagt er. Peter schaffe es, selbst unter extremsten Bedingungen Bilder zu komponieren, "die an Intensität und Aussagekraft nicht zu übertreffen sind."

Im Angelsächsischen gibt es den Ausdruck "Happy-go-lucky"-Menschen: Leute, die sich mit ihrem Urvertrauen immer irgendwie durchwurschteln. Ein bisschen trifft das auf Peter und seine Karriere zu. Mit 37 Jahren, Peter arbeitete bereits für Geo und andere Reisemagazine, schickte er Bilder nach Washington, wo die National Geographic Society ihren Sitz hat. Innenansichten von Gletschern, den Alpen, Island, Grönland. Ein Jahr später wurden sie zur Titelgeschichte. "Ein glücklicher Umstand", sagt er. Und so nahm er noch als einer der Letzten eine längst vergangene Zeit mit, in der es der Branche gut ging - und es für eine gute Story auch mal 10 000 Euro Zusatzprämie gab.

Peter steht auf, legt Holz im Ofen nach, das Holz knackt wieder. Der Fotograf ist so häufig es geht in der Natur. Eine Natur, deren Wandel er auf seinen Reisen beobachtet. Peter ist bewusst, dass die Extreme zunehmen. Kann Fotojournalismus helfen, die Natur zu bewahren? Peter mag sich nichts vormachen: Klar, sagt er, verstehe er sich als Botschafter dafür, dass die Schönheiten dieser Welt bedroht sind. Für Touristen werden entlegene Orte aber auch interessant und drohen, zur Attraktion zu werden. Er sagt: "Man ist auch Vorreiter für die Zerstörung." In Vietnam entstand nach seiner Dokumentation der Hang-Son-Doong Höhle die Idee einer Seilbahn. "Das wäre der Untergang für die Höhle", sagt Peter.

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