Energiewende in Icking:Ein Dorf will sich selbst versorgen

Energiewende in Icking: Nur etwa 20 Prozent der Ickinger haben nach Schätzung von Karlheinz Seim, dem Vorsitzenden der neuen Energiegenossenschaft Icking-Isartal, eine Solaranlage auf dem Dach.

Nur etwa 20 Prozent der Ickinger haben nach Schätzung von Karlheinz Seim, dem Vorsitzenden der neuen Energiegenossenschaft Icking-Isartal, eine Solaranlage auf dem Dach.

(Foto: Privat/oh)

In Icking hat sich eine Energiegenossenschaft gegründet. Ihr Ziel ist, dass alle Einwohner mit Photovoltaik künftig selbst Strom erzeugen sollen. Die Autarkie soll in fünf bis zehn Jahren erreicht sein.

Von Susanne Hauck

Und plötzlich geht alles ganz schnell - jetzt, wo der eigene Geldbeutel betroffen ist und die Angst wächst, im Winter frieren zu müssen. Auf einmal will jeder eine Photovoltaikanlage und eine Wärmepumpe haben. Einer, der das zu spüren bekommt, ist Karlheinz Seim, Vorsitzender der neu gegründeten Energiegenossenschaft Icking-Isartal. "Jeden Tag klingelt das Telefon", berichtet der Manager im Ruhestand. Plötzlich sei den Bürgern durch den Ukraine-Krieg ihre Abhängigkeit von fossilen Energiequellen bewusst geworden. Vor ein paar Jahren, als er mit der Energiewende Oberland durch die Lande tourte, sei dies noch ganz anders gewesen: "Oft wurde ich von den Bürgern ausgelacht."

Seim freut sich, dass das Energiesparen zum Selbstläufer geworden ist, auch wenn es für ihn schöner wäre, wenn dahinter nur die Motivation stünde, etwas fürs Klima tun zu wollen. Für ihre Gründung hätte die Energiegenossenschaft jedenfalls kaum einen besseren Zeitpunkt erwischen können. Ihre Mission: Alle Ickinger sollen sich künftig selbst mit Energie versorgen können. Dazu fand am Mittwoch die Gründungsversammlung im sogenannten Wasserstoffhaus statt, einem energieautarken Modellhaus in Irschenhausen. 36 Mitglieder, überwiegend Privatleute aus Icking und den umliegenden Ortschaften, traten gegen eine Einlage von 500 Euro sofort bei. Was die Genossen genau vorhaben, erklärten die neuen Vorsitzenden Seim und Johannes Voit danach im Pressegespräch.

Zunächst einmal geht es um die Stromversorgung vom eigenen Dach. Etwa 1000 Familien gibt es in der 3600 Einwohner kleinen Gemeinde. Erst 20 Prozent hätten Photovoltaik oder Solarthermie auf dem Haus, schätzt Voit. Das soll sich ändern. "Jeder, der ein eigenes Dach über dem Kopf hat, kann mit einer PV-Anlage eigenen Strom erzeugen, den er zum Waschen und Kochen oder vielleicht auch für E-Autos und die Wärmepumpe am besten direkt verbraucht", sagt Seim. Alles, was dazu an Wissen für den Umbau bis hin zur Auflistung geeigneter Fachfirmen nötig ist, findet sich auf der Homepage der Genossenschaft. Die Beratung dort steht jedermann offen, aber wer zudem Genosse ist, kommt leichter an das derzeit nahezu ausverkaufte Material heran: rund 80 PV-Anlagen und 15 Wärmepumpen sind auf Vorrat gebunkert.

Seim will den Leuten Mut machen. Gerade Ältere glaubten, ihr Altbau sei gar nicht geeignet, viel zu oft geisterten Ängste wegen Verschattung oder der falschen Dachausrichtung herum. "Es muss nicht unbedingt Süden sein, Ost-West funktioniert heutzutage genauso", so Seim. Sein pragmatischer Rat: "Machen, was möglich ist, auch wenn nicht jeder ein Selbstversorger sein kann." Wer 50 Quadratmeter auf dem Dach zur Verfügung hat, könne allerdings auch das schaffen. Er selber erzeuge für seinen Zwei-Personenhaushalt 7500 Kilowattstunden und verbrauche davon 6000 für die Hauselektrik und das E-Auto. Moderne Gebäude könnten bis zu 25 000 Kilowattstunden erzeugen. Die Anschaffungskosten sind allerdings nicht billig: Für eine Komplettumrüstung eines Familienhauses seien "mehrere Zehntausend Euro" fällig, so Seim.

Energiewende in Icking: Die Energiegenossenschaft Icking-Isartal haben (v. li.) Karlheinz Seim, Bürgermeisterin Verena Reithmann, Cornelius Chucholowski, Florian Zeitler, Korbinian Osiw, Johannes Voit und Andreas Seebach gegründet.

Die Energiegenossenschaft Icking-Isartal haben (v. li.) Karlheinz Seim, Bürgermeisterin Verena Reithmann, Cornelius Chucholowski, Florian Zeitler, Korbinian Osiw, Johannes Voit und Andreas Seebach gegründet.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Genossenschaft kann auch dort handeln, wo Kommunen die Hände gebunden sind. Deshalb hält Bürgermeisterin Verena Reithmann (UBI) die private Organisation für das "richtige Vehikel, um etwas voranzubringen". Und den Vorsitzenden für einen "Glücksfall". Denn Seim habe vor 20 Jahren mit dem Tennisplatz bereits einen ersten Ickinger Meilenstein gesetzt. Bei ihren eigenen Liegenschaften zeige sich die Gemeinde, die ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern zählt, vorbildlich. Alle seien bereits mit Photovoltaik ausgestattet, so Reithmann. "Aber Privatleute beraten, das können wir nicht."

Die Energiegenossenschaft will aber noch weitere Stufen zünden, wie Andreas Seebach berichtet, einer von fünf Aufsichtsräten. Sie denke an große Batteriespeicher, mit denen im Sommer der Strom für den Winter gesammelt werden kann, ebenso an sogenannte Quartierslösungen für Ortsteile wie Holzen, das noch komplett vom Öl abhängig sei und eine gemeinschaftliche Hackschnitzelanlage betreiben könnte. Es geht der Organisation um nicht weniger als das große Ganze, um Unabhängigkeit und den die Preise diktierenden Energielieferanten. Sie will eines Tages mit ihrem eigenen Strom handeln können. Dazu will sie nicht nur den Mitgliedern den überschüssigen Strom abkaufen, sondern auch eigene Photovoltaikfreiflächen errichten. Icking hat in Walchstadt bereits ein erstes von einem Investor betriebenes Areal, ein zweites ist in Attenhausen in Planung. Sonne im Sommer, Wind im Winter - für die Versorgungssicherheit müsse man viele Sachen mischen, so Seebach. Auch an Windräder denkt er mithin, wobei er jedoch Beteiligungen im Kopf hat und nicht den Bau solcher Anlagen auf Gemeindeflur. Bleibt noch die Frage, wann Icking denn energieautark sein könnte. "Frühestens in fünf Jahren, spätestens in zehn", antwortet Seim. Dann kann eines Tages sogar der gefürchtete Blackout kommen, ohne dass es dem Dorf etwas ausmacht.

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