Energiewende im Landkreis:"Wir schaffen das bis 2035"

Wolfgang Seiler, Vorsitzender der Bürgerstiftung Energiewende, hält die Selbstversorgung im Oberland für möglich - wenn die Politik den Rahmen schafft.

Felicitas Amler

Herr Seiler, die Bürgerstiftung konstatiert, die Energiewende könne "von den Staaten und Kommunen allein nur mit großen Mühen" erreicht werden. Viele Aufgaben könnten aber die Bürgerinnen und Bürger selbst erledigen. Schafft man damit nicht eine Generalentlastung der Politik und bürdet gleichzeitig dem Einzelnen viel zu viel auf?

Oberschweinbach: Windrad

In der Windkraft sieht Wolfgang Seiler eine von vielen Möglichkeiten zur nachhaltigen Energiegewinnung.

(Foto: Johannes Simon)

So ist es nicht gemeint. Es ist eigentlich ganz klar, dass die wichtigste Person der Bürgermeister ist, dann der Gemeinderat und dann die Bürger. Denn wenn der Bürgermeister hinter der Sache steht und der Gemeinderat auch, dann läuft das in der Regel. Es geht uns um ein ganzheitliches, integriertes Konzept für eine Gemeinde über einen langen Zeitraum. Hier ist der Bürgermeister wieder die erste Adresse.

Ziel der Bürgerstiftung ist es, die drei beteiligten Landkreise bis 2035 energieautark zu machen. Ganz konkret: Wie?

Zunächst einmal, indem Energie eingespart wird. Das fängt an im privaten Bereich. Wenn wir heute nur noch elektrische Geräte benutzen würden, die der Güteklasse A++ entsprechen, könnten wir spielend zwischen vierzig und sechzig Prozent des jetzigen Stromverbrauchs im Haushalt einsparen.

Haben Sie einen Überblick, wie viel Energie derzeit in den drei beteiligten Landkreisen verbraucht wird?

Nur für einen Landkreis: Weilheim-Schongau. Es wird jetzt gerade ein Klimaschutzkonzept erarbeitet für den Landkreis Miesbach. Und der dritte Schritt wird der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sein.

Das heißt, man plant auf unsicherer Grundlage. Denn wenn man nicht weiß, wie viel Energie ein Landkreis verbraucht, kann man auch nicht sagen, wie er sich selbst versorgen kann.

Das ist nicht ganz richtig, man weiß schon aus Erfahrung, wie in etwa die Situation aussieht. Aber wenn man Maßnahmen ergreifen will, muss man schon konkrete Daten haben. Deshalb ist ein Klimaschutzkonzept mit einem klaren Fahrplan notwendig.

Nun ist es bis 2035 ja nicht mehr ewig. Müsste man sich nicht sputen?

Das ist richtig. Wir hatten bis jetzt unseren Schwerpunkt auf die Sensibilisierung der Bevölkerung gelegt. Damit uns die Zeit nicht wegläuft, müssen wir jetzt konkrete Maßnahmen definieren, die zum Ziel führen, und diese dann auch umsetzen.

Welche befürworten Sie?

Sie können Photovoltaik nutzen, das ist ja heute gang und gäbe.

Sie können Ihre Heizung unterstützen durch solarthermische Anlagen. Und dann besteht noch die Möglichkeit, erneuerbare Energien wie zum Beispiel Biogas einzusetzen. Ich würde sagen, dass wir hier noch über Potentiale verfügen. Insbesondere wenn der Klimawandel sich so vollzieht, wie wir das erwarten, und sich damit immer größere Flächen für den Maisanbau anbieten. Allerdings muss großer Wert darauf gelegt werden, dass die Biogasanlagen so gebaut werden, dass auch die Abwärme genutzt wird. Sonst sind sie nicht effizient.

Weitere Möglichkeiten?

Natürlich verfügen wir auch über große Waldflächen und damit entsprechende Holzvorräte. Insgesamt haben wir in Bayern nachwachsende Rohstoffe in doch erheblichem Umfang, die man besser nutzen sollte, als es bisher der Fall ist. Und dann kommt noch die Windkraft, die jetzt in aller Munde ist.

Sind Sie überzeugt davon, dass es hier bei uns genügend Wind gibt, um ihn wirksam zu nutzen?

Mit Anlagen mit einer Nabenhöhe von 150 Metern bin ich in dem Bereich, in dem ausreichend hohe Windgeschwindigkeiten für eine wirtschaftliche Nutzung der Windkraft vorliegen.

Aber das sind doch gerade jene Anlagen, bei dem jeder sagt: Um Himmels willen, nicht in meiner Nachbarschaft!

Was sagt dann derjenige, der demnächst ein Gasgroßkraftwerk vor die Haustür gestellt bekommt? Oder ein Kohlekraftwerk? Wenn die Atomkraftwerke in den nächsten zehn Jahren komplett abgeschaltet werden - was wir unterstützen -, dann müssen wir alle sich uns bietenden Möglichkeiten nutzen.

Dennoch: Wird der Widerstand nicht stark sein?

Wir sehen zur Zeit eine völlig andere Entwicklung. Man hat aus der Vergangenheit gelernt und geht nun dazu über, den Bau einer Windkraftanlage nicht mehr einem Großunternehmen zu überlassen, sondern sie in Form eines Bürgerkraftwerks zu betreiben. Diese Anlage gehört dann den Bürgern, die dann daran auch verdienen. Diese Entwicklung unterstützen wir als Energiewende-Stiftung sehr stark. Insgesamt soll Energieerzeugung in der Region erfolgen. Damit verbleibt die Wertschöpfung hier bei uns. Und das bedeutet wiederum Sicherung von Arbeitsplätzen, Aufbau neuer Arbeitsplätze und Sicherung des sozialen Friedens.

Sie denken an genossenschaftliche Lösungen?

Richtig. Diese Form wird heute schon im EWO-Gebiet zum Beispiel mit unserer EWO-GmbH mit den Solarparks erfolgreich praktiziert.

Wenn der Bürger merkt, dass er von dieser Art der Beteiligung profitiert, ist er auch mehr bereit, diese Entwicklung mitzutragen.

Halten Sie das Ziel der Energiewende, in den beteiligten drei Landkreisen bis 2035 energieautark zu werden, für erreichbar?

Das schaffen wir. Wenn der Wille dahintersteht. Wir könnten es sogar in noch kürzerer Zeit schaffen. Die technischen Voraussetzungen sind gegeben, allerdings fehlen vielfach die finanziellen Voraussetzungen.

Aber was ist denn bisher schon geschehen, das Ihnen das Gefühl gibt, wir seien ganz nah dran?

Es sind in den letzten Jahren auf der technischen Seite erhebliche Fortschritte erzielt worden. Jetzt geht es um die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen. Wir brauchen zusätzlich zu den technische Innovationen mehr und mehr innovative Finanzierungsinstrumente. Viele Bürger würden gern mehr im Klimaschutz machen, haben aber nicht das Geld und bekommen vielfach auch die notwendigen Darlehen von der Bank nicht, weil sie unter anderem nicht die erforderlichen Sicherheiten bieten können.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel.

Sie wollen Ihr Haus auf Vordermann bringen: optimale Wärmedämmung, Lüftung, Kraft-Wärme-Kopplung, Photovoltaik auf dem Dach, ein bisschen Solarthermie, um die Heizung zu unterstützen. Da sind Sie, je nachdem, wie groß das Haus ist, sehr schnell bei 50000 bis 80000 Euro. Wenn Sie wenige Jahre vorher das Haus gekauft und Kredite aufgenommen haben, laufen Sie Gefahr, dass Ihnen die Bank keinen zusätzlichen Kredit mehr gibt.

Was machen wir also?

Der Staat muss einen Umweltfonds auflegen, der zum Beispiel die Sicherheitsgarantien übernimmt oder durch Zuschüsse die Sanierung des Gebäudebestands forciert. Können Sie sich noch an die Abwrackprämie erinnern? Vier Milliarden Euro! So einfach auf den Tisch geklatscht. Wenn wir vier Milliarden hätten für den Sanierungsbereich - das wäre ein Durchbruch. Studien haben gezeigt, dass jeder Euro, der als Fördermittel zur Verfügung gestellt wird, etwa sieben bis zehn Euro für zusätzliche Investitionen und Dienstleistungen nach sich zieht, die alle mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belegt sind. Sie können sich ausrechnen, dass damit mehr Geld über die Steuer, aber auch über die Stärkung der Sozialsysteme hereinkommt als an Fördermitteln ausgegeben wurde.

Klingt wunderbar: Warum hat sich das noch nicht durchgesetzt?

Das ist die Frage, die ich nicht beantworten kann.

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