Ein Lehrstück über das Mitläufertum:Max Rill: ein Drama

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Nikolaus Frei, Theaterpädagoge in Reichersbeuern, beleuchtet die zwiespältige Strategie des Schulgründers unter dem Nazi-Regime

Von Klaus Schieder, Reichersbeuern

Es muss eine bizarre Szenerie in der Junkerschule in Bad Tölz gewesen sein. Fünf Monate vor Kriegsende saßen junge SS-Offiziersanwärter dort neben Schülerinnen der privaten Mädchenschule von Max Rill, gemeinsam sahen sie sich das Theaterstück "Iphigenie auf Tauris" von Johann Wolfgang von Goethe an. Draußen ging das millionenfache Sterben in den Konzentrationslagern und auf den Schlachtfeldern in ein grausiges Finale, aber in der großen Kaserne folgte der Nachwuchs einer Massenmörder-Organisation zusammen mit Internatsmädchen einem Werk, das in der deutschen Literatur für Humanismus und Toleranz steht. "Ein Zerrbild", sagt Regisseur Nikolaus Frei. "Eine mephistophelische Fratze."

Ganz bewusst beginnt sein Drama "Der Max Rill Prozess oder Über die Erziehung in Zeiten der Tyrannei", das er zum 80-jährigen Bestehen der Max-Rill-Schule auf Schloss Reichersbeuern verfasst hat, mit dem Monolog am Anfang der "Iphigenie", mit jenem "Heraus in eure Schatten, rege Wipfel". Zusammen mit dem Historiker Georg Kwossek, seinem ehemaligen Geschichtslehrer am Münchner Luise-Schröder-Gymnasium, hat er sich in die Schatten der Vergangenheit begeben, dicke Aktenordner im Schularchiv durchforstet und ein sachlich-nüchternes Verhandlungsdrama im Stile von "In der Sache J. Robert Oppenheimer" von Heinar Kipphardt verfasst. Der Angeklagte: Max Rill.

Im Entnazifizierungsverfahren bereits als bloßer Mitläufer eingestuft und freigelassen, hatte sich der 1898 geborene Pädagoge nach einer anonymen Anzeige noch einmal vor Gericht verantworten müssen. Aus Protokollen, Briefen und anderen Originaldokumenten zeichnet Frei diese Verhandlung nach. Welches Urteil würde er selbst am Ende über den Schulgründer fällen? Rill sei ein Musterbeispiel für jemanden, der vor der Gewalt und der Bedingungslosigkeit kapituliert hat, die von den Nazis aufgebaut wurden, sagt der Regisseur. "Ich glaube, dass sie damals mit 'Mitläufer' ziemlich richtig lagen."

Die Ambivalenz zwischen bemerkenswerter Anpassungsfähigkeit an die NS-Diktatur und innerer Distanziertheit durchzieht das Leben von Max Rill unter dem Nazi-Regime. Damit ist er ein prototypischer Vertreter des deutschen Bürgertums, das sich seit dem 19. Jahrhundert als unpolitisch verstand und unter den Nazis kläglich versagte. Als Rechtskonservativer gehört er von 1919 bis 1921 einem Münchner Freikorps an, wendet sich dann von diesen Kreisen ab und kommt im Verband der reformpädagogisch orientierten Hermann-Lietz-Schulen beruflich rasch voran. 1936 eröffnet er ein Landerziehungsheim für Mädchen in Ambach und zieht damit zwei Jahre später nach Reichersbeuern um, wo er schließlich doch in die NSDAP eintritt. Das nützt ihm, denn private Schulen werden vom Kultusministerium argwöhnisch beäugt. "Er ficht einen typischen Kampf innerhalb des Systems", sagt Frei.

Gehörte zu den Schülerinnen von Max Rills Mädchenschule: Heinrich Himmlers Tochter Gudrun. (Foto: AP)

Ohne Bedenken nutzt Rill unter anderem den Umstand aus, dass Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und verantwortlich für den Holocaust, seine Tochter Gudrun von 1941 an die Mädchenschule in Reichersbeuern schickt, ebenso zwei seiner Nichten. Auch andere Töchter von hohen SS-Chargen, die am Tegernsee wohnten, gingen in die Mädchenschule. Die Atmosphäre im Internat war deshalb alles andere als entspannt, wie eine Zeitzeugin schrieb: "Die haben natürlich jeden Tag zuhause berichtet, was sie hier gesehen haben. Und da hatten wir wirklich alle Angst!"

Auf der anderen Seite verwendet Rill den Besuch dieser Schülerinnen als eine Art Schutzschild gegen den HJ-Obergebietsführer Emil Klein. Dieser unangenehme Vertreter des Kultusministeriums war als hundertprozentiger Nazi gefürchtet ob seiner Inspektionsreisen, nach denen er skrupellos Schuldirektoren und Lehrkräfte vernichtete. Max Rill lässt Himmler also eine Denkschrift zukommen, worin er auf die Gemeinsamkeiten zwischen seiner Reformschule und der nationalsozialistischen Pädagogik hinweist, ebenso auf die Folgen, die eine Schließung seiner Schule für die Kinder der SS-Offiziere hätte. Außerdem schickt er noch drei Berichte an den SD, den Geheimdienst der SS. Damit hat er Erfolg.

Theaterpädagoge Nikolaus Frei hat die Geschichte Max Rills (Porträt im Hintergrund neben seiner Frau Gustl) erforscht und ein Gerichtsdrama verfasst. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bis zum Kriegsende leitet er seine Schule, auch wenn sie am Ende doch in eine "Deutsche Heimschule" umgewandelt wird. Strammer Nazi nach außen, eher Humanist nach innen - diese Zwiespältigkeit von Rill zeigt sich in den Protokollen der Gerichtsverhandlung mehrmals. Er lässt es zu, dass seine Schülerinnen einen Tanzkurs mit künftigen SS-Offizieren an der Junkerschule absolvieren, zugleich gibt er "Mischlingen zweiten Grades", also Kindern mit einer jüdischen Großmutter oder Großvater, einen geschützten Raum an seiner Schule. Er verfasst Schreiben im nationalsozialistischen Sprachgebrauch, aber im Unterricht in Reichersbeuern wird Zeitzeugen zufolge nicht indoktriniert. Rassenideologie steht nicht auf dem Lehrplan. Auf den Gängen im Schloss wird mit "Grüß Gott" oder "Guten Tag" gegrüßt, nicht mit "Heil Hitler".

In der verschatteten Aula der Max-Rill-Schule stehen die Zuschauerstühle auf den Stufen der Bühne. Sie umringen den Schauplatz der Verhandlung. Diese Anordnung sei gut für "das Ermittelnde, das Investigative", sagt Regisseur Frei. Das Ensemble besteht aus zwölf Darstellern: Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern, auch zwei Ehemaligen. Die beiden spielen den Staatsanwalt und den Richter. Ihre Rollen hat Frei geschärft und sie quasi als Antipoden seiner Hauptfigur Max Rill angelegt. "Ich brauchte Gegenspieler", sagt er. Im wirklichen Prozess war der Staatsanwalt laut Frei alles andere als ein scharfer Ankläger.

Für den Regisseur ist der Stoff auch 80 Jahre später noch zeitgemäß. "Wir leben wieder in einem unpolitischen Zeitalter, wir erleben eine große Politikverdrossenheit", sagt Frei. In der Aufführung seines Stücks gehe es deshalb in erster Linie nicht darum, ein Theaterfeuerwerk abzubrennen, auch wenn auf der Bühne "natürlich Zug dahinter" sein müsse. Wichtig sei ihm, die Zuschauer mitzunehmen, damit sie sich selbst hinterfragen und sich über ihre eigene Haltung klar werden. Angesichts der "Schreihälse vom rechten Rand", die sich jetzt in der Politik durchsetzen wollen, müsse man "sensibilisieren, wohin das führt", sagt der Regisseur.

Die Folgen der Nazi-Diktatur hat er auch jungen Schauspielern in seinem Ensemble vor Augen geführt. Einige meinten anfangs, Max Rill habe sich doch richtig verhalten, als er sich an das Regime anpasste, um seine Schule zu retten. Aber hinter allem Mitläufertum, sagt Frei, "stehen eben mehr als 50 Millionen Tote".

Premiere am Dienstag, 24. Juli, 19 Uhr, in der Aula des Max-Rill-Gymnasiums. Weitere Aufführungen folgen am Donnerstag, 26. Juli, 19 Uhr, mit anschließender Podiumsdiskussion, und Freitag, 27. Juli, 18 Uhr. Das Buch mit Theaterstück und Studie von Nikolaus Frei und Georg Kwossek ist von Freitag, 20. Juli, an in den Buchhandlungen Rupprecht und Winzerer, der Tourist-Info im Stadtmuseum und im Stadtarchiv in Bad Tölz erhältlich (10 Euro).

© SZ vom 19.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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