Süddeutsche Zeitung

Ein Ohr für die Jüngsten:Gefühle, Sorgen und Ängste

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Isabelle Kilian ist Sozialpädagogin an der Grundschule in Schäftlarn und kümmert sich seit sechs Jahren um die Probleme der Kinder. Sie beobachtet, dass die Jugendhilfe zunehmend in den unteren Jahrgangsstufen gefragt ist

Von Katharina Schmid, Schäftlarn

In Isabelle Kilians Büro hängt ein Mobile mit Pappfiguren, sie stellen eine Großfamilie dar. "Damit die Kinder ihre Familie arrangieren können und sehen, dass sich das Gleichgewicht verändert, wenn einer geht", erklärt Kilian denn Zweck des Mobiles. Daneben steht ein Puppenhaus, liegen haufenweise Bücher und Spiele in Regalen, stecken Fingerpuppen auf einem Holzgestell: ein Tiger, ein Schmetterling, eine Maus, ein Fuchs. "Hier können sich die Kinder das Tier aussuchen, in dem sie sich am besten wiederfinden, und dann unterhalten wir uns durch die Tiere." Maus spricht dann also mit Fuchs, erzählt von Gefühlen, Sorgen und Ängsten. Externalisieren heißt diese sozialpädagogische Praxis: Die Kinder verlagern innere Konflikte nach außen, es wird leichter, über Belastendes zu sprechen.

Isabelle Kilian ist seit sechs Jahren als Sozialpädagogin an der Grundschule in Schäftlarn tätig. Sie hat die Jugendsozialarbeit aufgebaut, die nach dreijähriger Pilotphase mittlerweile eine etablierte Einrichtung an der Schäftlarner Schule ist. 25 Stunden pro Woche bietet Kilian Hilfe und Rat für 251 Kinder, Eltern und Lehrer. Wie im Jahresbericht zum Schuljahr 2017/18, den Kilian kürzlich den Gemeinderäten vorstellte, deutlich wird, ist die Anzahl der Schüler, die die Jugendsozialberatung aufgesucht haben zwar im Vergleich zum Vorjahr etwas gesunken, trotzdem "stieg die Anzahl der Gespräche auf ein neues Rekordhoch", heißt es in dem Bericht.

Doch braucht Schäftlarn, geprägt von seinem dörflichen Charakter, überhaupt Sozialarbeit an der Grundschule? "Das Leben geht auch hier nicht vorüber", sagt Kilian auf diese Frage. Auch in einem grundsätzlich ruhigen und behüteten Umfeld müssen Kinder mit Schicksalsschlägen zurechtkommen, trennen sich Eltern, bestehen Unsicherheiten und Ängste, Veranlagungen und Krankheiten, mit denen die betroffen Kinder und die Schule umgehen müssen. Hier versucht Kilian frühzeitig einzugreifen. Ein ganzheitlicher Ansatz ist ihr dabei wichtig: Schule, Familie, Tagesbetreuung - alle Kreise, in denen sich das Kind mit seinen Problemen bewegt, sollen in dessen Lösung eingebunden werden.

Im vergangenen Schuljahr wurden 51 Kinder von der Sozialpädagogin versorgt. Besonders die sogenannte Einzelfallhilfe ist gestiegen. Das lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass Kilian auch vermehrt Gespräche mit Lehrern der niedrigen Jahrgangsstufen führte. "Grundsätzlich scheint es sich zu bewahrheiten, dass sich der Beratungsbedarf zunehmend weiter nach unten verlagert", schreibt Kilian in ihrem Bericht. Sie sieht darin eine gute Entwicklung, da nur so ein rechtzeitiges Reagieren auf die Probleme der Schüler möglich sei: "Je eher man anfängt, desto weniger Verhaltensmuster manifestieren sich." Die 53-Jährige ist überzeugt, dass für jedes Problem Lösungen zu finden seien, Lösungen, die mit veränderten Lebenssituationen eben manchmal neu definiert werden müssten.

Kilian hat Sozialpädagogik studiert, war fünf Jahre in einer heilpädagogischen Tagesstätte und 15 Jahre an einer Realschule und einem Gymnasium als Sozialpädagogin tätig, bevor sie vor sechs Jahren nach Schäftlarn kam. Die Münchnerin ist überzeugt: "Die Jugendhilfe verlagert sich immer mehr in die Schulen." Dies liege am Wandel in der Gesellschaft, etwa an der Berufstätigkeit beider Eltern.

Neben den Gesprächen mit Kindern, Eltern und Lehrern bietet Kilian verschiedene Projekte an. Zehn Schülerstreitschlichter sind unter ihrer Ägide an der Schäftlarner Grundschule derzeit unterwegs. Sie bietet Sozialkompetenztraining, fördert im Programm "Aufgschaut" Selbstbehauptung und Zivilcourage der Schüler, bietet Konzentrationstrainings und Life Kinetik, ein spielerisches Bewegungstraining, an. Vor allem Letzteres eigne sich besonders gut, um ein Kennenlernen der Kinder auszubauen und ausländische Schüler oder Inklusionskinder gut in die Schulgemeinschaft zu integrieren.

Isabelle Kilian sieht die Jugendarbeit an Schulen als ein wesentliches Element der Jugendhilfe. "Gerade an den Grundschulen kann eine sehr frühzeitige Hilfe stattfinden, was mitunter einen langen Leidensweg vermeidet, der zudem in späteren Jahren viel schwieriger zu unterbrechen ist."

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Quelle:
SZ vom 22.01.2019
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