Manchmal kann man in einen vermeintlichen Anachronismus direkt hineinstolpern. Zum Beispiel an einem Montagvormittag im Dezember. Aus dem Hinterzimmer des Eglinger Trachtenladens Fröstl erklingt nicht nur US-amerikanischer Punkrock, sondern auch ein lautes Klopfen. So, als würde jemand einen Nagel in die Wand hauen. Doch wer hineingeht, sieht einen 23 Jahre alten Mann, der nach alter Schule mit einem Holzhammer auf die Naht einer Lederhose eindrischt. In schönstem Oberbairisch sagt er: "Damit sie flacher ist und schöner daliegt." Dann klopft er weiter, von rechts nach links an der inneren Naht entlang, jeder Schlag wie ein Statement gegen den Untergang des alten Handwerks.
Willkommen in der Werkstatt der Fröstls, wo einer der wenigen jungen Säckler Bayerns die alte Tradition des maßgeschneiderten Lederhosen-Machens am Leben erhält. Stapelweise Lederhosen und so manche Zeichnung, dazwischen wird hinter den Verkaufsräumen genäht, gestickt und geklopft wie in alten Zeiten - und das mittlerweile in dritter Generation: Der 23-Jährige Peter Fröstl Junior ist nicht nur ausgebildeter Säckler, sondern auch der Enkel des Firmen-Gründers.
Ein halbes Jahrhundert ist es nun her, dass Peter Fröstl Senior im drei Kilometer entfernten Ortsteil Moosham anfing, traditionelle Joppen und Strümpfe zu verkaufen. 1986 baute die Familie das Haus in Egling, in dem sich Trachten-Liebhaber bis heute mit Dirndln, Jankern und traditionellen maßgeschneiderten Lederhosen eindecken können.
Zurück in der kleinen Werkstatt, wo jetzt die Nähmaschine rattert. Peter Fröstl Junior hat sich an die Naht der Lederhose gemacht. Eine Seite, drehen, die nächste Seite, dann alles noch einmal: Hier wird alles doppelt genäht. Entsprechend lange braucht es, bis ein Kunde sein handgefertigtes Exemplar in den Händen hält: Bis zu 80 Stunden kann die Fertigung einer Lederhose dauern, alleine die Stickerei kann bis zu 40 Stunden beanspruchen. Lieferzeit: bis zu zweieinhalb Jahre. Als Säckler arbeiten - wieso macht man das?
Der junge Peter Fröstl macht eine kleine Pause von seiner Nähmaschine und spielt mit einem Stück Leder in der Hand. Wie sein Vater ist er kein Mann vieler Worte, die Dinge bringt er auf den Punkt. Er spricht davon, wie er bereits mit zwölf Jahren im Laden aushalf, wie ihm mit 18 Jahren klar war, dass es das sein musste. "Andere Berufe habe ich gar nicht erst ausprobiert", sagt der 23-Jährige. Fortan ging es um Material- und Werkstoffkunde. Als er vor drei Jahren als fertiger Säckler die Schule verließ, war er einer von nur vier Absolventen - in ganz Deutschland, wohlgemerkt. "Das war ein Rekord", sagt er: und zwar, weil es schon lange nicht mehr so viele in einem Jahr gewesen seien.
Eine schlechte Entscheidung war es sicherlich nicht: Das Geschäft mit der Tracht boomt - schließlich sind es schon lange nicht nur mehr die Bayern, die mit ihrem traditionellem Gewand beeindrucken möchten. Das Oktoberfest hält einen ganzen Industriezweig am Leben. Fröstl berichtet von einer Gruppe Australier, die Jahr für Jahr in der Eglinger Traditions-Bastion vorbeikommt: "Da verständigen wir uns mit Händen und Füßen", sagt er.
Wobei auch der Erhalt des alten Handwerks von der auswärtigen Manufaktur abhängt: "Von unseren selbstgemachten Lederhosen könnten wir nicht leben", sagt Fröstl. Er spricht von einer "Liebelei". Es scheint paradox: Früher praktische Arbeitshose für die Landbevölkerung, hat sich die waschechte Krachlederne zum kulturellen Luxusgut stilisiert. Eines, für das der Kunde nicht nur lange warten, sondern auch entsprechend zahlen muss: Je nach Aufwand kann eine Lederhosn made in Egling bis zu 3000 Euro kosten. Dafür gilt ein Qualitätsversprechen. Der Großteil ist aus neuseeländischem Hirschleder. Fröstl streicht über das glatte Leder vom anderen Ende des Globus: "Es ist quasi narbenfrei", sagt er. Mindestens 30 Jahre sollen die selbstgemachten Hosen halten, bevor das Leder reißt oder bricht.
Eine Zerreißprobe dürfte auch die Oktoberfest-Zeit sein, wenn plötzlich alle Welt zum waschechten Ur-Bayern mutieren will. Wem das spontan einfällt, muss sich in Egling bei den Trachten von der Stange bedienen. Umgekehrt haben hier aber auch diejenigen eine Chance, denen der kollektive Kulturerhalt sonst verwehrt bliebe. Fröstl berichtet von einem Mann, der im Rollstuhl saß. Vorsichtig nahm er Maß, schneiderte die Lederhose extra weit. Bei der Anprobe strahlte der Mann. "Das ist doch einfach schön", sagt Fröstl. Das alte Handwerk als Mittel zur Inklusion - für solche Momente dürfte der junge Säckler noch lange weiter nähen, sticken, klopfen.