Erinnerungen:Festhalten, was verschwindet

Die Fotografin Anita Bischoff Casati zeigt unter dem Titel "Baierbrunner Gesichter" die ländliche Seite ihres Heimatortes. Der Erlös aus dem Verkauf der Bilder kommt einem Wohnprojekt für Behinderte zu Gute. Dort lebt auch der zweite Künstler der Ausstellung

Von Melanie Artinger, Baierbrunn

Was macht das Gesicht eines Ortes aus? Für die freischaffende Fotografin Anita Bischoff Casati lautet die klare Antwort: die Menschen, die dort leben und arbeiten. Die Apothekerin, der Kramer, die Schneiderin, sie alle sind für Bischoff Casati die "Elemente, die das Ursprüngliche" einer Gemeinde ausmachen. Die Ausstellung "Baierbrunner Gesichter" zeigt Porträtaufnahmen von Menschen, die das Gemeindeleben gestalten und prägen. Authentisch und lebensnah zeigen die ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Fotografien die Poesie des Alltags.

Auf einem der Bilder sind in Tracht gekleidete Baierbrunner zu sehen, die aus dem Fenster des alten Bauernhauses blicken, das direkt gegenüber dem Rathaus stand. Dort sollte auch ein Teil der Ausstellung gezeigt werden. Doch das Bauernhaus wurde im vergangenen Jahr abgerissen. Das kann durchaus als symptomatisch für Bischoff Casatis Bildreihe gelten. Die Aufnahmen entstanden in den Jahren 2004 und 2005 vor allem deshalb, weil die gebürtige Baierbrunnerin das Gefühl hatte, dass "dieses Altbeständige nach und nach aus der Gemeinde verschwindet". Deshalb hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, "ihr Baierbrunn" festzuhalten.

So zeigt eine andere Bildreihe Pepita Maier beim Einkaufen im Kramerladen Stahuber. Das kleine Geschäft in der Ortsmitte gibt es nicht mehr. Es "hinterließ eine große Lücke in Baierbrunn. Dort war es immer sehr schön. Im Laden ist man sofort ins Gespräch gekommen", erinnert sich Bischoff Casati. "Dort wurde immer viel gelacht." In einer weiteren Bildcollage ist Jakob Rottmeier mit seinen Schafen oder auf dem Traktor zu sehen. Er ist einer der letzten Landwirte in Baierbrunn - und das "mit Leib und Seele". Ob seine Kinder die Landwirtschaft weiter betreiben werden, ist ungewiss.

Einen starken Kontrast zu diesen Porträts des Verschwindenden bilden Mathias Stampfls Landschaftsfotografien nicht nur aufgrund ihrer Farbigkeit. Die Aufnahmen aus der Reihe "Chiemsee Impressionen" entstanden meist in der Morgendämmerung. Sie fangen die Ruhe und Beständigkeit einer Landschaft ein, die seit Jahrtausenden ihr Gesicht beibehalten hat. Im Alter von zwanzig Jahren legte der Priener Fotograf seine Gesellenprüfung ab, wenige Wochen später fiel er ins Koma. Seitdem ist seine rechte Seite gelähmt, das Sprachzentrum gestört. Fotografieren kann er heute nur noch mit einer kleinen Digitalkamera.

Der Verkauf der Bilder soll dem Projekt "Hof Seraphim" zugute kommen. Auf einem Hof im Chiemgau sollen Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für sieben Menschen mit Behinderung entstehen. Noch befindet sich das Projekt in der Gründungsphase, die Baierbrunnerin Bischoff Casati ist Gründungsmitglied.

"Ich fühle eine gewisse Berufung zur Arbeit mit Behinderten", sagt Bischoff Casati. "Da kommt einfach wahnsinnig viel zurück. Meine drei Schützlinge können sich so unbändig freuen. Da denke ich mir oft: Wenn wir doch nur halb so dankbar wären."

Angie Hering, Žiga Naglič und Benedikt Groschup haben auf dem alten Wagnerhof in Riedering nahe Prien bereits einen Praktikumsplatz. Gemeinsam kümmern sie sich um die zwanzig Schafe, die fünf Lämmer, sechs Ziegen und zwanzig Hühner. Anita Bischoff Casati betont, dass es sich bei dem Projekt um einen ganzheitlichen Ansatz handelt, bei dem auch gemeinsam gesungen und gebetet wird. Neben der hofeigenen Käserei sind auch ein Hofladen mit Hofcafé geplant: "Wir sind auf der Suche nach einen größeren Hof, für die Verwirklichung der Gründungsidee ist der jetzige zu klein. Der Stall platzt schon aus allen Nähten."

Die Fotoausstellungen "Baierbrunner Gesichter" und "Chiemsee Impressionen" sind noch bis zum 16. März immer Montag, Dienstag und Freitag von 8 bis 12 Uhr, sowie donnerstags von 9 bis 12 und von 14 bis 18 Uhr im Rathaus Baierbrunn, Bahnhofstraße 2, zu sehen. Zur Finissage am Mittwoch, 16. März, findet von 18 Uhr an eine Lesung mit Aglaia Szyszkowitz statt.

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