Eskalierter Streit:Vorfall mit Google-Auto landet vor Gericht

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Als ein Kamerafahrzeug des Internetgiganten auf dem Hof des Grünen-Abgeordneten Hans Urban auftaucht, eskaliert die Situation. Über eine teils absurde Geschichte, die Polizei, Staatsanwaltschaft und voraussichtlich auch die Gerichte beschäftigt.

Von Florian Zick, Eurasburg

Es hätte alles so unkompliziert laufen können: Ein Auto verirrt sich auf einen Bauernhof, der Landwirt weist freundlich auf den Irrtum hin, der Fahrer dreht um - die Sache ist erledigt. Doch so einfach liegen die Dinge hier nicht. Denn das Auto ist in diesem Fall ein Kamerafahrzeug des Internetriesen Google, bei dem Landwirt handelt es sich um den Grünen-Landtagsabgeordneten Hans Urban. Und in dieser Konstellation wurde aus einem an sich harmlosen Vorfall eine teils absurde Geschichte, die inzwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und voraussichtlich auch die Gerichte beschäftigt.

Was genau am 14. Oktober vergangenen Jahres passiert ist, dazu gibt es widersprüchliche Aussagen. Fest steht: An diesem Tag ist auf Urbans Hof im Eurasburger Ortsteil Oberherrnhausen ein Google-Auto aufgetaucht, um Aufnahmen für den Kartendienst Google Maps zu machen. Wie es danach weiterging, da gehen die Schilderungen jedoch weit auseinander. Urbans Version lautet in Kurzform so: Der Google-Fahrer habe das Privatgrundstück zunächst nicht verlassen wollen; um die Weiterfahrt zu unterbinden habe er sich deshalb vor das Auto gestellt; der Fahrer habe das Fahrzeug trotzdem langsam anrollen lassen und ihn auf diese Weise so lange vor sich hergeschoben, bis es ihn umgeschmissen habe.

Urban hat deshalb Anzeige wegen Körperverletzung gestellt. Der 25-jährige Google-Fahrer bestreitet indes, jemanden umgefahren zu haben. Er hat seinerseits Anzeige wegen Nötigung erstattet. Im Lauf des Wortgefechts hatte sich nämlich auch der Landwirt von nebenan in den Streit eingemischt. Bis zum Eintreffen der Polizei war das Google-Auto dadurch zwischen Radladern eingekeilt. Es sind jedoch nicht nur diese beiden Verfahren, die seither laufen, die Körperverletzung und die Nötigung - es sind mittlerweile eigentlich sogar drei. Denn nach der Auswertung eines Videomitschnitts hegt auch die Staatsanwaltschaft München II Zweifel daran, dass sich die Dinge so zugetragen haben, wie sie Urban dargestellt hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb wegen "Vortäuschens einer Straftat".

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Die Berge werden höher, jedes Jahr. Da kann es einem Oberbayern schon passieren, dass er sich im Radlgeschäft so ein Elektrodingens zulegt. Auch wenn das Folgen im Sozialleben nach sich zieht.

Glosse von Sebastian Beck

Um den Vorfall endlich klären zu können, wird der Landtag diesen Donnerstag wohl die Immunität von Hans Urban aufheben. Das klingt spektakulär, ist an sich aber eine reine Routineangelegenheit. Denn egal, ob ein Abgeordneter irgendwem den Stinkefinger gezeigt hat oder mit dem Auto deutlich zu schnell unterwegs war: Wenn keine politische Verfolgung zu befürchten ist oder die Handlungsfähigkeit des Parlaments nicht in Gefahr ist, wird die Immunität grundsätzlich aufgehoben. Schon vergangene Woche hat der Verfassungsausschuss des Landtags deshalb die einstimmige Empfehlung abgegeben, den Weg für die Rechtsverfolgung auch in diesem Fall frei zu machen.

Wenn es nun vor Gericht geht, steht also gar nicht mehr so sehr die Körperverletzung oder die Nötigung im Vordergrund. Die Kernfrage lautet nun vielmehr: Ist Urban wirklich umgefahren worden - oder hat er sich eher hinfallen lassen? Wenn man also eine Analogie aus dem Fußball bemühen möchte: War es ein richtiges Foulspiel - oder nur eine Schwalbe? Diese Unterscheidung wirkt zunächst zwar wie eine spitzfindige Lappalie, nicht wie ein Fall, den man zwingend vor Gericht klären müsste. Die Münchner Staatsanwaltschaft will sich allerdings nicht mit unnötigen Ermittlungen belasten. Zur Abschreckung werden falsche Verdächtigungen deshalb sehr scharf verfolgt. Und entsprechend hart sind auch die möglichen Strafen. Beim Fußball gibt es für eine Schwalbe nur eine gelbe Karte. So aber steht viel mehr auf dem Spiel. Es drohen bis zu fünf Jahre Haft, zumindest aber eine empfindliche Geldstrafe.

Bei einem Gerichtsprozess würden auch ein paar Dinge zur Sprache kommen, die in dem Fall kurios bis grotesk sind. Im Vorfeld der Immunitätsaufhebung sind nämlich schon einige Splitter aus der Ermittlungsakte bekannt geworden: Urban soll sich bei den Streitereien mit dem Google-Fahrer beispielsweise selbst in den Finger gebissen haben, um mit etwas Blut am Fahrzeug den Unfall wahrscheinlicher wirken zu lassen. Er soll den 25-Jährigen auch mit einem Akkuschrauber bedroht haben - damit werden Urban fast schon psychopathische Züge unterstellt. Die Ermittler allerdings berufen sich auf die Aufnahmen der Fahrzeugkamera und vor allem auf ein Handyvideo, das der Google-Fahrer aufgezeichnet hat. "Dieses Video beschreibt ziemlich genau, was da passiert ist", sagt Steffen Frühauf, der stellvertretende Leiter der Wolfratshauser Polizeiinspektion. Die rund zehnminütige Sequenz lasse kaum einen Zweifel. "Man sieht alles", so Frühauf.

Für Andreas Hofreiter, den Anwalt von Hans Urban, ist das alles Quatsch. Einen Akkuschrauber habe sein Mandant bei der Auseinandersetzung zwar tatsächlich in der Hand gehalten. Den Arm habe Urban aber immer locker hängen lassen, das würden die Aufzeichnungen auch deutlich zeigen. "Von einer angeblichen Bedrohung kann ich da nichts sehen", so Hofreiter. Und was den blutenden Finger angehe: Ja, den habe es auch gegeben. Sein Mandant habe sich mit dem Akkuschrauber versehentlich am linken Daumen verletzt. Es stimme sogar, dass Urban den Finger mal am Google-Auto abgestreift habe - genauso habe er dafür aber auch seinen Ärmel benutzt oder er habe das Blut einfach weggelutscht. So sei das eben in einer solchen Stresssituation. Da sei nicht jede Handlung zielgenau gerichtet.

Aus heutiger Sicht, sagt Hofreiter, hätte sein Mandant das Google-Auto einfach fahren lassen sollen. Man müsse sich aber schon auch die Begleitumstände für den Streit anschauen, so der Anwalt. Über Urbans Hof führen nämlich zwei Wege, die bei Google Maps als reguläre Straßen eingezeichnet sind. Einer der Wege ist gekiest und führt vorbei am Gemüsegarten der Familie Urban hinter zum Rindergatter - er ist mithin also eigentlich sehr klar als Privatweg erkennbar. Nicht viel anders verhält es sich mit dem anderen Weg, der ist nicht viel mehr als ein Durchstich neben der Scheune. Und trotzdem werden beide Wege bei Google Maps als öffentlich befahrbare Verbindungen gelistet. "Ein dauerhaftes Ärgernis" sei das, so Hofreiter. Und dieses Ärgernis sei vermutlich auch der Grund, warum sein Mandant das Google-Auto nicht so leichtfertig wieder ziehen lassen wollte. Urban habe, so Hofreiter, die Sache wahrscheinlich einfach mal klären wollen.

Hofreiter glaubt, dass man das Verfahren auch gut hätte einstellen können. Die Staatsanwaltschaft habe sich nur deshalb so in den Fall verbissen, weil sein Mandant Landtagsabgeordneter ist, ein Urteil wegen falscher Verdächtigung also eine weitaus wirksamere Abschreckung ist, als wenn es eine vollkommen unbekannte Person trifft. Dass der Fall nun vor Gericht ausgerollt wird, hält er für sehr unglücklich. Denn auch, wenn er bei der zu erwartenden Verhandlung vor dem Wolfratshauser Amtsgericht einen klaren Freispruch erwartet: Ein bisschen was hängen bleibe ja doch immer.

Bei den Grünen im Landkreis will man sich momentan übrigens nicht zu dem Verfahren äußern. Vize-Landrat Klaus Koch verweist nur auf die offizielle Sprachregelung der Partei. Diese lautet: "Wir begrüßen eine zügige Aufklärung - auch vor Gericht." Nur so könne man die Sache endlich ausräumen, so Koch.

© SZ vom 24.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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