Ehrenamt:Erste Hilfe für die Seele

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Der Kriseninterventionsdienst im Landkreis kommt mittlerweile schon seit 20 Jahren, wenn Menschen sterben. Ohne Helfer wie Gabriele Männer und Stephan Nagel wäre der Dienst undenkbar.

Von Julian Erbersdobler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Manche Bilder wird Gabriele Männer nicht mehr los. Da gibt es diesen bildhübschen jungen Mann mit den Tannennadeln im Haar. Er ist gegen einen Baum gefahren und noch am Unfallort verstorben. Es ist eines dieser Szenarien, wenn Gabriele Männer und ihre Kollegen vom Kriseninterventionsdienst (KID) des Roten Kreuzes gerufen werden. "Wir kommen in Situationen, die in keinster Weise erfreulich sind", sagt die Reichersbeuerin über ihr Ehrenamt.

Die Freundin und der Bruder des Verstorbenen seien auch am Ort gewesen, erinnert sich Männer. "Ich habe sie überzeugen können, dass sie den Toten noch mal sehen und Abschied nehmen können." Danach verging etwas Zeit, bis die ehrenamtliche Helferin einen Brief bekam. Er kam von den Eltern der jungen Frau, die ihren Freund verloren hatte. "Sie haben sich bei mir bedankt und auch Geld gespendet." Den Brief hat Gabriele Männer immer noch. "Unser Lohn ist die unendliche Dankbarkeit der Menschen", sagt sie. Die 64-Jährige ist seit 2008 für den KID im Einsatz.

Damals las sie einen Artikel zum Thema in der Zeitung. Sie habe nicht lange überlegt, erzählt Männer, die sich als absolute "Quereinsteigerin" bezeichnet. Sie hat mehrere Jahre in einer Steuerkanzlei gearbeitet. Bei Stephan Nagel, 49, ist das anders. Er kommt aus dem sozialen Bereich, ist bei der Caritas angestellt und arbeitet als Rettungssanitäter. Beim Kriseninterventionsdienst engagiert er sich seit fünf Jahren.

Immer mit dabei: ein Rucksack mit Taschentüchern, Handschuhen, Spielzeug, Malbuch, Stiften, Taschenlampe, Kreuz, Kerze und ein Teddybär

"Ich mach das auch für meine beiden Kinder", sagt er. Früher oder später würden auch sie in Situationen kommen, die mit dem Tod zu tun haben. Deshalb spricht Stephan Nagel nicht nur mit seiner Frau über die Einsätze, sondern auch mit dem Nachwuchs - so weit es eben geht. Genau wie Gabriele Männer hat auch er eine umfangreiche Ausbildung gemacht. Dazu gehört unter anderem eine Hospitanz bei erfahrenen KID-Helfern.

Wenn Stephan Nagel gerufen wird, dann meldet sich meistens die Polizei oder der Rettungsdienst bei ihm. Dann setzt er sich in seinen Privatwagen und fährt zum Einsatzort. Was ihn genau erwartet, weiß er nicht. Immer mit dabei: ein Rucksack mit Taschentüchern, Handschuhen, Spielzeug, Malbuch, Stiften, Taschenlampe, Kreuz, Kerze und ein Teddybär. "Wir versuchen die Menschen zurück ins Leben zu holen", sagt Nagel. Manchmal heißt das auch, dass der Betroffene sich wieder selbst ein Glas Wasser einschenkt oder einen Verwandten anruft. "Wir können den Menschen das nicht abnehmen."

Manchmal kommt es aber auch vor, dass Stephan Nagel wieder weggeschickt wird. Auch das sei vollkommen in Ordnung, sagt er. Seine Kollegin Gabriele Männer setzt bei ihren Einsätzen auf unterschiedliche Methoden. "Manchmal hilft es, ein Fotoalbum anzuschauen." In anderen Fällen zündet sie eine Kerze an. "Auch Haustiere können ein Türöffner sein", erzählt die Reichersbeuerin. Gleiches gelte für ihren bayerischen Dialekt. Gabriele Männer spricht immer von Angeboten, die sie den Betroffenen macht. Manchmal legt sie ihre Hand auf den Tisch, falls Nähe gesucht wird.

"Manchmal kämpft man mit den Tränen", sagt Gabriele Männer. "Aber es geht nicht um uns."

"Es gibt nichts Heftigeres wie den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen." Das müsse man sich bei der Arbeit immer vor Augen halten. Am schlimmsten sei es, wenn geschwiegen wird, sagt sie. Wenn Gabriele Männer nach einem Einsatz nach Hause kommt, braucht sie drei Dinge: Wärme, ihre beiden Katzen und etwas zu Essen. Einmal war sie ganze acht Stunden unterwegs. Sie wollte eine Betroffene nicht mit der Leiche ihres Mannes alleine im Haus lassen und blieb über Nacht. Das Ehrenamt verändere nicht nur den Blick aufs Leben, sondern auch auf den Tod, so Männer. "Ich habe überhaupt keine Angst vor dem Sterben."

Im Landkreis gibt es den Kriseninterventionsdienst seit 1998. Neben Gabriele Männer und Stephan Nagel gehören noch etwa 20 andere dazu. Meistens sind die Mitarbeiter im Zweierteam unterwegs, manchmal aber auch alleine. Eine Schicht geht 24 Stunden. Weil aber nicht jede Schicht besetzt werden kann, müssen auch mal die Kollegen in den Nachbarlandkreisen aushelfen. "Wir haben ein Nachwuchsproblem", sagt Gabriele Männer. Ein anderes Thema sei die Mobilität. Weil es keine Einsatzfahrzeuge gibt, fahren die Helfer immer mit ihren Privatwägen zu den Einsätzen, Stau und Parkplatzsuche inklusive. "Wir müssen so schnell wie möglich vor Ort sein, was aber manchmal extrem schwierig ist."

Wie es mit den Betroffenen weitergeht, erfahren die Mitarbeiter des KID meistens nicht. Und das ist auch so gewollt. Ihre Hilfe beschränkt sich in erster Linie auf den einmaligen Kontakt. Es kommt auch vor, dass Gabriele Männer und Stephan Nagel Polizisten beim Überbringen der Todesnachricht begleiten. "Manchmal kämpft man mit den Tränen", sagt Männer. "Aber es geht nicht um uns."

© SZ vom 04.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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