Energiewende im Landkreis:Ein Heizstab für ängstliche Bauherren

Passivhäuser beziehen ihre Wärme durch die Fenster und aus sich selbst. Eine Einsparmöglichkeit, die im Landkreis wenig genutzt wird.

Bernhard Lohr

Wer es nicht besser weiß, könnte Tilmann Vorholz als Märchenerzähler oder gar als Lügenbaron abqualifizieren. Was soll denn ein Haus ohne Heizkessel und Heizkörper an den Wänden? Und wie kommt er nur dazu zu behaupten, dass er mit zehn Teelichtern eine 150 Quadratmeter große Wohnung warmkriegt? Schließlich sind die Winter im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen lang. An einem kühlen Sommertag kann es passieren, dass es einen in den eigenen vier Wänden fröstelt. Doch Vorholz weiß, wovon er spricht.

Energiewende im Landkreis: Ein Passivhaus, die ohne Heizung auskommen, steht unter anderem an der Irschenhauser Straße in Icking.

Ein Passivhaus, die ohne Heizung auskommen, steht unter anderem an der Irschenhauser Straße in Icking.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Der Architekt und gelernte Zimmermann ist mit Georg Hawran Chef der Vorholz Hawran Holzbau GmbH in Geretsried-Gelting. Er baut in dem modern ausgestatteten Werk seit Jahren aus Holz und Naturmaterialien Niedrigenergiehäuser und Passivhäuser, die praktisch keine Energie verbrauchen. "Nein, es gibt keine Heizkörper", sagt er zum Passivhaus und ergänzt. "Für Ängstliche baut man einen Heizstab ein."

Seit 20 Jahren gibt es Passivhäuser in Deutschland. In einem ersten Forschungsprojekt entstand 1991 unter der wissenschaftlichen Leitung des heute federführenden Fachmanns der Passivhaus-Bauweise, Wolfgang Feist, in Darmstadt Kranichstein eine Wohnanlage für vier Familien, bei der es die Bauherren, wie es heißt, "noch nicht wagten, auf Heizkörper zu verzichten".

Doch die Forschungsergebnisse des heute an der Uni Innsbruck lehrenden Feist zeigten, dass es kein Hirngespinst war, ein Haus zu bauen, das laut Definition mit "ohnehin vorhandenen inneren Wärmequellen und der durch Fenster eingestrahlten Sonnenenergie sowie einer geringfügigen Frischlufterwärmung" warm zu halten ist.

"Die Fenster sind die Heizung für das Haus", sagt Vorholz, der sich mit den Lehren von Feist beschäftigt hat. Er hat sich fortgebildet und den Bau von Holzhäusern optimiert. Heute bauen er und seine 20 Leute im Betrieb 15 bis 20 Häuser im Jahr, von denen sich Beispiele in Icking, Geretsried und auch Wolfratshausen finden, wo etwa die Familie Prantl an der Tulpenstraße ein Passivhaus bewohnt.

400 Kilowattstunden mehr Energie erzeugt

200 Quadratmeter Wohnfläche, 45 Zentimeter dicke, mit Zellulose gedämmte Wände, Dreifachverglasung und eine intelligente Belüftungsanlage mit Wärmetauscher machen es möglich: Im Jahr 2007 wurden in dem Haus 400 Kilowattstunden mehr Energie erzeugt, als in Haushalt, für Warmwasser und Heizung benötigt wurden. Mehrpreis für solch ein Haus: drei bis sieben Prozent.

Angesichts all dieser Vorteile kann Vorholz nicht recht verstehen, dass im Landkreis solche Häuser nicht in dem Maß gebaut werden, wie es zu erwarten wäre. Er hält es für bezeichnend, dass Feist mittlerweile an der Uni Innsbruck lehrt, und er lobt das Bundesland Vorarlberg, wo Behörden, Baugewerbe und das öffentliches Bewusstsein weiter seien als in Bayern. So sei dort seit Jahren bei öffentlichen Bauten Passivhausstandard vorgeschrieben.

Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen ist es dagegen beim Erweiterungsbau des Geretsrieder Gymnasiums auch Dank der Bürgerstiftung Energiewende gerade noch gelungen, die Energiebilanz des Gebäudes überhaupt zum Thema zu machen. Es wurde, wenn auch nicht aus Holz, so doch als Passivhaus gebaut. Vorgesehen war das laut Vorholz zunächst keineswegs.

"Man kann alle Fenster öffnen"

Auch der Münsinger Theo Peter hat das Ringen um den Anbau am Gymnasium verfolgt und teilt die Kritik von Vorholz.

Peter hat sich als Inhaber der Bauzeit-Netzwerk GmbH deutschlandweit einen Namen für hochwertige Holzhäuser in Passivhausstandard gemacht. Für eine Wohnanlage in München-Riem erhielt er den renommierten Deutschen Holzbaupreis 2011. Er ist Gründungs-Mitglied der Bürgerstiftung Energiewende-Oberland und hält es für wichtig, dass in den Rathäusern Energiefragen stärker beachtet werden. Es fehle an Beratung, auch werde bei Bauherren oft gar keine Energiebilanz eingefordert, wenn diese einen Bauantrag einreichten.

Peter fordert zudem, bei einem Haus in die Bilanz auch aufzunehmen, wie viel Energie beim Bau selbst aufgewendet wird. Die sogenannte "graue Energie" sei, etwa beim Brennen von Ziegeln, ein erheblicher Faktor. Schnell sei man da bei Dimensionen, in denen ein Niedrigenergiehaus 40 Jahre mit Energie versorgt werden könne. Peter schätzt den Ansatz von Vorholz-Hawaran, doch ihm sind auch die Holzwände zu massiv. "Die Intelligenz der Häuser von Morgen besteht in der Abwesenheit von Material."

Der verbreiteten Meinung, dass bei Passivhäusern die Fenster nicht geöffnet werden dürfen, widerspricht Vorholz. "Man kann alle Fenster öffnen." Und effektive Lüftungsanlagen schafften es, in zwei Stunden die Luft eines Hauses komplett auszutauschen, die frische Luft werde von Pollen und Staub gefiltert und im Wärmetauscher durch die Abluft aufgewärmt. Einen für manchen gar nicht so unbedeutenden Nebeneffekt gibt es inklusive. "Die Leute sagen immer wieder, dass sie gar nicht mehr viel Staubwischen müssen."

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