Ein treuer Gast in Pfisters KKK:Hinreißend

Sigi Zimmerschied 'Der Komparse'

Sigi Zimmerschied ist dem KKK von Anfang an treu.

(Foto: Manfred Neubauer)

Sigi Zimmerschied liest aus seinem ersten Roman: Brachial, poetisch, literarisch, grandios

Von Petra Schneider, Lenggries

Vielleicht ist der Himmel ein Ort, an dem man das Leben so oft wiederholt, bis es klappt. Stephan Fadinger gibt sich Mühe, wirklich, auch wenn die Voraussetzungen nicht die Besten sind: Gezeugt als Faschingsunfall an einem trostlosen Februartag, geboren an Allerheiligen: "Pappnase und Totenlicht, das waren seine Koordinaten", schreibt Sigi Zimmerschied in seinem ersten Roman "Der Komparse", aus dem er am Freitag liest. Die Kindheit seines Protagonisten ist einsam: Abgestellt im Prothesenlager des elterlichen Sanitätshauses, die Mutter kränklich, der Vater abwesend. Stephan Fadinger - ein Name, ein Lebensprogramm.

Am Freitag lernt das Publikum in der ausverkauften Kaminstuben in Lenggries den unscheinbaren Protagonisten kennen. Und was soll man sagen? Der Abend ist ein Ereignis. Denn Zimmerschied liest nicht nur, er lebt in seinem Text, wühlt sich hinein in seine grausam-zärtlichen Bilder, in die monströsen Figuren, die das Leben des Anti-Helden bevölkern. Der Passauer Kabarettist, Autor und Schauspieler habe dem KKK von Anfang an die Treue gehalten, sagt Veranstalterin Sabine Pfister. "Er war der Erste, den wir vor 13 Jahren angerufen haben und der gleich zugesagt hat."

Nun bahnt er sich lesend seinen Weg zur kleinen Bühne, schwarzes Hemd, schwarze Hose, die Brille weit vorne auf der Nase. Mühelos füllt Zimmerschied mit seiner stimmlichen und körperlichen Präsenz den Raum. Und schon ist er da, dieser Stephan Fadinger, dessen größtes Vergnügen es ist, beim Versteckspiel nicht gefunden zu werden. Der hantige Gust, der seinen Hass auf alles Fremde in einen moralischen Imperativ packt: "Braucht ma koana kemma, der wo glaubt, dass er wer is." Der grindige Fredl, der Hygiene für eine amerikanische Erfindung hält. Oder die drei Wimmer-Kinder, die nur der Große, der Mittlere und der Kloane heißen, und die ihre Kindheit in passgenauen Schubladen verbringen müssen, in die der Vater immerhin Luftlöcher gebohrt hat.

Zimmerschied entwirft einen grotesken Figurenkosmos, das Gruselkabinett eines Kindheitsalbtraums, eingesperrt in Schubladen und Prothesenlager einer "Vier-Flüsse-Stadt". Fadinger wird, natürlich, Beamter im Katasteramt. Ein Betriebsausflug hinaus in die Wachau bringt nicht die Welt in Fadingers Leben, sondern transportiert die Enge in die Welt hinaus: Denn alles, was sich geschmacklich zu sehr vom Weißbier entferne, werde vom Bayern als ungenießbar empfunden. Einziges Thema dieses unappetitlichen Betriebsausflugs ist denn auch das Saufen und das Kotzen, das Zimmerschied in aller Drastik beschreibt.

Mit erkennbarem Vergnügen spielt er seinen Text, moduliert Stimme und Tempo, plustert sich auf und schiebt die Ellenbogen nach vorne, oder lässt den Blick lüstern über die Brillenrand und direkt ins Dekolleté von Behörden-Beauty Isabella gleiten. Gibt der Stimme einen herrischen Ton, wenn der Regisseur seinen Komparsen, zu denen irgendwann auch der Fadinger gehört, Anweisungen erteilt. Und wird ganz leise, wenn der junge Fadinger die Mutter tot im Flur findet. Wenn er sich in den Schnee fallen lässt, bis eine Kuhle zurückbleibt und die Schneeflocken an seiner Wange entlanggleiten, wie Tränen.

Zimmerschied, der einem breiten Publikum als Dienststellenleiter Moratschek in den Verfilmungen der Eberhofer-Krimis bekannt sein dürfte, ist eine Urgewalt. Er haut Sätze und Bilder raus, die einen ungemeinen Sog entfalten. Die Zuschauer lassen sich gefangen nehmen, lauschen in der Kaminstube konzentriert und lachen manchmal fast ungläubig über die skurrilen Einfälle. Man möchte Zimmerschied ewig zuhören, der brachial ist und poetisch, grausam und manchmal anrührend zart. Der 65-Jährige ist ein genauer Beobachter, der Metaphern und Aphorismen in diese Tragikomödie packt, die literarische Qualität hat. Der einen Unterschied macht zwischen einer "unerbittlichen Stille" und einer Stille in Folge einer "aktiven Handlung zur Geräuschvermeidung". Und der den linken Kabarettisten auch als Romanautor nicht verleugnet: "Sprache ist das Mittel der herrschende Klasse, um die Massen zu verwirren."

Seine Abrechnung mit der Krassi-Spassi-Medienwelt, in die Fadinger rutscht, ist gnadenlos. Sie findet ihr furioses Finale in einer Doku-Soap ("Ich bin am Ende, holt mich hier raus"), in der mediale und reale Person verschwimmen. Und alle spielen wieder mit: Die drei Wimmer, der hantige Gust. Und der Fadinger, der es ins Rampenlicht geschafft hat, wenigstens zeitweise in dieser schnelllebigen Medienwelt. Er kann verschiedene Rollen spielen und sein Leben so oft wiederholen - klappen will es trotzdem nicht.

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