Interview :"Nicht nur, weil es menschlich ist"

Die Eglinger Integrationsbeauftragte Sonja Galli-Krottenthaler über ihr augenfälliges Foto zur aktuellen Flüchtlingskrise, die eigene Motivation und die Hilfsbereitschaft für die 20 Asylbewerber in Deining

Interview von Claudia Koestler, Egling

Ein Blick, eine Kamera und ein Bild, das mehr sagt als tausend Worte: Die Eglinger Integrationsbeauftragte Sonja Galli-Krottenthaler hat es kürzlich nach München verschlagen, an einem der Tage, an denen Tausende Flüchtlinge am Hauptbahnhof eintrafen. Der Eglingerin gelang dabei ein Foto, das seither in ihrem Familien- und Bekanntenkreis genauso Aufsehen erregt wie in den Sozialen Medien und dem weltweiten Netz. Einfach, weil das Bild die aktuelle Flüchtlingsproblematik genauso auf den Punkt bringt, wie es Welten aufeinander treffen lässt. Für Galli-Krottenthaler persönlich ist dieses Foto noch mehr: Bild gewordener Grund für ihr ehrenamtliches Engagement und Ansporn, weiterzumachen.

SZ: Frau Galli-Krottenthaler, Sie helfen in Egling und im Landkreis bereits seit Jahren ehrenamtlich in der Betreuung von Asylbewerbern. Wollten Sie nun auch in München helfen?

Sonja Galli-Krottenthaler: Es war reiner Zufall. Ich habe an diesem Tag meinen Vater in die Augenklinik gebracht, und weil es da immer lange dauert, ging ich spazieren. Immer, wenn ich in dieser Gegend bin, kreisen meine Gedanken aber auch um das Thema Flüchtlinge, denn wenn man rund um den Bahnhof die vielen bunten Läden sieht, vom türkischen Gemüsehändler bis zum Tante-Emma-Laden, denke ich, dass Integration da funktioniert. Weil ich im Radio gehört hatte, dass Flüchtlinge ankämen, bin ich bis zum Bahnhof gegangen. Und prompt kam just in dem Moment von Budapest ein Zug an. Aber es war gleich klar, dass meine Hilfe gar nicht gebraucht wurde, es waren schon genug Helfer vor Ort.

Wie nahmen Sie die Szenerie wahr?

Das mag jetzt komisch klingen, aber es war ein ganz sonderbares Gefühl, schaurig-schön nämlich. Schön, weil die Ankommenden es geschafft hatten, schaurig, wenn man sich überlegt, was sie erlebt haben. Und ganz unvermittelt fiel mein Blick auf diese eine Szene: Dieses Plakat, das unseren puren Luxus widerspiegelt, den Luxus des Billigtourismus für jedermann, und davor diese Heimatvertriebenen; etwas anderes sind sie nicht in meinen Augen.

Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof vor Billigflieger-Plakat

Die Flüchtlingskrise, wie sie sich neulich in München der Eglinger Integrationsbeauftragten Sonja Galli-Krottenthaler dargestellt hat.

(Foto: Sonja Galli-Krottenthaler/oh)

Was bringt das Bild für Sie auf den Punkt?

Warum es uns in Europa, in Deutschland so gut geht, warum die Unterschiede zu anderen Ländern so groß sind: Nämlich durch viele Jahrzehnte der strukturellen Gewalt und Ausbeutung mancher Länder durch die westliche Welt.

Und das spornt Sie zur Hilfe an?

Wir sind eine Welt, da können wir uns nicht abschotten oder mehr herausnehmen als andere. Jeder Mensch will doch grundlegende Dinge: Essen, wohnen, Bildung, in Frieden leben, eine Zukunft für die Kinder. Und wir müssen anderen Menschen dabei helfen, das zu erreichen. Nicht nur, weil es menschlich ist, sondern auch, weil es in gewissem Maße um ausgleichende Gerechtigkeit geht.

In Deining sind derzeit etwa 20 Asylbewerber untergebracht, wie läuft es dort im Moment?

Gut. Und der Grund, warum es bei uns so gut läuft, ist, weil wir uns kümmern. Aber es hängt schon sehr viel Kraft und Energie dran. Jeder Brief ist zum Beispiel in Deutsch und muss übersetzt werden. In Deining haben wir jetzt die Helfer in unterschiedliche Gruppen eingeteilt: Die einen helfen mit einem Sprachkurs, andere bei Busfahrten oder bei Terminen mit Behörden oder Ärzten, dann gibt es jemanden, der ins Haus kommt und denjenigen hilft, die weder lesen noch schreiben können. Und einer hält die Verbindung zu den örtlichen Vereinen, damit die Asylbewerber eingeladen werden, wenn zum Beispiel Fußballspiele anstehen oder es Theateraufführungen gibt. Und wir Helfer müssen dabei auch lernen, dass man immer nur anbieten kann, aber nichts überstülpen soll. Wenn sie es nicht annehmen, hat man kein Recht, strafend oder fordernd zu sein, und das im Alltagsstress immer zu schaffen, das ist manchmal ganz schön schwierig.

In der jüngsten Eglinger Gemeinderatssitzung gab es zumindest eine Stimme aus Deining, die Ihnen vorwarf, Asylbewerber würden betüddelt und überversorgt, während es für andere soziale Bereiche oder Probleme, etwa in der Altenpflege, zu wenig freiwillige Hilfe gäbe.

Das stimmt nicht. Im konkreten Deininger Fall haben wir sehr gut funktionierende Vereine, Nachbarschaftshilfen und auch der Pfarrgemeinderat kümmert sich um Senioren und um den Erhalt gesellschaftlicher Strukturen. Es ist kein Betüddeln, das unser Helferkreis macht. Es braucht einfach viele, viele Stunden der Erklärungen für jeden Einzelnen, was seine Rechte und Pflichten sind, und bei 20 Asylbewerbern sind das viele Abende. Außerdem macht es das für die Gemeinde und den Staat einfacher, wenn wir sie vorbereiten, was sich bei uns gehört und was nicht. Interessanterweise höre ich solche Betüddel-Vorwürfe nur von denen, die nicht mitarbeiten.

Bürgermeisterwahl  2014

Sonja Galli-Krottenthaler selbst engagiert sich schon seit mehreren Jahren für die Betreuung von Asylbewerbern.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Woran, glauben Sie, liegt das?

Vielleicht ist es eine Form der Besitzstandswahrung oder eine nicht reflektierte Angst, weil es einem selbst nicht so gut geht, wie man es sich wünschen würde. Das hat es immer schon gegeben, aber in Deining sind es derzeit nur ganz wenige, die unsere Arbeit kritisieren. Und denen sage ich klipp und klar: Seid doch froh, je mehr wir uns kümmern, desto weniger Ärger gibt es.

Was wünschen Sie sich denn als Helferin für Hilfe?

Einen ganz konkreten Wunsch habe ich: Wir brauchen einen Leitfaden in allen Sprachen, den wir den Flüchtlingen gleich am ersten Tag in die Hand geben können. Ein Blatt, in dem Rechte und Pflichten und Verhaltensregeln aufgelistet sind, und auch, wie man sich in unserem Kulturkreis Frauen gegenüber verhält. Und Grundregeln, etwa, wann man hier wach ist und wann man Ruhezeiten hat. Im Moment versuchen wir all das mit Einzelgesprächen klarzumachen, aber das ist sehr zeitaufwendig und anstrengend für uns Helfer. Und wir bräuchten dringend eine Gesundheitskarte. Wir verplempern unglaublich viel Zeit mit dem Anfordern der Krankenscheine, was immer wieder zu Spannungen führt. Und ganz allgemein plädiere ich dafür, dass Kommunen den sozialen Wohnungsbau anschieben. Wir brauchen dringend bezahlbare Wohnungen für junge Leute, auch junge Deutsche, das würde vieles entspannen und auch den Neid aus mancher Debatte nehmen.

Und wie kann man ganz konkret in Deining helfen?

Zum einen sind wir immer für Fahrräder dankbar, die gespendet werden. Und natürlich über jeden, der mithelfen möchte.

In der Gemeinderatssitzung hatten Sie angeboten, dass Kritiker Ihrer Arbeit Sie einen Tag lang begleiten sollen. Ist das bereits geschehen?

Nein, noch nicht. Das will ich aber gerne noch einmal anbieten, und auch den ganzen Gemeinderat einladen, uns einen Tag lang über die Schulter zu sehen.

Und das Foto haben Sie dann auch dabei?

Klar, zur Inspiration und zum Ansporn. Wie gesagt, wir sind eine Welt und das Gesicht unserer Gesellschaft mag sich in den nächsten Jahren etwas ändern. Aber die Herausforderung Asyl, die können wir gemeinsam meistern, da bin ich sicher.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: