Süddeutsche Zeitung

Evangelische Kirche:Herausforderungen in der Diaspora

Das Pfarrersehepaar Elke und Matthias Binder hat von Franken nach Kochel gewechselt

Von Marlene Krusemark, Kochel am See

Die Predigt für ihren Antrittsgottesdienst am Sonntag bereitet das Ehepaar Binder gemeinsam vor. "Jeder schreibt seinen Teil und wir fügen das zusammen", sagen sie. Elke Binder 49, und ihr Mann Matthias, 48, folgen Corvin Weller als Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde Kochel nach, zu der die Orte Benediktbeuern, Bichl, Großweil , Kochel, Schlehdorf und Walchensee gehören. Seit 1. Juli sind die Binders im Amt, an diesem Sonntag, 9. Juli, halten sie um 17 Uhr ihren Einführungsgottesdienst in der Kochler Kirche.

"Ich denke schon, dass wir beide unsere eigenen Herangehensweisen haben," sagt Matthias Binder. Einig sind sich beide, was den Kern ihres Berufes betrifft: "Es geht um die Liebe Gottes in Wort und Tat, und dass wir alle eins sind in Christus." Dies sei eine Sichtweise, für die sie auch im Alltag und in ihrer Arbeit mit der neuen Gemeinde Raum schaffen wollen. "Der Gedanke, dass Gottes Liebe für alle gilt, ist bis heute weder in der Kirche noch in der Welt vollends verwirklicht."

Binders sind es gewohnt, alles zusammen zu machen. Kennengelernt haben sie sich in der evangelischen Jugendgruppe in der Oberpfalz, sie studierten zusammen Theologie in Neuendettelsau und absolvierten ein Austauschstipendium in den USA. Zuletzt hatten sie elf Jahre zusammen eine Pfarrstelle in Engelthal in Mittelfranken inne. "Evangelische Pfarrer sollten alle zehn bis fünfzehn Jahre ihren Arbeitsplatz wechseln", erklärt Matthias Binder. Da die zwei Kinder aus dem Haus sind, war eine neue Lebensphase angebrochen. "Hier besuchen uns die Kinder natürlich gern", sagen die Binders. Durch die Bäume, die die Terrasse des Pfarrhauses umringen, lassen sich die Berge erspähen. Die Voralpen-Landschaft sei das I-Tüpfelchen gewesen, warum das Ehepaar Binder sich auf die Pfarrstelle in Kochel bewarb. "Bisher schauen wir noch sehnsuchtsvoll auf die Berge, aber für den ersten freien Tag peile ich eine Wanderung an", sagt Matthias Binder.

Der Kirchenvorstand hatte den Antritt des Ehepaars einstimmig befürwortet. Elke Binder wird für die Pfarramtsführung, die Verwaltung, den Religionsunterricht in der Grund- und Mittelschule Benediktbeuern und teilweise für die Seelsorge verantwortlich sein. Gottesdienst halten beide im Wechsel mit Pfarrerin Antonia Janßen, die seit dem Weggang Wellners vertretungsweise zuständig für die Betreuung der Kirchengemeinde war. Die Hauptaufgaben von Matthias Binder werden Seelsorge und Konfirmandenarbeit sein.

Natürlich sei es schön, sich mit dem Partner über das bei der Arbeit Erlebte unterhalten und auch fachlich austauschen zu können. "Darüber, was wir in der Seelsorge erfahren, sprechen wir aber nicht miteinander. Die kirchliche Schweigepflicht gilt fast strenger als die ärztliche", sagen beide. Falls man sich über etwas Belastendes auszutauschen habe, wende man sich eher an einen Kollegen, der räumlich weit genug entfernt sei.

So könne man anonymisiert über etwas sprechen. Matthias Binder, der eine psychiatrische Zusatzausbildung gemacht hat, arbeitete in Engelthal auch in einer psychiatrischen Klinik. "Als Klinikseelsorger habe ich auch Katholiken die Beichte abgenommen. Da habe ich aber immer vorher gesagt, dass ich nicht weiß, ob das nun auch für die katholische Kirche gilt", sagt er und lacht.

Die konfessionelle Verteilung im Landkreis ist für die beiden Oberpfälzer nach elf Jahren als Pfarrer im evangelischen Mittelfranken eine Abwechslung. "Wer hier evangelisch ist, ist meist zugezogen. Zwar vielleicht schon in der dritten Generation - aber zugezogen." Für die beiden war die Idee sehr reizvoll "in die Diaspora zu gehen. Natürlich haben die Protestanten hier in Kochel auch ihre Traditionen, aber die sind eben noch nicht uralt und eingefahren. Das eröffnet uns Gestaltungsmöglichkeiten." Eine weitere Umstellung werde es sein, damit umzugehen, dass ihre Gemeinde mehrere Zentren hat - mit Stützpunkten in Kochel, Walchensee und Benediktbeuern. "In diesem Modell wird es eine Herausforderung sein, die verstreute Gemeinde zusammenzuhalten. Daher wird es für uns darum gehen, an allen Orten präsent zu sein."

Trotz der langen gemeinsamen Arbeit könnten Elke und Matthias Binder es sich vorstellen, einmal getrennte Arbeitsstellen zu haben. "Natürlich wäre das auch mal spannend. Aber es kommt selten vor, dass es zwei freie Pfarrstellen an einem Ort gibt." So teilen sich die beiden nun auch das Gehalt für eine Stelle. "Das ist es uns wert, den Beruf entspannt gemeinsam anzugehen und mehr Freizeit zu haben." Durch den "Fachkräftemangel" auch in der evangelischen Kirche ergeben sich auch immer wieder Möglichkeiten, aufzustocken: Matthias Binder bewirbt sich aktuell um eine Projektstelle in Marburg, um seine Doktorarbeit über altorientalische Kirchen weiterzuführen.

Einführungsgottesdienst von Elke und Matthias Binder, Sonntag, 9. Juli, 17 Uhr, in der evangelischen Kirche in Kochel. Anschließend Empfang im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Benediktbeuern.

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SZ vom 08.07.2017
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