Süddeutsche Zeitung

Ein Geretsrieder beim Münchner Starkbieranstich:"Mein ganzer Kopf ist Nockherberg"

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Musikschullehrer Tobias Weber schreibt die Musik zum Singspiel des populären Politiker-Derbleckens. Er kam über ein Engagement am Münchner "Resi" zur Theatermusik.

Von Petra Schneider, Geretsried

Die Jacke hat Tobias Weber noch gar nicht ausgezogen, da sprudelt er schon los. Der Schlagzeuger für das Singspiel auf dem Nockherberg sei vor ein paar Tagen mit dem Rad gestürzt und habe sich an der Hand verletzt. Ein Ersatz ist gefunden. Sehr schade sei das trotzdem, weil man seit Jahren wunderbar zusammengearbeitet habe. Schade, aber keine Katastrophe, Weber haut so etwas nicht um. Andere wären kurz vor der Premiere vermutlich nicht mehr so locker: Am 28. Februar ist Starkbieranstich auf dem Nockherberg und Weber, Lehrer an der Geretsrieder Musikschule und Theatermusikkomponist, schreibt die Musik für das Singspiel.

Dann werden vermutlich wieder um die 2,8 Millionen Leute zuschauen und sich eine Meinung bilden, ob die Mama Bavaria und das Singspiel zu brav, zu scharf oder genau richtig bissig waren. Druck verspüre er nicht, sagt Weber, eher eine "freudige Erregtheit". Nach fünf Jahren gibt es heuer einen Wechsel bei den Singspiel-Machern, weil das kongeniale Gespann Rosenmüller-Baumann-Lienenlüke aus Zeitgründen abgesagt hat. Einige Bewerber für die Nachfolge gab es, Paulaner entschied sich für Richard Oehmann, einen der Väter von "Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater", der bereits im Vorjahr als Co-Autor mitschrieb. Und für Stefan Betz, Regisseur und Drehbuchautor unter anderem für den Heimatkrimi "Grießnockerlaffäre". Die beiden sind für die Texte und die Inszenierung zuständig, Weber für die Musik. Seit seiner Jugend ist er mit Oehmann befreundet, es gibt viele gemeinsame Projekte, eine Zusammenarbeit beim Singspiel lag nahe.

"Mein ganzer Kopf ist Nockherberg", sagt der 49-Jährige, der am Richard-Strauss-Konservatorium Gitarre und Bratsche studiert hat. Seit November geistern Melodien durch seine Gedanken, Dialekt und Sprechduktus der Politiker, Stimmhöhe und gesangliche Möglichkeiten der Schauspieler. Weber schneidet die Musik genau auf sie zu. "Viele können gar keine Noten", sagt er. "Wir unterhalten uns, ich spiele die Lieder vor und wir überlegen, wie es für sie am besten passt." Stephan Zinner, bewährtes Söder-Double, sei ein super Sänger. "Da weiß ich dann, a-Moll, das ist für ihn richtig." Jetzt ist es passiert, ein Name ist gefallen - obwohl Handlung und Personal des Singspiels streng geheim sind. "Ich darf nichts verraten, sonst werd ich an der höchsten Rahe aufgeknöpft." Weber lacht. Dann murmelt er etwas von "skurrilem Humor" und einem "spektakulären Bühnenbild". Über die besetzten Politiker-Figuren rückt er nichts raus. Das ist auf dem Nockherberg freilich die entscheidende Frage: Wer ist wichtig genug, dass er derbleckt wird? "Es gibt Figuren, die erstaunlicherweise nicht dabei sind", sagt er vage. Und die Musik? "Wir wollten diesmal nur Hits schreiben." Er lacht. Viele Lieder, viele Massenszenen, zum Schluss das obligatorische Prosit. Es gebe Rituale, eine gewisse "Nockherbergigkeit", aber Paulaner mische sich nicht ein. "Die künstlerische Freiheit ist da."

Weber - rote Wollmütze, schwarze Brille - füllt den kleinen Raum der Geretsrieder Musikschule mit seiner überbordenden Energie. Wenn er lacht, und das tut er oft, dann schallend laut. Raum Nummer sieben ist an zwei Tagen in der Woche sein Arbeitsplatz - seit knapp 25 Jahren unterrichtet er dort E-Gitarre. Der gebürtige Münchner spielte nach dem Studium in verschiedenen Ensembles vor allem Alte und zeitgenössische Musik. Orchestermusiker wollte er nicht werden, wohin der berufliche Weg gehen sollte, war nicht recht klar. Ein Engagement am Residenztheater 1998 zeigte die Richtung: "The Black Rider", eine moderne Version des "Freischütz" zur Musik von Tom Waits, Weber an der E-Gitarre, an Banjo, Mandoline, singender Säge. Ab da stand für ihn fest: "Theatermusik ist mein Weg."

Weber hat viele Projekte. "Café Unterzucker" mit Oehmann - flotte Musik und witzige Texte für "humorbegabte Familien", die dritte CD ist in Arbeit. Oder das Berliner Theaterprojekt "Nico and the Navigators", mit dem er seit 2013 arbeitet. Im Januar sind sie in der Hamburger Elbphilharmonie aufgetreten. Ein Schubert-Abend mit Performance und Tanz, Weber hat den Liederzyklus orchestriert. Die Erfolge der vergangenen Jahren hätten ihn selbstbewusst gemacht, "da kann man schon ein bisschen auf sich vertrauen".

Respekt vor den großen Fußstapfen seiner Vorgänger am Nockherberg? "Nein", sagt er, "wir sind ja hier nicht im Sport." Es gehe nicht ums Toppen, "wir machen es auf unsere Weise". Die Szenen würden gemeinsam erarbeitet, "nichts ist in Stein gemeißelt". Flexibilität ist ohnehin gefragt beim Singspiel, damit politische Entwicklungen kurzfristig eingearbeitet werden können. Auch ein langer Vorlauf ist nicht drin - Weber hat im Dezember angefangen, zuerst "ins Leere" komponiert, weil die Texte noch nicht da waren. Sein Vorgänger Gerd Baumann, mit dem er befreundet ist, hat ihn einen "Streber" genannt, weil er schon im Januar ziemlich weit war. Anfang Februar beginnen die Leseproben, erst zwei Wochen vor der Premiere wird auf dem Nockherberg geprobt. Darauf freue er sich sehr, sagt Weber: "Das ist wie ein Schiff, das in See sticht." Beim Singspiel wird er mit seiner E-Gitarre Teil der achtköpfigen Band sein. "Ich würde sterben, wenn ich im Publikum sitzen müsste und nicht wenigstens die Illusion einer Einflussnahme hätte." Am 28. Februar muss alles passen, eine zweite Chance gibt es nicht. Für Weber macht das den besonderen "Zauber des Nockherbergs" aus: Ein Stück, das es live nur an einem einzigen Abend gibt. "Das ist jeden Aufwand wert."

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SZ vom 10.02.2018
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