Süddeutsche Zeitung

Erinnerungs- und Begegnungsstätte:Ein Ort für kritische Geister

Der erste Kulturabend im frisch renovierten Waldramer Badehaus ist Oskar Maria Graf und seiner Tochter Annemarie gewidmet - und weckt Lust auf weitere Veranstaltungen

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Ein bisschen Reibeisen haben sie in der Stimme, alle beide. Doch das tut ihrem Können keinen Abbruch und der Sympathie schon gar nicht, die das Publikum ihnen entgegenbringt: Claus Steigenberger, der Sprecher, und Zither-Manä, der Musikant, sind an diesem Sonntagabend trotz Erkältung gekommen, um ein Benefiz zugunsten des Vereins Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald mitzugestalten. Sie liefern zum Film über "das Annamirl", die Tochter von Oskar Maria Graf, Texte und Musik. Es ist die erste Veranstaltung, die der Verein an der eigenen Adresse anbietet: im restaurierten Gebäude, das zu einer Erinnerungs- und Begegnungsstätte ausgebaut wird.

Das Haus steht für drei Phasen deutscher Zeitgeschichte, die hier exemplarisch erklärt werden können. Es ist entstanden als Teil der Siedlung Föhrenwald für Zwangsarbeiter und Dienstverpflichtete der NS-Munitionsfabriken im benachbarten Forst. Diese Wohnanlage mit den charakteristischen spitzgiebeligen Häusern wurde nach der Befreiung in ein Schtetl-artiges Lager für jüdische Überlebende des Holocausts - Displaced Persons (DP) - umgewandelt. Das heutzutage weltweit bekannte DP-Lager Föhrenwald wiederum wurde Ende der Fünfzigerjahre aufgelöst, in Waldram umbenannt und von katholischen Heimatvertriebenen besiedelt.

Mehr noch als das Thema des Benefiz-Abends - Oskar Maria Graf und seine Tochter Annemarie Koch-Graf - ist es dieser Anlass, der Veranstalter wie Publikum am Sonntag bewegt: Das historische Gebäude am Kolpingplatz in Waldram, das der Verein vor dem Abriss bewahrt hat, beweist erstmals seine Anziehungskraft. Staunende Blicke, anerkennende Worte, respektvolles Lob kommen von allen Seiten. "Wenn man sich vorstellt, wie es hier früher aussah", sagt ein Besucher. Denn noch vor fünf Jahren lag in den Räumen allenthalben Gerümpel herum, an den Wänden liefen unverputzte Leitungen und Rohre entlang, und im Stadtrat gab es durchaus Kritiker der Rettungsaktion, die mäkelten, das Gebäude sei ja kaum zu sanieren.

So gesehen ist es geradezu ein Zeichen, dass an der ersten öffentlichen Veranstaltung im ausgebauten Keller auch Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) mit seiner Ehefrau teilnimmt. Sybille Krafft, Vorsitzende des Badehaus- und des Historischen Vereins Wolfratshausen, und Assunta Tammelleo vom mitveranstaltenden Kulturverein Isar-Loisach (KIL) zeigen sich begeistert davon, dass das Haus ausverkauft ist. "Sie sind Gäste einer ganz besonderen Premiere", sagt Krafft und erklärt, warum ein Benefizabend wie dieser so wichtig ist fürs Badehaus: "Ein modernes, attraktives Museum, das braucht einfach Geld." Noch arbeitet der Verein an der Dokumentation, die im Erd- und im Dachgeschoss gezeigt werden soll. Es gebe zwar öffentliche Zuschüsse, aber der Verein müsse zehn Prozent Eigenleistung nachweisen, erklärt die Vorsitzende. Und vermutet: Oskar Maria Graf, der große bayerische Schriftsteller und kritische Geist, der vor den Nazis ins US-amerikanische Exil floh, hätte sich mit dem Badehaus-Projekt identifizieren können.

Der Film, den die Historikerin und Journalistin Krafft über Annemarie Koch-Graf gemacht hat, porträtiert in beschaulichen Sequenzen eine starke, ruhige, belesene bayerische Frau, die ohne ihren Vater groß wurde - bei ihrer Großmutter Therese Graf in Berg, wo die Familie eine Bäckerei betrieb und wo sie dann als Hauswirtschafterin in den Kindergärten kochte. Sie sei "eine kongeniale Interpretin ihres Vaters", sagt Krafft über Koch-Graf, und das zeigt sich im Film, wenn die über Achtzigjährige aus Werken Oskar Maria Grafs rezitiert. Dazwischen erzählt sie Anekdoten über "die Bäcker-Lackln", wie die Graf-Burschen am Ort genannt worden seien, und auf Nachfragen das ein oder andere über den weitgehend fernen Vater, von dem man nie habe sagen können, "wann er hereinbricht". Anrührend ist es, als sie einen Text des Vaters über das Blau des geliebten Sees und das Grün der Landschaft vorliest, während die Kamera beides vors Auge bringt. Der Exilant Graf lässt die Betrachtung seiner Heimat mit den Worten enden: ". . . als wär ich nicht mehr fremd in diesem Land".

Als Wanderer zwischen den Welten tritt auch der Zither-Manä auf. Er schwenkt vom bayerischen Landler zum amerikanischen Blues und lässt das enthusiastische Publikum zum berühmten Chuck-Berry-Song "Johnny B. Goode", den er auf der Zither spielt, mitschnippen. Claus Steigenberger versteht es auch mit angekratzter Stimme noch, Passagen aus Oskar Maria Grafs Werk mal schelmisch (die Hühnergeschichte) oder mit bayerischer Süffigkeit (Bohemeleben in München) zu interpretieren. Am Ende des Abends freuen sich einige schon auf die ersten Veranstaltungen im vollständig fertigen Badehaus, das kommendes Jahr eröffnet werden soll.

Wiederholung des Abends am Freitag, 1. Dezember, 20 Uhr, Badehaus, Kolpingplatz, Wolfratshausen, Karten zu 14 Euro unter gitti@hinterhalt.de

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3758388
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.11.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.