Ehrenbürger-Debatte:Die Meister des Vergessens

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Ein Ehrenmann, der in Icking nicht Ehrenbürger sein darf: Gerhard Jakobi. (Foto: Hartmut Pöstges)

Wie Icking mit einem ehrenwerten Mann umspringt

Von Felicitas Amler, Icking

Das Schlimmste am Umgang mit deutscher Zeitgeschichte war in vielen Kommunen jahre-, oft jahrzehntelang das Verdrängen und Vergessen. Geradezu paradox ist daher, was sich soeben in Icking abgespielt hat. Dort hat ein ganzer Gemeinderat samt dem örtlichen Archivar vergessen, dass er sich von einer besonderen braunen Last befreit hatte. Dabei ist das noch gar nicht so lange her. Im Jahr 2014, als Dietramszell es zunächst so penetrant abgelehnt hatte, sich vom Nazi-Steigbügelhalter Paul von Hindenburg zu distanzieren, entledigte sich Icking mit einem eindeutigen, einstimmigen Beschluss der Ehrenbürgerschaften eines Hitler, eines Hindenburgs, eines NS-Reichsstatthalters Franz von Epp und eines NSDAP-Gauleiters Adolf Wagner.

Die Ickinger Ehrenbürgerliste ist mithin seit sechs Jahren leer. Ein guter Ausgangspunkt, um neu zu beginnen. Und was wäre da für eine demokratische, aufgeklärte Gemeinde ehrenwerter, als einem Ur-Sozialdemokraten die höchste Auszeichnung zu verleihen - und sich damit selbst zu schmücken. Gerhard Jakobi hätte es werden können. Und nach dem Willen seiner Genossen werden sollen.

Der 85-jährige Ingenieur, der seit mehr als vierzig Jahren in Icking lebt, hat diese Gemeinde maßgeblich mitgeprägt. Er war von 1984 bis 1998 im Gemeinderat aktiv; er hatte diverse Ämter im SPD-Vorstand und hat sich stets für Naturschutz, Ortsgestaltung und Soziales engagiert. "Menschliches Bauen" habe ihm am Herzen gelegen, sagt er selbst, ist stolz, am Einheimischenmodell mitgewirkt zu haben, und enttäuscht, dass Icking in all den Jahrzehnten keine gemeindeeigene Wohnung gebaut hat. "Das soziale Engagement ist mir zu dürftig", sagt Jakobi einerseits über die reale Ickinger Politik. Andererseits stellt er fest: "In der Bürgerschaft gibt es ganz viel Hilfsbereitschaft." Das habe sich am ehrenamtlichen Second-Hand-Markt genauso gezeigt wie an der Flüchtlingshilfe.

Jakobi ist zudem, wie er selbst formuliert, "der letzte noch lebende Gründer des SPD-Ortsvereins Icking". Wie plausibel wäre es gewesen, wenn dieser Mann just zum Jubiläum der am 15. November 1970 entstandenen Ickinger SPD Ickinger Ehrenbürger geworden wäre.

"Unselige Tradition"

Doch da war das Vergessen im Weg. Gemeindearchivar Peter Schweiger warnte die SPD und den Gemeinderat, dem er selbst für die PWG angehört: Würde man Jakobi zum Ehrenbürger machen, so stünde dies in einer "unseligen Tradition", da ja auch einer wie der ausgewiesene Nazi Ritter von Epp formal noch immer Ehrenbürger der Gemeinde sei. Widerspruch aus den Reihen des Gemeinderats? Nein! Allesamt, auch jene, die sich seinerzeit von eben dieser unseligen Vergangenheit gelöst hatten, haben genau dies offenbar vergessen. Erst auf Nachfragen der SZ und nachträglicher Klärung durch Bürgermeisterin Verena Reithmann (UBI) ist klar: Icking hat überhaupt keine Ehrenbürger mehr.

Ein unfassbarer Vorgang. Schweiger sagt, er sei "platt", könne sich nicht erinnern an die Abstimmung 2014. "Ich war der festen Überzeugung, dass wir nur dem Hindenburg die Ehrenbürgerschaft entzogen haben." Seiner Ansicht nach hat sich die ganz Sache nunmehr aber erledigt. "Ich glaube kaum, dass man jetzt noch mal mit der Ehrenbürgerschaft loslegen kann." Denn im Gemeinderat wurde ja am Montag zweimal Nein zu Gerhard Jakobi gesagt: Erst verweigerte man ihm eine Ehrenbürgerschaft, dann auch noch eine Bürgermedaille - für die Schweiger übrigens gewesen wäre.

Doch des Vergessens noch nicht genug. Aufgerüttelt durch den aktuellen Vorgang hat Peter Schweiger am Freitag dann doch noch einmal im Gemeindearchiv nachgesehen. Und entdeckt: Adolf Hitler und Adolf Wagner waren, anders als Hindenburg und Epp, nie Ickinger Ehrenbürger. Man hätte sich 2014 nicht von ihnen zu distanzieren brauchen.

Ein irres Ding. Beschämend für die Gemeinde. Und wie verletzend muss es für jenen Mann sein, der doch eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte. "Es zeigt, was mein Lebenswerk wert ist", sagt Gerhard Jakobi. Ob dieser fahrlässig schusselige Gemeinderat auch das einfach vergessen möchte?

© SZ vom 31.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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