Bad Tölz-Wolfratshausen - "Selbstverständlich werde ich am 26. Mai wählen gehen," sagt Jonathan Coenen. Derzeit arbeitet der Student der Politik- und Rechtswissenschaften im Erinnerungsort Badehaus in Waldram. Studienbegleitend ist er seit 2018 dort in Teilzeit und während der Semesterferien beschäftigt. "Durch die Bewahrung und das Erzählen der Vergangenheit wird jeder Generation bewusst, auf welchen Fundamenten unser Europa steht. Das Badehaus ist ein sehr europäischer Ort. Von überall kamen die durch den Krieg heimatlos gewordenen Menschen her. Aus sechzehn Ländern, darunter sogar auch Japan und Ägypten. Folglich hörte man die verschiedensten Sprachen. Es war das letzte jüdische Displaced Persons (DP) Lager überhaupt, das bis 1956 Menschen einen sicheren Platz auf Zeit bot. Unsere Besucher kommen nicht nur aus der Umgebung, sondern sind sehr international", schwärmt er.
Sein ausgezeichnetes Englisch kommt ihm bei seiner Tätigkeit sehr zugute. "Immer wieder rufen Zeitzeugen aus Israel oder Amerika an", erzählt er. Um das Schulenglisch zu verbessern, bewarb er sich während seiner vorherigen dualen Ausbildung als Medienkaufmann für das europäische Austauschprogramm Erasmus plus - mit dem Ziel London.
Nur durch die finanzielle Hilfe des Stipendiums, das 40 Prozent seiner Gesamtkosten übernahm, war der Arbeitsaufenthalt in der Metropole möglich. Der Aufenthalt basierte auf Eigenorganisation und Eigenverantwortung. "Dabei ist es eine wichtige Erfahrung, wenn etwas selbst Organisiertes, lange Geplantes am Ende funktioniert und Spaß macht", sagt er. Dennoch wäre es ohne die entscheidende finanzielle Hilfe nicht möglich gewesen.
Die kosmopolitische Großstadt London beeindruckte ihn. "Faszinierend ist vor allem das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionen und Kulturen. Es ist wirklich ein Zusammenleben und kein Nebeneinander", berichtet er über die verschiedenen Ethnien. "Dort redet keiner mehr über Integration, denn man ist längst einen Schritt weiter", schwärmt Coenen.
Sein Arbeitsplatz war bei "Shard Viewing Gallery Management Limited", die die Londoner Aussichtsplattform "The View from the Shard" am höchsten Gebäude Westeuropas betreibt.
Ungefähr 30 Mitarbeiter sitzen im Büro, etwa 150 sind in den Bereichen Gästebetreuung, Catering und Security tätig. Die Attraktion am Wolkenkratzer "Shard", zu deutsch "Scherbe", öffnete im Frühjahr 2013 ihre Pforten und ermöglichte seitdem fast vier Millionen Menschen einen atemberaubenden Blick aus 244 Metern Höhe auf die Metropole. Doch die Besucherzahlen gingen jüngst zurück. Somit bereitete das Unternehmen eine Neugestaltung des Attraktionskonzeptes vor und damit zusammenhängend eine Neuentwicklung der Marke und Ausweitung des Angebotes. Coenen wurde als "Marketing Intern", also als Praktikant für Marketing, eingestellt. "Meine Aufgabe bestand in der Kommunikation mit den Kreativagenturen", erzählt Coenen, der dabei "entscheidend mit anpacken" konnte. Zu seinen Aufgaben zählten darüber hinaus Führungen, die Organisation von Besuchen und wöchentliche Berichte über den Fortschritt, Fragen und wichtige Termine. " Weiterhin konnte ich bei der deutschen Übersetzung der Website behilflich sein", sagt Coenen.
Zwei Hauptaspekte kristallisierten sich für ihn schon während seines Aufenthaltes in London heraus. Zum einen war es für ihn eine perfekte Möglichkeit, sein Business English zu verbessern. Zum anderen war es eine große Herausforderung, eine Unterkunft in einer Metropole wie London zu finden. "Ich hatte ein Zimmer in einem Studentenhaus", sagt Coenen. Schön und herausfordernd zugleich sei das Zusammenleben mit ganz verschiedenen Europäern aus unterschiedlichen Ländern. "Während meiner Zeit wechselten die Hausbewohner öfters durch, so konnte ich viele Franzosen, Belgier, Briten und Österreicher kennenlernen." Sie alle waren aus unterschiedlichen Gründen in Großbritannien, mal für ein Austauschsemester, ein Praktikum, für einen Sprachkurs, und alle einte ein Ziel: London. "Ich habe es dort sehr genossen" schwärmt er. "Es war eines meiner besten Erlebnisse im Ausland bisher."
Die Förderung des gemeinsamen Austausches und des grenzenlosen Reisens innerhalb der EU trage entscheidend zur Stärkung eines gemeinsamen Europas bei. Der Auslandsaufenthalt war auch für Coenen eine ausgezeichnete Möglichkeit der Identitätsstiftung. "Und wenn wir schon bei Identität sind: Ich fühle mich als Europäer und gleichzeitig als Deutscher", sagt er und fügt an: "War es früher noch der Friedensgedanke, der Europa zusammen hielt, so kommt es heute auf eine gemeinsame Identität an, die die Menschen in ihrem Individualisierungsdrang auf einer emotionalen Ebene anspricht und eint."
Für Coenen hat sein Auslandsaufenthalt übrigens ein Nachspiel: Er fungiert nun zurück in seiner Heimat als "EuroApprentice" und Botschafter für den Zweig des Erasmus-Etats für Auszubildende. "Vor ein paar Monaten sprach mich die Berufsschule erneut an und machte mich auf das Programm der 'EuroApprentices' aufmerksam." Neben internationalen und nationalen Netzwerktreffen ist es vor allem die Werbungsarbeit für das Programm, die einen EuroApprentice auszeichnet. Viel zu wenige in der Berufsbildung wüssten von der Möglichkeit, erlaubt es doch das Berufsbildungsgesetz, ein Viertel seiner Ausbildung im Ausland zu verbringen. "Wir gehen an Berufsschulen, in die Betriebe, auf Messen, zur Presse und erzählen von unseren Erfahrungen und machen jungen Menschen Mut, das Gleiche zu tun. "Stolz kann die Europäische Union auf den Friedensnobelpreis sein, denn sie - also wir alle - 2012 erhalten haben. Er sollte uns Europäer anspornen. Vielleicht sogar für die Umsetzung der Vereinigten Staaten von Europa" sagt er.