Nachwuchstalent:Gedichte und Algorithmen

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Freya Werner aus Siegertshofen schreibt für ihr Leben gern Gedichte. Nicht nur am Computer. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die 15-jährige Freya Werner aus Egling ist zweifache Siegerin des Bundeswettbewerbs Lyrix – und studiert Informatik. Abgesehen davon interessiert sie sich auch noch für ein paar andere Dinge.

Von Mia Zaepernick, Egling

Auf einem Bauernhof in Siegertshofen, einem abgeschiedenen Dorf in der Gemeinde Egling, lebt eine 15-Jährige, die eine Leidenschaft für Gedichte hat und zugleich Informatik studiert. All das wirkt widersprüchlich. Aber Freya Werner bringt dies – und einiges mehr – offenbar problemlos auf einen Nenner. Unlängst hat sie zum wiederholten Mal den Bundeswettbewerb für junge Lyrik gewonnen. Ausgerichtet wird dieser „Lyrix“ von einem gleichnamigen Verein aus Köln, vergangenes Jahr gab es knapp 2000 Einsendungen.

Halblange Haare, Jeans und weißes T-Shirt – auf den ersten Blick wirkt Freya wie eine normale Zehntklässlerin. Doch schon nach ein paar Worten fällt auf: Sie hat ganz schön Köpfchen und vor allem Interesse an ungewöhnlichen Dingen. Normalerweise besucht sie das Gabriel-von-Seidl-Gymnasium in Bad Tölz. Einmal die Woche fährt sie jedoch an die Technische Universität München und studiert Informatik in einem sogenannten Frühstudium. Dieses bietet besonders leistungsstarken und interessierten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, parallel zum Unterricht Veranstaltungen an der Universität zu besuchen. „Das Programmieren habe ich mir vor etwa zwei Jahren selbst beigebracht“, erzählt sie. „Die Denkweise des Schreibens von Algorithmen hat mich sofort fasziniert.“

Freya hat sich das Programmieren selbst beigebracht und studiert neben der Schule Informatik an der Technischen Universität München. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Gedicht, mit dem sie 2023 den Jahressieg beim Bundeswettbewerb für junge Lyrik errungen hat, nimmt Bezug aufs Programmieren. Es trägt den Titel „Meine graue Stadt“ und versetzt den Leser in die Rolle eines Schöpfers, der Stück für Stück seine eigene Welt erschafft. Darin heißt es:

Ich ersinne die graue Wolkenkratzerstadt

Sie besitzt:

a) Fabriken, mit Maschinen (siehe Nummer Drei)

b) Straßen für Transporter, die auf Parkplätzen stehen

c) Wohnhäuser (siehe „Benötigen*“: b)

Ich schöpfe das Erste: Erschaffer

Es soll nur beim Erschaffen Glück empfinden

Seine Aufgabe: Es erschafft

„Ich habe mir beim Schreiben vorgestellt, wie es wäre, Gott zu sein“, sagt sie. Durch dieses Gedankenexperiment sei es notwendig gewesen, über den Sinn von Dingen nachzudenken, die normalerweise selbstverständlich sind: Warum muss ein Lebewesen essen, arbeiten und letztendlich sterben?

Nicht alle ihrer Themen sind so düster. Das diesjährige Sieger-Gedicht dreht sich um das Äußerliche des Menschen und dessen Rolle in unserer Gesellschaft. „Theater“ heißt es und steht in Verbindung zu der Tölzer Musical-Produktion „West Side Story“, bei der Freya selbst auf der Bühne stand und mitgewirkt hat. In ihrem Text verarbeitet sie gesellschaftliche Erwartungen und beschreibt, wie man seinen eigenen Charakter ablegt, um auf der Bühne jemand anderes zu werden.

Inspiration im Alltag

Der bundesweite Wettbewerb Lyrix richtet sich an Nachwuchstalente in zwei Alterskategorien. Jugendliche von zehn bis 14 Jahren und junge Erwachsene von 15 bis 20 Jahren dürfen innerhalb der jeweiligen Kategorien gegeneinander antreten. Jeden Monat gibt es ein neues Thema und es werden sechs Gewinner gekürt. Aus diesen Monatsgewinnern sucht eine Jury am Jahresende 24 Jahressiegerinnen und -sieger aus. Freya hat sich selbst die Aufgabe gestellt, möglichst jeden Monat ein Gedicht einzusenden. Mit diesen gewann sie schon diverse Monatspreise – immer einen Buchgutschein. Dieses und vergangenes Jahr wurde sie auch Jahressiegerin.

Verhaltensweisen, Gegenstände, Gedanken – alles inspiriere sie, sagt sie. „Mir fallen oft schöne Sätze ein. Diese schreibe ich mir auf und verwende sie dann später in meinen Gedichten.“ Das sind dann Sätze wie: „Lampen lächelten auf uns herab“ oder „Synchron: ein Wort wie zwei Flügel auf dem Rücken eines Engels“. Gedichte schreibe sie schon, seit sie denken könne. Es sei ihre Art, Dinge zu verarbeiten und mit dem Leben zurechtzukommen.

Daher rührt auch die Gesellschaftskritik in ihren Texten. „Ich mache das gar nicht absichtlich. Häufig sind das einfach nur Sachen, die mich beschäftigen oder mich aufregen“, erklärt sie. Inspiration findet sie auch in Werken ihrer Lieblingsschriftsteller. Dazu zählen John Irwing, die deutsche Dichterin Safiye Can und Aurora Venturini.

Häufig fallen Freya schöne Sätze ein, die sie direkt aufschreibt und später in Gedichte einfließen lässt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Nicht nur die Kunst des Schreibens fasziniert die 15-Jährige. Auch andere künstlerische Talente kommen bei ihr nicht zu kurz. In ihrer Freizeit spielt sie Geige und Klavier. Auf dem Instrument im Wohnzimmer steht ein Aquarell, das die Familienkatze zeigt. Detailliert erkennt man das graue Tier und die blauen Augen. Das Bild hat Freya gemalt. Lässt man den Blick durch die Wohnung in Siegertshofen gleiten, entdeckt man ihre Werke überall.

Auch für Mathematik und Chemie kann sie sich begeistern. „Ich finde beides sehr interessant“, sagt sie. „Den Unterricht mag ich aber nicht besonders.“ Da sei ihr oft langweilig. Im Bereich der Mathematik hat sie im vergangenen Jahr ebenfalls einen Landeswettbewerb gewonnen.

Später wolle sie am liebsten mit dem Schreiben Geld verdienen, berichtet Freya, fügt aber an: „Ich weiß nicht, ob ich dafür gut genug bin.“ Die Frage, was aus ihr wird, sollte es mit der Schriftstellerkarriere nicht klappen, beantwortet sie mit einem Schulterzucken. „Mich interessiert vieles“, sagt sie. Daran dürfte kein Zweifel bestehen.

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