Süddeutsche Zeitung

Essen für Bedürftige:Arm gegen Arm

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Die Helfer der Tafeln im Landkreis haben Verständnis für die Kollegen in Essen, die nur noch Deutsche aufnehmen wollen. Doch eine Zweiklassengesellschaft lehnen die meisten ab

Von Ingrid Hügenell, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Essener Tafel zur Verteilung von Lebensmittelspenden an Bedürftige hält trotz heftiger Kritik vorerst an ihrem Aufnahmestopp für Ausländer fest. Ein "Runder Tisch" soll in den nächsten Tagen Lösungen erarbeiten. In Essen sind 75 Prozent der etwa 6000 Kunden "ausländische Mitbürger". Der Aufnahmestopp für Ausländer sei im Sinne einer "vernünftigen Integration", erklärte die Essener Tafel. Das wird auch im Landkreis kritisiert, weil arme Menschen gegen andere arme Menschen ausgespielt würden.

"Wir versuchen, jedem zu helfen, der es braucht", sagt Claudia Brenner, Sprecherin der Geretsrieder-Wolfratshauser Tafel. 700 bis 800 Menschen bekommen in den beiden Städten Essen von der Tafel, etwa 60 Prozent seien Asylbewerber, schätzt Brenner. Probleme gebe es eigentlich nicht, aber: "Es ist schwierig, diesen Menschen, die nicht unsere Sprache sprechen und die eine andere Kultur haben, klarzumachen, wie das bei uns läuft." Da werde auch schon mal geschubst. Brenner weiß von Tafelkunden, die nicht mehr kommen, und glaubt, dass einige vielleicht abgeschreckt seien durch die Flüchtlinge.

"Eine Zweiklassengesellschaft der Hilfsbedürftigen wäre ein Unding", sagt Birgitta Opitz von der Lenggrieser Tafel. Allerdings wolle sie nicht über die Essener Kollegen urteilen. Denn die hätten sich die Entscheidung bestimmt nicht leicht gemacht. Die Essener hätten das Problem "etwas unglücklich gelöst", sagt die Geretsriederin Brenner. Sie äußert aber auch Verständnis. Das Problem, dass im reichen Deutschland Menschen auf gespendetes Essen angewiesen seien, sei von der Politik auf die ehrenamtlich arbeitenden Tafeln abgewälzt worden. "Alle Tafeln kämpfen damit, dass wir uns von der Politik alleingelassen fühlen." Einen positiven Nebeneffekt habe die Sache vielleicht: Die Arbeit der Tafeln rücke durch die Diskussion wieder mehr ins Bewusstsein der Menschen. "Aber ob das was bringt? Da bin ich skeptisch", sagt Brenner. Opitz stimmt es traurig, dass die Diskussion nun zulasten der ehrenamtlichen Helfer in Essen gehe.

Die vielen Flüchtlinge, die seit 2015 auch im Landkreis auf Lebensmittelspenden angewiesen sind, haben bei den Tafeln durchaus zu Schwierigkeiten geführt. Die Lenggrieser und die Geretsrieder-Wolfratshauser Tafel mussten damals vorübergehend Aufnahmestopps verhängen. Geretsrieder Tafelkunden können nur noch 14-tägig zur Ausgabe kommen - für mehr reiche schlicht die Ware nicht, sagt Brenner: "Die Leute gehen mit zu wenig raus." Was sie an den Tafel bekämen, sei eben nur ein Zubrot. In Wolfratshausen sei die Lage entspannter, dort gebe es nach einem Engpass im Sommer derzeit auch wieder genügend ehrenamtliche Helfer. In Lenggries habe sich die Sache gut eingependelt, sagt Opitz und dankt den Ehrenamtlichen.

"Die Tölzer Geschäftsleute versorgen uns mit sehr viel Ware", sagt Reinhold Pohle, der für die Tölzer Tafel zuständig ist. "Wir haben nie zu wenig." Für ihn ist die Grundsatz-Idee der Tafeln maßgeblich: Es sollen keine Lebensmittel weggeworfen, sondern an die verteilt werden, die sie am meisten brauchen. Das seien im Landkreis die Inhaber der Sozialcard, "und da macht es überhaupt keinen Unterschied, ob das Ausländer oder Deutsche sind." Ausländer ausschließen - "das halte ich für nicht in Ordnung", sagt Pohle. Gedränge oder gar Geschubse gebe es in Bad Tölz nicht. Denn die Kunden bekämen einen nummerierten Tafelausweis und werden nach den Nummern aufgerufen. "Das läuft sehr diszipliniert ab, die Leute sitzen da und warten, bis sie dran sind." Die Tölzer Tafel bringt gehbehinderten Sozialcard-Inhabern sogar Lebensmittel nach Hause, und auch die Asylbewerber, die im Reichersbeurer Gewerbegebiet am Kranzer leben, bekommen eine Lieferung. "Das war untragbar", sagt Pohle. "Die sind abends an der Bundesstraße entlang zu uns gelaufen." Das fanden die Tafel-Leute zu gefährlich.

Thomas Schneider von der Loisachtaler Tafel will sich zur Situation in Essen nicht äußern, er findet, eine Tafel mit 6000 Kunden lasse sich mit einer mit knapp 30 nicht vergleichen. An der Ausgabestelle in Kochel werde jeder bedient, der aus Bichl, Benediktbeuern, Schlehdorf und Kochel selbst kommt und die Sozialcard hat. Die Wartenden ziehen verdeckt Nummern, und werden der Reihe nach bedient. Das funktioniere gut, sagt Schneider, genug Helfer und Ware habe man auch: "Wir könnten noch mehr versorgen." Reibereien gebe es nicht. Ein Problem aber haben die Tafeln: Manche Leute, die einen Anspruch hätten, kämen nicht, sagen Schneider und Pohle - aus Scham. Sie hätten Angst erkannt zu werden.

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SZ vom 28.02.2018
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