Süddeutsche Zeitung

Ernährung:Vegan zur Weihnachtszeit

Barbara Unterberger findet es ganz einfach, auf tierische Produkte zu verzichten. Schließlich mache sie das freiwillig. Die Wolfratshauserin will niemanden missionieren und ist nicht auf Konflikte aus. Zu Einladungen bringt sie sich ihr Essen deshalb schon mal selbst mit.

Von Claudia Koestler

"Hilfe, ein Veganer kommt zum Weihnachtsessen!" Gäste, die sich ohne tierische Produkte ernähren - das sei ein heiß diskutiertes Thema in vielen Familien, sagt Barbara Unterberger. Die Wolfratshauserin, die sich selbst vegan ernährt und vegane Rezepte entwickelt, sieht die Jahreszeit und mit ihr alle kulinarischen Versuchungen äußerst entspannt: Mögen andere Currywurst und mit Eiweiß geklärten Glühwein auf den Christkindlmärkten verputzen, Butterstollen und Honigkuchen naschen und am Ende der Weihnachtszeit Karpfen, Gans oder Ente in den Backofen schieben. Unterberger kontert mit eigenen Rezepten und verzichtet dabei zwar auf Fleisch, Milch, Butter und Eier, nicht aber auf den Genuss: "Für mich bedeutet vegane Küche keine Einschränkung, sondern tausende neue Möglichkeiten." Diese Möglichkeiten will sie teilen, mit ihren Rezepten, vor allem aber mit schmackhaften Beispielen. Also lautet ihre pragmatische Lösung, wenn sich andere vor dem Besuch die Haare raufen: "Selber etwas mitbringen."

Dass in ihrer Gegenwart andere nach wie vor Fleisch konsumieren, etwa bei einer Weihnachtsfeier, schreckt Unterberger nicht ab. "Ich will ja nicht missionieren", sagt sie. "Mich interessiert der Gaumen, nicht die Keule." Es gebe durchaus Veganer, die extrem, ja manchmal radikal in ihrer Ansicht seien. "Aber solche sind oft jung, und da stelle ich mir manchmal die Frage, ob sie in fünf oder zehn Jahren noch dabei sein werden." Denn viele Situationen im Leben, im Beruf, mit der Familie hätten sie vielleicht noch gar nicht erlebt.

Unterberger selbst achtet bei jeglichen Einkäufen darauf, was drin ist. "Aber ich kann nicht von mir behaupten, dass ich ausschließlich vegane Produkte benutze". Zum einen trage sie durchaus auf, was sie an Kleidung noch habe, "und zum anderen schafft eh keiner 100 Prozent", ist sie überzeugt. "Das fängt ja schon an, dass man beim Rad fahren eine Fliege verschlucken kann. Nicht lachen, das ist mir tatsächlich erst kürzlich passiert." Und ja, es könnte ja auch mal der berühmte Wurm im Apfel stecken. Für sie aber gelte grundsätzlich: Wer will, kann darauf achten, dass Tiere nicht leiden, "und gerade bei der Ernährung finde ich es so einfach wie nur was."

Dass sich bei der 54-Jährigen der Schalter vor drei Jahren auf vegan umlegte, hatte zwei Auslöser. "Zum einen mein Hund, bei dem ich mir dachte, das ist doch nicht normal, dass wir die einen streicheln und die anderen essen." Zum anderen war es ein Dialog mit ihrem Sohn über Gänse, die dreimal in ihren Leben gerupft werden, "zweimal also leben sie dabei". Ihr Sohn schlug vor, doch mal einen Monat vegetarisch zu leben, die beiden verbanden das Experiment mit der Fastenzeit. Nur "den Quatsch mit vegan" solle sie nicht mitmachen, hatte der Sohn noch gebeten. Nach dem Ende der 40 Tage blieb Unterberger einfach dabei und schwenkte bald auf vegan um. "Irgendwann dachte ich mir, wieso soll ich mit jemanden darüber diskutieren, was ich nicht esse? Es ist schlimm genug, wenn man diskutieren muss, was man isst." Sechs Wochen lang merkte der Sohn keinen Unterschied, bis er nachfragte. Und es plötzlich "ziemlich cool" fand, was die Mutter inzwischen auf den Tisch brachte.

Vegan ist allerdings ein breiteres Feld, als nur Ernährung und geht über Kleidung und Kosmetik bis hin zur Einrichtung. Und ja, es gebe immer wieder Konflikte, etwa die Frage, ob stattdessen Plastik notwendig ist, obwohl plastikfrei ökologisch sinnvoller wäre. "Wir können nicht alles gut machen. Aber ich denke eben für mich, ein kleines bisschen was kann ich tun. Und wenn es nicht schwer fällt, wie eben bei der Ernährung, sondern Spaß macht, ist es umso besser."

Ersatzprodukte seien manchmal, aber nicht immer die Lösung: "Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn ich eingeladen bin, und die Leute stellen mir einen Ersatzkäse hin." Der munde ihr nämlich einfach nicht, im Gegensatz zum Original früher. Ja, echter Kuhmilchkäse schmecke "schon geil", das habe sie nicht vergessen. "Und wer da bei den Ersatzprodukten sagt, die sind gut, der hat es vergessen". Aber: ihr veganes Leben sei eben nicht mit einer Diät vergleichbar, bei der man sich geißelt. "Ich dürfte ja, ich will nur nicht. Und diese Freiheit macht es mir leicht, denn es ist jeden Tag eine freiwillige Entscheidung."

Deshalb hat Unterberger "null Scheu" vor dem Christkindlmarkt und der Vorweihnachtszeit. Gerade in der Region wissen viele Standbetreiber bereits, was sie will, wenn sie eine "vegane Wurstsemmel" verlangt: eine Semmel mit Senf. Zunehmend gebe es auch Leckereien, die allen schmeckten, ob nun Allesesser oder Veganer: Süßkartoffelpommes etwa oder Falafel. "Kompliziert ist es immer eher dann, wenn es sich jemand kompliziert macht." Gastgebern könne man den Stress "ganz einfach nehmen, in dem man selbst was mitbringt". Und für solche Gelegenheiten kreiert sie ihre Rezepte, in denen sie Klassiker schon mal veganisiert, ohne dass sie an Geschmack einbüßen: Vom veganen Mettbrötchen über Koriandernudeln und Gemüsecurrys bis zu Vanillekipferl, Plätzchen namens "verschneite Bäumchen" und Spekulatius-Amarena-Tiramisu.

An ihrem Schreibtisch warten Block und Bleistift auf Ideen. "Die Frage ist immer, was man kombinieren oder was schmecken könnte. Und meistens wird es ganz anders". Von inzwischen fast 400 Rezepten hätten es lediglich drei nicht in ihren Blog (www.kleinstadthippie.de) geschafft. "Man muss sich halt auseinandersetzen mit dem, was man tut." Eine Gans nachbasteln zu Weihnachten kommt jedenfalls nicht infrage: "Ich werde lieber ein schönes Antipasti-Buffet machen - denn daran erfreut sich einfach jeder."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3794188
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.12.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.