Ernährung und Essen:Aktivierte Knabbereien

Lesezeit: 4 Min.

Filip Good und Agni Thalgott verarbeiten derzeit eine Tonne Nüsse pro Monat in Mooseurach. Weil so viel Handarbeit dahinter steckt, haben die auch ihren Preis. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In Mooseurach bei Königsdorf veredeln Agni Thalgott und Filip Good mit ihrem Start-Up 2DiE4 Nüsse. Sie legen die Früchte in Meersalz-Quellwasser ein und trocknen sie schonend.

Von Benjamin Engel, Königsdorf

Wer Mooseurach erreicht, wähnt sich in einer bayerischen Idylle ganz fernab großstädtisch-urbanen Milieus. Auf einem Höhenrücken gruppieren sich wenige, von hohen Bäumen umgebene Häuser um die Gebäude des früheren Mustergutes Boschhof - drumherium kilometerweit Wiesen, Wald und Hochmoor. Doch wer die Treppen hinter der Tür an Hausnummer 12 mit dem unscheinbaren Schild 2DiE4 in den ersten Stock steigt, spürt die weite Welt und sieht um einen langen Tisch asiatische Möbel wie ein altes, japanisches Vorratsfass für Reis gruppiert. Direkt nebenan entfalten sich in der Produktion fernöstliche Geschmacksaromen, als Julia Döhla getrocknete Mandeln mit Sojasoße übergießt und sanft zu kneten beginnt. Es riecht würzig-pikant und leicht salzig, eben so wie der spätere Umami-Geschmack, den die Tamari-Mandeln erhalten, wenn sie fertig sind.

Die sind eines von zwölf verschiedenen Nussprodukten des Lebensmittelproduzenten 2DiE4. Das Kürzel steht für die englische Redewendung "to die for", dass etwas also so unwiderstehlich ist, dass man im übertragenen Sinn dafür sterben würde. Damit werben zumindest die beiden Geschäftsführer Agni Thalgott aus der Gemeinde Berg und Filip Good aus der Nachbarkommune Münsing am Ostufer des Starnberger Sees. Ihr Geheimrezept: Nüsse "aktivieren". Das bedeutet, dass das Trio - bislang ist Julia Döhla als einzige fest angestellt, es gibt noch zwei Aushilfen - die Nüsse in Bio-Qualität in einer mit Meersalz angereicherten Wasserlösung erst einmal einweichen lässt. So waschen sich die Bitterstoffe aus. Anschließend werden die Nüsse bei Temperaturen von maximal 65 Grad schonend getrocknet. So bleiben sie weiter bissig-knackig und haben doch jede unangenehme Bitternote verloren.

Echte Handarbeit: Bevor die Nüsse in den Verkauf kommen, werden Spelzen und Schalenreste ausgesiebt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Das ist eigentlich ein ganz einfacher Prozess", sagt Agni Thalgott. Vergleichbar sei dieser etwa mit dem Fermentieren, dem Haltbarmachen von Lebensmitteln, bei dem erst der Keimungsprozess im Wasserbad angestoßen und mit dem Trocknen wieder unterbrochen wird. Doch das erfordert Geduld: 30 bis 40 Stunden dauert es bis zum fertigen Produkt. Das ist auch einer der Gründe, warum der Kunde für die Nüsse von 2DiE4 etwas mehr zahlen muss - von 6,90 Euro pro Hundert-Gramm-Packung Bio-Kürbiskerne bis zu 11,90 Euro für die gleiche Menge aktivierte Pekannüsse oder Pistazien. Entsprechend klein sei auch die Zielgruppe, so Filip Good. "Sportler und Ernährungsberater, der Foodie, der gerne gut isst, der proteinachtende Veganer, bewusste Leute eben."

Im mit Meersalz angereicherten Quellwasser bleiben die Nüsse - hier Kürbiskerne - einige Stunden liegen, damit sie ihre Bitterstoffe verlieren. (Foto: Harry Wolfsbauer)
In eigens nach den Wünschen der Geschäftspartner angefertigten Öfen trocknen die Nüsse schonend. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Was die Nüsse zudem teuer macht, ist der aufwendige Einkaufs- und Herstellungsprozess. Die Rohware stammt von Einzelproduzenten oder kleinen Kooperativen, aus Deutschland etwa Haselnüsse, die Walnüsse kommen aus Bulgarien von einer Familie, die auch Kräuter für die Medizinbranche anbaut, die Pekannüsse aus Südafrika. Die Luftfeuchtigkeit in den Produktionsräumen darf nicht zu hoch sein, damit die Nüsse beim Abkühlen nach dem Trocknungsvorgang nicht zu viel Wasser ziehen. Ist es im Sommer schwül, schaltet Julia Döhla daher sogar die Klimaanlage ein. "Die Nüsse verlieren sonst ihren Crunch", sagt sie. Die Umgebungsbedingungen notiere sie, um zu prüfen, was die besten Umweltbedingungen für die Produktion sind. "Da kommt die Apothekerin durch", sagt Döhla. Diesen Beruf hat die Münsingerin aufgegeben, um für 2die4 zu arbeiten. "Ich liebe Biolebensmittel und hatte Lust auf etwas Neues."

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Weit gereist zu sein, eint beide Geschäftspartner. Ganz bewusst haben sie sich dafür entschieden, ihr Unternehmen in Mooseurach anzusiedeln. Der Ort auf der Endmoräne der jüngsten Eiszeit habe eine "gute Energie", sagt Good. Und: "Wir haben unser eigenes, unbehandeltes Quellwasser." Durch die Fenster im ersten Stock ist ein riesiger Stoß mit Holzstämmen aus den umliegenden Wäldern zu sehen. Damit wird unter anderem eine Hackschnitzelanlage betrieben, an die der Betrieb bald angeschlossen wird. "In ein paar Wochen sind wir dann CO₂-neutral", sagt der gebürtige Schweizer.

Wie die beiden auf die "pure Nuss" gekommen sind, ist eine lange Geschichte. Wer ihr in all ihren Facetten aus Lebensprägungen und Zufallsbegegnungen folgen will, muss sich konzentrieren, so ausführlich und schnell erzählt das Duo. Angefangen hat alles jedenfalls in den 1980er-Jahren mit dem Mann von Agni Thalgott. Der gebürtige Brite hatte damals eine Fabrik für Futon-Betten in Australien, in der Clive Lawler jobbte. Den lernte Agni Thalgott kennen, als sie in einer indischen Kommune lebte und mit ihm gemeinsam für die übrigen Bewohner das Essen zubereitete, Sauerteigbrot backte oder Kimchi einlegte.

"Mein Mann und ich haben dann auf unserer Hochzeitsreise 2009 Clive und seinen besten Freund John Hennings in Australien besucht", berichtet Thalgott. "Clive stand mit einer Tüte Pistazien vor uns und hat nur laut gerufen ,to die for'." Es war das neueste Produkt aus seiner Nussfabrikation. Das Prinzip der aktivierten Nüsse hatte Clive Lawler für sich entdeckt und daraus seine Geschäftsidee entwickelt. Ihr Mann, so Thalgott, habe sofort beschlossen, so etwas auch in Europa zu machen. Bis er schließlich bei Passau loslegen konnte - geeignete Öfen und Nusslieferanten mussten gefunden werden - dauerte es vier Jahre. Mit seinen Nussprodukten konzentrierte sich Thalgotts Ehemann auf den britischen Markt, er starb jedoch vor zwei Jahren. Als gelernte Psychotherapeutin wusste seine Witwe erst nicht, wie es weitergehen sollte. Doch dann trat Filip Good in ihr Leben.

Der gebürtige Schweizer ist in Davos aufgewachsen, war sportlich aktiv, fuhr Ski und fand seine Passion im Windsurfen, wie er selbst sagt. Darüber kam er zum Unternehmen Red Bull und baute für den Helmkameraspezialisten GoPro schließlich das Europageschäft auf, bis sein Standort geschlossen wurde. Kurz darauf rief ein Freund an, der ihm von Thalgotts Nuss-Firma erzählte. "2020 bin ich eingestiegen", sagt Good. Für ihn schließe sich damit ein Kreis. Als Sportler, aber auch im Elternhaus habe gesunde Ernährung für ihn immer eine wichtige Rolle gespielt. Seine Mutter habe selbst Nüsse getrocknet oder Bircher-Müsli zubereitet. Das sei ja auch eine Art Fermentierungsvorgang, wie bei den aktivierten Nüssen.

Das bunte Design der Verpackung sticht ins Auge. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Inzwischen begreifen sich beide als eingespieltes Team, in das Good seine Marketing-Erfahrung eingebracht hat. "Ich liebe das Produkt", sagt Thalgott. "Aber eine Geschäftsfrau bin ich nicht wirklich." Eine Tonne Nüsse im Monat verarbeiten sie derzeit, ihr Unternehmen wollen sie organisch wachsen lassen, wie sie erklären. "Das ist wie wenn man ein Feld bestellt, den Samen einbringt und die erste Ernte einfährt", sagt Good. "Und das macht Spaß."

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