Ehrenamt:Ein Teller Suppe und ein gutes Wort

Hier geht es nicht nur ums Essen: Wie sich ein Team von Ehrenamtlichen in Wolfratshausen und Geretsried um Bedürftige kümmert.

Barbara Szymanski

Frau Schott lächelt. Ihr Leben lang hat die 73-jährige Waldramer Witwe anderen gedient. Nun wird sie selbst bedient. Zumindest einmal in der Woche, am Samstag. Gegen 18 Uhr klingelt Erika Schywalski vom Team der "Wolfratshauser-Geretsrieder Suppenküche" an ihrer Haustüre. In der einen Hand die noch lauwarme, frisch gekochte kräftige Knochensuppe mit buntem Gemüse und Fleischbällchen nach rumänischer Art. In der anderen Hand Obst und Gemüse. Es bleibt nicht beim Abgeben.

Ehrenamt: Schnippseln für Bedürftige: Suppenküchen-Initiator Hartmut Schadt.

Schnippseln für Bedürftige: Suppenküchen-Initiator Hartmut Schadt.

(Foto: region.wor)

Denn das bislang elfköpfige Vereinsteam - einige haben schon Erfahrung bei der "Tafel" gesammelt - bietet mehr: Einen Teller Suppe und ein gutes Wort. Das ist das Motto. Und deswegen lächelt Anna Maria Schott. Sie kann ein bißchen erzählen von ihrer mehrfach schwerstbehinderten Tochter, die in einem Pflegeheim lebt und die sie so oft besucht, wie es die Gesundheit zulässt. Von ihrem Mann, ihren Großeltern und der Großtante, die sie gepflegt hat bis zum Ende.

Zwischendurch hat sie noch hart gearbeitet, im Akkord. Nun lebt sie allein in einem Siedlungshäuschen in Waldram, kämpft selber gegen Krankheiten. Die Rente ist knapp. Doch das Lächeln erlischt nicht, wenn sie sich erinnert.

Woher die zerbrechlich wirkende kleine Frau nur die Kraft nimmt, geht einem durch den Kopf. Denn Anna Maria Schott hat einen Lebenslauf wie manche andere ältere Menschen in Waldram oder Geretsried: die Mutter in einem russischen Lager bis 1945, der Vater lange in Gefangenschaft, Ausweisung mit dem letzten Vertriebenentransport gen Westen. Da war sie sieben Jahre. "Wenn ich nicht mehr konnte, habe ich mir einfach die Tränen weggeputzt und weitergemacht", sagt sie.

Erika Schywalski hört zu. "Und auch während der Woche rufe ich immer mal wieder Frau Schott an", sagt sie. Für Suppenküchen-Initiator Hartmut Schadt sind Anna Maria Schott, alleinerziehende Mütter auf Hartz IV, große Migrantenfamilien "und überhaupt Frauen und Männer, denen es nicht gut geht", nicht etwa Klienten oder Kunden. "Es sind unsere Bekannten." Wie er das so sagt beim Gemüseeschnippeln, hört sich das gar nicht pathetisch an. Einfach nur Essen vorbeizubringen, um das gehe es nicht allein. Es gelte viele Probleme zu lösen. Die Sache mit Hartz IV, da müsse sich das Helferteam regelrecht reinbeißen. Denn es gebe "krude Bestimmungen", die große Sorgen bei den Empfängern auslösen.

Ehrenamt als Rettung

Oder plötzlich sei der Strom gesperrt, weil zu viele alte, stromfressende Geräte betrieben werden und das dafür zugeteilte Geld nicht ausreicht. Gesundheitsprobleme machen vielen zu schaffen, und viele kennen nicht ihre Rechte, können sich nicht wehren, tun sich schwer, wenn es gilt, Bewerbungen zu schreiben. "Was wir machen, ist freilich nur ein Tropfen auf einem heißen Stein", räumt Schadt ein. Denn es gebe immer mehr Bedürftige, vor allem in Geretsried. Aber auch in Wolfratshausen wachse ihre Zahl. Viel Werbung braucht das Helferteam deshalb nicht zu machen. Durch Tipps und Mundpropaganda kommen sie an Adressen. Das genügt. Eine Sozialcard brauche niemand herzeigen. Die Bedürftigkeit sei beim ersten Besuch erkennbar.

Schadt ist nicht allein beim Gemüseschneiden. Um den Tisch in der Wärmestube der Caritas in Wolfratshausen, die übrigens keine Miete verlangt, sitzen Stefan Berger und Kurt und Therese Leidich. Sie kocht gern, er sorgt für Ordnung. Denn mehr kann Kurt Leidich, einst ambitionierter Sportler, unternehmungslustige Familienvater und Hausmeister am Geretsrieder Schulzentrum nicht mehr tun. Er leidet unter Parkinson. "Eine Institution war er", sagt seine Frau ganz leise. Erika Schywalski kocht in der winzigen Küche.

Berger ist Softwareentwickler und beantwortet die Frage, warum er sich engagiert, kopfschüttelnd mit einer Gegenfrage: "Fragen Sie mal Sportler, warum sie Sport treiben." Aber im Ernst, dieses Ehrenamt rette ihn. Er neige nämlich zu samstäglichen Mammutsitzungen am Computer. Berger hat den Vorsitz des jungen Vereins übernommen, der seit etwa einem halben Jahr ohne Vereinsstatus wirkte und dessen "Bekannte" auf gut 30 angewachsen sind. Die derzeit elf Helfer - weitere Ehrenamtliche sind jederzeit willkommen - begreifen sich als Netzwerk und lösen sich jeden Samstag ab beim Lebensmitteleinfahren, Kochen, Gemüsezerkleinern, beim Einfrieren der Vorräte und beim Liefern der Suppe.

Das geht minutiös über die Bühne. Erste Station ist der Lothhof-Laden in Münsing. Brokkoli ohne Plastikpanzer, Blumenkohl, Zucchini, Kohlrabi, Lauch, aber auch Tomaten und allerlei Obst liegen schon bereit. "Alles Bio", freut sich Schadt. Die Begrüßung ist freundlich. Mit Bittstellerei hat das offensichtlich nichts zu tun. Das sieht eher nach Partnerschaft aus. Auch bei der Filiale der Bäckerei Graf in Waldram gibt es erst mal einen gepflegten Ratsch über dies und jenes, bevor noch appetitlich duftende Backwaren in die Brotsäcke kullern. Bislang hat die Bäckerei übrig Gebliebenes den Schaf- und Pferdezüchtern gegeben. Das habe auch Spaß gemacht.

Aber das hier sei doch was ganz anderes. Bei der Edeka-Filiale muss Schadt mit schwereren Transportgeräten arbeiten, so viel hat die Marktleiterin bereitgestellt. Spargel ist dabei, Erdbeeren, Gemüse, Milchprodukte. Auch bei Oberhauser in Egling, der Bäckerei Halma in Geretsried und der Angermühle in Egling lässt sich manches abzweigen für die Suppenküche. Und freitags liefert die Wolfratshauser Metzgerei Ströbl, was bislang aus der Tasche der Vereinsmitglieder bezahlt werden musste: Fleisch und Wurst. "Denn eine Suppe wird doch erst richtig kräftig, wenn etwas Fleisch drin schwimmt", sagt Hartmut Schadt. Und die guten Worte sind das Dessert. Oder vielleicht sind sie sogar die Hauptspeise.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: