Tod aus der Kiste und Leben auf dem Koffer: Wie greifbare Symbole prägen Kisten und Koffer die Ausstellung im Erinnerungsort Badehaus. Koffer versinnbildlichen von jeher das Schicksal der Juden über viele Jahrhunderte: verfemt, verjagt und schließlich unterm Hakenkreuz deportiert in Konzentrations- und Vernichtungslager. In hölzernen Kisten wurden die Produkte aus den NS-Rüstungsbetrieben im Wolfratshauser Forst transportiert: Sprengstoffe und Munition, die mit zum millionenfachen Morden der Nazis beitrugen. In einer der Kisten, die im Badehaus am Wolfratshauser Kolpingplatz zu sehen sind, präsentieren die Ausstellungsmacher ein paar ausgetretene Arbeitsschuhe aus den Rüstungsbetrieben, eine zwölf Zentimeter große Wurfgranate und eine Handvoll Munition. In einem der Lederkoffer sind Gebetsriemen und eine Schabbatdecke aus Föhrenwald zu sehen.
Das Badehaus wurde im Oktober als Dokumentationsstätte dreier Epochen deutscher Zeitgeschichte eröffnet. Es war Teil des Lagers Föhrenwald, einer von 1940 an errichteten Siedlung der Nazis für Arbeiter der benachbarten hochproduktiven Rüstungsbetriebe. Aus dem "Männerbrausebad" wurde nach der Befreiung ein Bad für Displaced Persons, die in Föhrenwald eine vorübergehende Heimstatt fanden; im Keller wurde eine Mikwe geschaffen, ein jüdisches Ritualbad. Und als die letzten Juden Föhrenwald verlassen hatten und die katholische Kirche dort kinderreiche katholische Heimatvertriebene ansiedelte und den Ort in "Waldram" umbenannte, wurde der "Badebau" saniert und umgestaltet.
Koffer sind das Symbol jüdischen Schicksals: Im Raum für die DP-Zeit (Displaced Persons) wird das "Schtetl"-Leben dokumentiert.
Aus Föhrenwald wird Waldram, als die Heimatvertriebenen dort angesiedelt werden.
Ihr Symbol ist in der Ausstellung der Leiterwagen.
Das ehemalige jüdische Badehaus am Kolpingplatz.
Die Historikerin und Filmemacherin Sybille Krafft ist der Motor der Erinnerungsarbeit in Wolfratshausen.
Die Mikwe ist baulich nicht mehr vorhanden, dafür zeigt ein Film, was es mit diesem rituellen jüdischen Bad auf sich hat.
Der Todesmarsch der Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau und seinen Außenlagern passierte Wolfratshausen. Überlebende wie der Jazzer Coco Schumann wurden hier befreit und in Föhrenwald aufgenommen.
In einer der Kisten präsentieren die Ausstellungsmacher ein paar ausgetretene Arbeitsschuhe aus den Rüstungsbetrieben, eine zwölf Zentimeter große Wurfgranate und eine Handvoll Munition.
Der Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald hat in den vergangenen sechs Jahren aus dem historischen Bau, den er vor dem Abriss gerettet und dann vom Erzbischöflichen Ordinariat übereignet bekommen hat, eine in ihrer Bedeutung weit über Wolfratshausen ausstrahlende Dokumentationsstätte geschaffen. Wer sie besucht, sollte sich wenigstens eine Stunde Zeit nehmen, um Räume auf sich wirken zu lassen, Fotos und Dokumente zu studieren, Zeitzeugenberichte anzuhören, Ausstellungsstücke und kleine Filme anzuschauen.
Chronologischer Aufbau
Die räumliche Aufteilung im Erdgeschoss des Hauses folgt der Chronologie der Ereignisse. Die NS-Zeit wird beleuchtet, der Todesmarsch der Häftlinge aus dem KZ Dachau, der Föhrenwald passierte, das nicht-jüdische und das jüdische DP-Lager, die Aufnahme der Heimatvertriebenen. Im Untergeschoss ist an der Stelle, wo einst die Mikwe war, ein Film über das rituelle Bad zu sehen. Oben, im wunderbar licht ausgebauten Raum unter dem Dach des spitzgiebeligen Hauses, können sich Besucher schließlich niederlassen. Dort wurde ein "Wald der Erinnerung" geschaffen. Unter stilisierten Bäumen, die für den Föhrenwald stehen, in dem einst alles begann, sind Zeitzeugen-Stationen eingerichtet. Dort kann man sich in einzelne Schicksale vertiefen. In das der jüdischen Zwangsarbeiterin Channa Birnfeld aus Siebenbürgen etwa, die den Todesmarsch aus dem KZ-Außenlager Kaufering überlebte. Oder in jenes von Lea Fleischmann, der später berühmt gewordenen israelischen Schriftstellerin, die als Kind von Überlebenden der Schoah in Föhrenwald aufwuchs. Oder in die Geschichte der Brustmanns, einer rund um Waldram bekannten Musikerfamilie, die ursprünglich aus Südmähren kam und dann in Föhrenwald landete.
Die Geschichte Föhrenwalds beginnt in der NS-Zeit - im Badehaus der erste Raum des Erdgeschosses. Beim Eintreten fällt der Blick auf ein großes Schwarz-Weiß-Bild an der gegenüberliegenden Wand: ein mehrspänniges Spitzgiebelhaus im Tarnanstrich, karge Fläche rundum, ein paar Föhren, drei Beton-Ringe, die aus dem Boden ragen - Einmann-Bunker, wie die Beschriftung erklärt.
Auf einem kleineren Foto sieht man Adolf Hitler, der im Jahr 1939 die Baustelle der Munitionsfabriken im Wolfratshauser Forst besichtigt; daneben ein Bild des damaligen Wolfratshauser Bürgermeisters Heinrich Jost. Er ist nicht nur am Hakenkreuz als Nazi zu identifizieren, sondern - fast grotesk - auch am Hitler-Bärtchen unschwer als Gesinnungsgenosse des "Führers" zu erkennen. Der Raum führt die Entstehung des Lagers Föhrenwald vor Augen, das eigens für Dienstverpflichtete und Zwangsarbeiter der nahe gelegenen Rüstungsbetriebe gebaut wurde. Unaufdringlich, aber unverkennbar machen die ausgewählten Dokumente deutlich, dass dies zwar eine vordergründig geheime Aktion war - die Rüstungsbetriebe sollten als Schokoladenfabrik verschleiert werden -, aber eine ideologisch bestens eingebettete. Ein scheinbar harmloser Film aus den Dreißigerjahren zeigt, wo auch Wolfratshausen in dieser Zeit stand. Der Ort feiert Erntedank. Fröhliche Menschen marschieren in einem Umzug von Weidach ins Ortszentrum - Honoratioren, Hitler-Jugend, mit Hakenkreuzen geschmückte Pferdegespanne, die Blaskapelle, kränzeschwingende Kinder. Schließlich die Ankunft zwischen Humplbräu und Kirche: BDM-Mädchen legen Kränze am Marienbrunnen nieder und salutieren mit dem Hitler-Gruß. Passend, dass dieser Film aus einer der Munitionskisten flimmert.
Gefährliche Zwangsarbeit
Wie hart und gefährlich die Zwangsarbeit war, erfahren Besucher der Ausstellung ganz authentisch an der Videostation, etwa wenn Anna Kubat aus der Ukraine erzählt, wie sie Dynamit in Stearin verpacken mussten: "Wenn das aufgeheizt wurde, ist manchen schlecht geworden." Oder wenn Karl Beichl seinen Vater zitiert, der berichtet habe, wie sich Haut und Haare der Frauen bei der Arbeit mit Schwefel gelb verfärbten - was ihnen den Spitznamen "Kanarienvögel" einbrachte. Und dass der Vater gesagt habe - Beichl warnt den Zuhörer, es komme jetzt "was ganz Schreckliches": Nach gelegentlich vorkommenden versehentlichen Explosionen im Betrieb seien die Überreste dabei Getöteter "mit den Spachteln von der Wand gekratzt worden".
Der in seiner Bedeutung und Wirkung stärkste Raum ist der zweite, in dem Föhrenwald als Lager für jüdische Displaced Persons (DP) dargestellt wird. Dieses Föhrenwald ist international ein Begriff, denn es war das größte und am längsten existierende DP-Camp. Es bestand von 1945 bis 1956, sechs Jahre lang unter jüdischer Selbstverwaltung, schließlich als Regierungslager; hatte zeitweise etwa 5600 Bewohner und wird oft - so auch im Badehaus - als "das letzte Schtetl in Europa" bezeichnet.
Die Ausstellung versteht es, das Leben in so einem Schtetl sichtbar und begreifbar zu machen. Fotos und Dokumente belegen diese Kultur in all ihren Facetten: Geburten und Religion, Bildung und Politik, Freizeit und Unterhaltung, Medizin, Märkte, selbst von der Föhrenwalder Feuerwehr gibt es eine Aufnahme.
Auch hier ist ein kleiner Film zu sehen - diesmal kommt die Projektion aus einem Koffer. "No Place on Earth" ist ein stilles Stimmungsbild des Alltags der Überlebenden der Schoah. Ein Einbeiniger humpelt durch die Szene, Frauen schütten Wischwasser in die Straßenrinne und Asche aus dem Ofen in den Müll, dahinter spielen Kinder auf einer improvisierten Wippe, Wäsche flattert auf offener Straße im Wind, Männer mit Schirmmützen unterhalten sich, ein Rabbiner trägt ein Huhn unterm Arm.
Der Rabbi
Ihm begegnen Badehaus-Besucher wieder, wenn sie an der Videostation Rachel Salamander zuhören. Sie, die damals ein Kind war, spricht vom jüdischen Schtetl Föhrenwald und erinnert sich an den "ehrfurchtgebietenden Rabbiner" - langer Bart, Pelz zu jeder Jahreszeit -, der "ein Stück Schtetl aus dem Osten mitgebracht hatte". Salamander benennt aber auch die unfassbare Situation, in der die Juden sich hier befanden: "Wir kamen von einem Massenmord her und waren im Land derjenigen, die dafür ursächlich verantwortlich waren." Wer dies im Ohr hat, dem klingt eine andere Erinnerung noch nach, wenn er schon im nächsten Raum - dem der Heimatvertriebenen - steht: Icek Surowicz äußert sich zur Auflösung des jüdischen Lagers. Ob sie denn gern gegangen seien, hat ihn die Interviewerin gefragt. Nein, sagt er: "Wir hatten keine andere Wahl."
Und "im Gegenteil", fügt er an: "Wir haben angefragt, ob man Häuser in Föhrenwald kaufen kann." Das aber habe die katholische Kirche, die den Ort inzwischen übernommen hatte, abgelehnt. Wie sehr das Symbol des Koffers doch immer wieder passt.