Ein-Mann-Theater in der Waldkirche:Gut und Böse kennen keine Nationalität

Ein-Mann-Theater in der Waldkirche: "Das waren große Zeiten für Menschen mit wenig Anstand": Peter Mitterrutzner bei seinem beeindruckenden Auftritt in der Waldkirche.

"Das waren große Zeiten für Menschen mit wenig Anstand": Peter Mitterrutzner bei seinem beeindruckenden Auftritt in der Waldkirche.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Peter Mitterrutzner lässt in Lenggries den Südtiroler Freiheitskampf lebendig werden

Von Petra Schneider, Lenggries

Nach dem 18-Uhr-Läuten setzt in der evangelischen Waldkirche in Lenggries unvermittelt melancholische Musik vom Band ein. Peter Mitterrutzner betritt die Bühne: Bart, Brille, Wollmütze, Schal, Weste. Ein alter Mann vor einer Staffelei, der die Ereignisse seines Lebens Revue passieren lässt. "Mein Freund Aurelio" heißt der gut einstündige Monolog, den der Förderverein Jugend- und Seniorentreff, der Sozialverband VdK Lenggries und die evangelische Kirchengemeinde organisiert haben. Etwa 30 Zuschauer sind am Sonntagabend gekommen, die in der intimen Atmosphäre der kleinen Waldkirche einen beeindruckenden Schauspieler und einen intensiven Theaterabend erleben.

Thema des Stückes von Barbara Plagg ist der Südtiroler Freiheitskampf der Sechzigerjahre. Der Plot basiert auf einer wahren Geschichte. Der 79-jährige Schauspieler Mitterrutzner, der aus Film und Fernsehen bekannt ist und dem Münchner Volkstheater angehört, hat sich intensiv mit dem Stück auseinandergesetzt und lässt eigene Erfahrungen einfließen. Es ist eine exemplarische Geschichte über Freundschaft und Verrat, Nationalismus und Heimat, Gewalt und Terror und ein eindringliches Plädoyer für Menschlichkeit.

Der Protagonist Hans ist ein unpolitischer Mensch, ein Kunstmaler und Illustrator. Er liebt seine Heimat Südtirol, die Berge, die Menschen - und muss sie als Fahnenflüchtiger verlassen. Er wird von den Italienern verhört, von seinem besten Freund Aurelio bespitzelt und erkennt die verworrenen Zusammenhänge erst am Ende: Dass ihn Aurelio verraten und gleichzeitig geschützt hat. Dass sein Jugendfreund Bernhard Mitglied der Separatisten war und an den Folgen der Folter in einem italienischen Gefängnis starb. Dass sein eigenes Leben als Protokoll in irgendwelchen Akten vermerkt ist. Und dass die Erinnerung genauso trügerisch ist wie die Deutungshoheit der jeweils Mächtigen. Feind oder Held? Katastrophe oder Komödie? "Für das Schlechte gibt es keine Nationalität", sagt Hans. "Für das Gute auch nicht."

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie nahm das bis heute ungelöste Südtirol-Problem seinen Anfang. Im Pariser Vertrag von 1946 zwischen Italien und Österreich sicherte man den Südtirolern eine gewisse Autonomie zu, die Assimilierungspolitik des faschistischen Italien wurde dennoch mit subtilen Mitteln fortgesetzt.

Ende der Fünfzigerjahre formierten sich Widerstandsgruppen, deren Aktionen 1961 in der "Feuernacht" gipfelten. Separatisten verübten Anschläge auf Hochspannungsleitungen, um die Industrieregion Bozen lahmzulegen. Es kam zu Verhaftungen, Verhören und Folterungen durch die italienische Polizei. Soweit der historische Hintergrund des Stücks.

"Das waren große Zeiten damals für Menschen mit wenig Anstand", sagt Hans. Mitterrutzner erzählt die persönliche Geschichte der Figur, die eng mit der politischen verknüpft ist, in der Rückschau. Gedankenverloren steht er vor der Staffelei und zeichnet. Erinnert sich mit leuchtenden Augen an schöne Erlebnisse, geht gebeugt, wenn ihn die schrecklichen Bilder einholen, zieht die Stirn in Falten, um sich zu erinnern. "Aurelio mochte Spaghetti Carbonara, ich Knödel mit Kraut. Er malte das Meer, ich die Berge." Die Unterschiede führen auf politischer Ebene zu jahrzehntelangen Spannungen und Terror, spielen aber auf der zwischenmenschlichen keine Rolle.

Peter Mitterrutzner gelingt eine beeindruckende Darstellung. Seine Südtiroler Sprachfärbung ist dezent herauszuhören, zudem tragen die italienischen Passagen im Monolog zur Authentizität bei. Da steht einer und erzählt von seinem Leben, ein einfacher, alter Mann. Schlicht und ohne falsches Pathos, aber mit großartiger Präsenz.

Stecknadelstill ist es in der kleinen Waldkirche. Als der Schauspieler schließlich die Bühne verlässt, müssen sich die Zuschauer erst einen Moment fassen, dann gibt es großen Applaus.

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