Exklusiver Einblick:Streifzug durchs Gedächtnis der Stadt

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Bei einer Führung durch das neue Wolfratshauser Stadtarchiv bekommen die Mitglieder des Historischen Vereins von Archivar Simon Kalleder einige wertvolle Dokumente zu sehen.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Die Mitglieder des Historischen Vereins Wolfratshausen stöbern gerne in historischen Dokumenten herum. So sagte es jedenfalls die Vorsitzende des Vereins, Sybille Krafft, am Dienstagabend zum Wolfratshauser Stadtarchivar Simon Kalleder. Der hatte auf Anregung des Vereins Mitglieder und andere Interessierte vor der Jahreshauptversammlung in das neue Stadtarchiv geladen, um sie durch die Räume der ehemaligen Landwirtschaftsschule zu führen. Knapp 50 Geschichtsinteressierte drängten sich in das ausgebaute Dachgeschoss und bewiesen, dass Krafft mit ihrer Einschätzung recht hatte.

Das Stadtarchiv sei "kein Ort der Hochwissenschaft", stellte Kalleder klar. Vielmehr habe es die Aufgabe, "Lokalgeschichte zu dokumentieren und zu erhalten". Dass er seine Besucher zunächst im Dachgeschoss versammelte, wo früher Wohnungen untergebracht waren, lag nicht nur daran, dass es der einzige Raum war, in dem alle auf einmal Platz hatten. Der normalerweise für die Öffentlichkeit gesperrte Raum sei auch im Prozess des Archivierens oft die erste Station, erklärte er. Nachlässe würden mit dem Lastenaufzug in Kisten hierher gebracht, um zunächst auf ihren Zustand überprüft zu werden. Somit habe das Archiv im obersten Stockwerk nicht nur ein Lager, sondern auch einen "Quarantäneraum", der sicherstelle, dass etwaiger Schimmelbefall nicht auf die Dokumente im Magazin übergreift. "Das wäre nach einem Brand die größte Katastrophe."

Nach der Inaugenscheinnahme komme die "Feinarbeit", erklärte Kalleder: Die Akten werden verzeichnet und schließlich ein Stockwerk tiefer ins Magazin gebracht, wo sie in großen Rollregalen bei konstanten 15 bis 17 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit gelagert werden. Fotos brauchen trockenere Luft, weshalb es im neuen Stadtarchiv einen eigens klimatisierten Raum für sie gibt. Da die Anlage aber noch Probleme bereite, sei der Raum derzeit noch leer, verriet Kalleder. "Da arbeiten gerade Spezialisten dran."

Im Gespräch mit dem Archivar erfuhren die Besucher dann allerlei Wissenswertes über seine Arbeit und das Wolfratshauser Stadtarchiv. Etwa, dass Kalleder sehr froh über seine vier ehrenamtlichen Mitarbeiter ist, die alle früher in der Verwaltung tätig waren. So kümmere sich ein ehemaliger Angestellter des Vermessungsamts um die Karten, eine frühere Sekretärin des Bürgermeisters wiederum sei sehr hilfreich, wenn es darum gehe, Personen auf Fotos aus den 1980er-Jahren zu erkennen. Das Archiv erhalte oft Fotoalben, sagte Kalleder - die aber leider oft kaum beschriftet seien. So gebe es etwa ein Album eines Soldaten aus dem Afrika-Corps von Feldmarschall Rommel, das zwar interessant, aber dokumentarisch wenig wertvoll sei, weil es kaum Namen und Daten enthalte.

Das alte Marktarchiv der Stadt lagert seit Mitte der 1970er-Jahre in den Tresoren

Das Zeitungsarchiv mit Ausgaben des Wolfratshauser Wochenblatts seit 1869, des Isar-Loisachboten, der Süddeutschen Zeitung und des Isarkuriers gehöre streng genommen in eine Bibliothek, sagte Kalleder. Es erfreue sich aber bei den Nutzern großen Interesses. Anders sieht das bei der Sammlung von Rechtsvorschriften aus dem Königreich Bayern aus, die zwei ganze Regalwände füllt. Auch die umfangreichen Schriften zum Marktrecht würden kaum nachgefragt, sagte der Archivar.

Interessant wären laut Kalleder ebenfalls die Dokumente des ehemaligen Landgerichts Wolfratshausen, dessen Einzugsgebiet als maßgebliche Verwaltungsbehörde bis 1803 vom Tegernsee bis zum Münchner Osten reichte. Die Dokumente werden jedoch in München im Bayerischen Staatsarchiv verwahrt - Kalleders ehemaliger Wirkungsstätte. Gleiches gilt für die Akten der Entnazifizierung aus der Nachkriegszeit. Im Münchner Staatsarchiv befand sich bis Mitte der 1970er-Jahre auch noch das alte Marktarchiv der Stadt, das nur durch den Einsatz des früheren Wolfratshauser Archivars Quirin Beer wieder zurück in die Loisachstadt gebracht wurde, wo es seitdem in Tresoren lagert.

Zu den kuriosen Fakten gehört es, dass es wohl mehr historische Dokumente im Wolfratshauser Stadtarchiv gäbe, wenn der NS-Bürgermeister Heinrich Jost 1944 nicht beschlossen hätte, alle Dokumente in sieben Kisten ins Schloss Eurasburg auszulagern, um sie vor etwaigen Fliegerangriffen zu schützen. Dort hätten sie amerikanische Soldaten gefunden und dann "wahrscheinlich nach Salzburg gebracht", sagte Kalleder. Wieder aufgetaucht seien die Wolfratshauser Akten jedenfalls 1946 im Staatsarchiv München - allerdings war eine Kiste mit Dokumenten des 19. Jahrhunderts verloren gegangen.

Zum Abschluss konnten die Besucher noch kurz durch das Magazin stöbern und im Lesesaal einige "Highlights" bewundern. Kalleder hatte etwa ein Dankschreiben von König Ludwig II. an den damaligen Wolfratshauser Bürgermeister Melchior Schneider mit eigenhändiger Unterschrift des Monarchen herausgelegt und die Erlaubnis zum Betrieb des ersten Lichtspielhauses in der Loisachstadt von 1919. Auf dem Tisch lag auch das älteste Schriftstück aus dem Bestand, ein religiöser Text auf Latein aus dem späten 12. Jahrhundert, der aus dem Kloster Schäftlarn oder Tegernsee stammt, den die Besucher ehrfürchtig betrachteten. "Der hat nur überlebt, weil er im 17. Jahrhundert als Einband für ein Protokoll verwendet wurde", erklärte Kalleder.

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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